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Plötzlich Gigolo
(John Turturro)
Originaltitel: Fading Gigolo, USA 2013, Buch: John Turturro, Kamera: Marco Pontecorvo, Schnitt: Simona Paggi, Musik: Abraham Laboriel, Bill Maxwell, Casting: Todd Thaler, mit John Turturro (Fioravante), Woody Allen (Murray), Vanessa Paradis (Avigal), Liev Schreiber (Dovi), Sharon Stone (Dr. Parker), Sofia Vergara (Selima), Bob Balaban (Sol), Tonya Pinkins (Othella), Aubrey Joseph (Cefus), Dante Hoagland (Coco), Isaiah Clifton (Cyrus), 98 Min., Kinostart: 6. November 2014
In meinen Kritiken zu Woody-Allen-Filmen taucht in den letzten Jahren immer häufiger das Wort »senil« auf, und da ist es natürlich besonders erfreulich, wenn man den besten Woody-Allen-Film der letzten zwanzig Jahre zu Gesicht bekommt. Der große Unterschied besteht darin, dass dies nur ein Film mit Allen ist, Buch und Regie stammen von der einstigen Schauspielhoffnung John Turturro (Do the Right Thing, Barton Fink), der hiermit bereits seine fünfte Regiearbeit vorlegt (Theaterregie natürlich nicht mitgezählt), wovon ich aber nur das Debüt Mac einst auf »Premiere« sah (hat mich nicht eben weggefläscht) und von Illuminata immerhin mal gehört habe.
Wahrscheinlich liegt es auch daran, dass Turturro nie ein wirklicher »Star« war und mittlerweile in Nebenrollen in Adam-Sandler-Filmen und Transformers-Teilen verschlissen wird, dass sich erst mit etwas Verspätung (und einer kleinen Publicity-Spritze über das Jewish Film Festival) ein deutscher Verleih für den Film fand. Auch Darsteller wie Liev Schreiber und Bob Balaban sind leider nicht jedem Kinogänger ein Begriff, und Sharon Stone ist auch schon etwas aus dem Scheinwerferlicht heraus.
Wenn Filmverleihe nicht mit ihren Projekten Geld verdienen müssten, könnte man ja einfach die »guten« Filme ins Kino bringen und das Publikum auf irgendeine verlässliche unbestechliche Art auf diese Filme hinweisen, statt immer alles »vermarkten« zu müssen. Bei Fading Gigolo ist neben der etwas wahnwitzigen Idee, dass Woody Allen den »Zuhälter« Murray seines auch nicht mehr taufrischen Freundes (und Blumenladenangestellten!) Fioravante spielt, vor allem der »Erotikansatz« wichtig. Wo Turturro beim Originaltitel Fading Gigolo aber gerade das Altersthema, das »Vergehen« in den Mittelpunkte stellte, entschied man sich beim deutschen Titel »Plötzlich Gigolo« für eine Betonung der Erotischen und des Humoristischen, angelehnt womöglich an Komödien wie »Plötzlich Prinzessin«. Es gibt so bestimmte Filmtitel-Bestandteile, die sich nach einem Erfolgstitel quasi selbstständig machen, was dann zu Titeln führt wie »Staatsanwälte küsst man nicht« (sehr schön), »Türkisch für Anfänger« (die jeweilige Sprache ist komplett austauschbar), oder, aktuellster Beitrag; »Heute bin ich Samba« (analog zu »Heute bin ich blond«, es kommt wahrscheinlich dann auch bald »Ich fühl mich Hiphop« analog zu »Ich fühl mich Disco«).
Doch zurück zum Film.
Wer glaubt, es ginge jetzt um die »Berufserfahrungen« des Späteinsteigers (no pun intended!) Turturro und seine seltsame Arbeitsbeziehung zu Murray, der liegt einigermaßen falsch, denn das Interessante an diesem Film ist, dass Turturro den halbwegs reißerischen Ansatz nutzt, um eigentlich ganz andere Geschichten zu erzählen. Etwa über die chassidische Gemeinde in Williamsburg, wobei Liev Schreiber als etwas linkisch wirkender Möchtegernpolizist Dovi sich an der Peripherie der Filmhandlung abstrampelt, ich ihn aber schon bei seinem ersten Auftritt ein wenig ins Herz geschlossen habe, weil ich einfach seine Korkenzieherlocken gleich neben einem Ringelkabel von der Funkverbindung zum »Knopf im Ohr« eine tolle visuelle Idee fand.
Und solche Ideen hat der Film eine Menge. Auch, was die Figur des Murray angeht, der reichlich weit weg ist von den Rollen, die Allen sich meist selbst auf den Leib schreibt. Im Universum Woody Allens fällt zum Beispiel auf, dass er nur sehr selten etwas über Afroamerikaner zu sagen hat. Hier lebt Murray mit einer (etwas) jüngeren Schwarzen namens »Othella« zusammen und kümmert sich nebenbei auch um ihre Kinder. Und das ist quasi im Handumdrehen ein ganz anderer Woody Allen. Oder die Sache mit der Zuhälterei. Interessant ist hier, dass der Murray-Figur zwar eine gewisse Geldgier angedichtet wird (das kann schnell in ein antisemitisches Klischee ausarten), doch Turturro behandelt das Thema zielsicher und mit einer eleganten Ambivalenz. Und diese Ambivalenz zeichnet den ganzen Film aus, wenn auch nicht immer komplett positiv. Der größte Kritikpunkt des Films ist nämlich sein ... ich nenne es mal »romantisches Happy-End«, das man durchaus als rückständig und politisch fragwürdig einstufen könnte (schaut den Film, dann wisst ihr, was ich meine). Doch wenn man nach dem Film darüber nachdenkt, wie unzählige andere Filmemacher (nicht nur Woody Allen) die Geschichte zu Ende gebracht hätten, dann muss man Turturro einfach bescheinigen, dass er ganz genau weiß, was er macht und dabei auch bereit ist, Risiken einzugehen. Bei Woody Allen (als Regisseur und Autor) ist es inzwischen eher so, dass man längst nicht mehr das Gefühl hat, dass man für jeden faux pas eine Erklärung finden kann, die etwas Positives über Allen aussagt. Stattdessen spult er sein Programm ab, lässt sich von seinen Casting-Leuten angesagte Jungdarsteller vermitteln, und bringt aber eigentlich keine großen neuen Ideen mehr ein.
Aber vielleicht ist es auch so, dass gerade der andere Name bei der Regieführung auch mein Urteil beeinflusst. Der Film endet beispielsweise mit einem leicht abgewandelten Casablanca-Zitat, und beim Regisseur Allen hätte man gesagt »Wie ausgelutscht geht es denn noch?« Bei Turturro hingegen weiß ich zu schätzen, dass er sich so, über verschiedene Ebenen, auf seinen Darsteller Allen und dessen mitgeschleppte Biographie einlässt. Dasselbe passt auch bei Liev Schreiber oder Bob Balaban. Oder natürlich bei Sharon Stone, die ihr »Sex-Image« im Handgepäck mitbringt und über die gesagt wird »This is New York. She could be a psychotic ax murderer!« (Basic Instinct lässt grüßen!). Dieses spielerische Element des Films macht viel Spaß, und man lässt dem Film auch ein paar Sprüche durchgehen, die allzu deutlich das Woody-Allen-Prinzip wiederkäuen – einfach, weil Turturro daraus noch etwas macht und nicht auf der Stelle läuft. Die Inszenierung ist experimentierfreudig, allein schon die Rauminszenierung und die Plazierung der Kamera zeugt davon, dass Turturro sich Mühe gibt. Und manchmal weiß man auch nicht ganz genau, was eigentlich vor sich geht (die Einstiegszene mit dem Filmprojektor und der Zeitreise ist etwas verwirrend, aber diese Verwirrung wirkt sich positiv auf den Film aus, statt Verärgerung hervorzurufen).
Also: statt auf den nächsten Woody Allen in ziemlich genau einem Monat zu warten (habe ich zugegebenermaßen noch nicht gesehen, aber ich bleibe nach den letzten Gurken skeptisch), einfach mal Herrn Turturro eine Chance geben. Denn der steht regiemäßig noch am Anfang seiner Karriere, der alte Knabe Woody nur deshalb noch Hoffnung auf Besserung hat, weil er sich zielgerichtet in eine tiefe Talsohle fabriziert hat.
Ach ja: Vanessa Paradis spielt auch mit. Und sie ist großartig! (»I’ve never seen her smile. Not like this.«