Anzeige:
Sofie Lichtenstein: Bügeln. Protokolle über geschlechtliche Handlungen




22. Juli 2014
Thomas Vorwerk
für satt.org


  Feuerwerk am helllichten Tage (Diao Yinan)
Feuerwerk am helllichten Tage (Diao Yinan)
Feuerwerk am helllichten Tage (Diao Yinan)
Bildmaterial © Weltkino Filmverleih
Feuerwerk am helllichten Tage (Diao Yinan)
Feuerwerk am helllichten Tage (Diao Yinan)
Feuerwerk am helllichten Tage (Diao Yinan)


Feuerwerk am helllichten Tage
(Diao Yinan)

Originaltitel: Bai ri yan huo, Int. Titel: Black Coal, Thin Ice, China / Hong Kong 2014, Buch: Diao Yinan, Kamera: Dong Jinsong, Schnitt: Yang Hongyu, Musik: Wen Zi, mit Liao Fan (Zhang Zili), Gwei Lun Mei (Wu Zhizhen), Wang Xuebing (Liang Zhijun), Yu Allei (Captain Wang), Wang Jingchun (RongRong), Ni Jingyang (Su Lijuan), 106 Min., Kinostart: 24. Juli 2014

Vordergründig ist Feuerwerk am helllichten Tage eine Kriminalgeschichte, die Elemente des Film Noir mit einem Thriller à la Hitchcock verbindet. Das Hinterhältige ist hierbei nicht nur die oft versteckte politische Aussage, die man durch das Genregewand an der chinesischen Zensur vorbeischummelt, sondern auch die gleichzeitig stattfindende Dekonstruktion der Genre-Konventionen. Da gibt es beispielsweise eine klassisch wirkende femme fatale, die sich dann aber als eine von diversen Männern unterdrückte, sehr unsichere Wäscherin zu offenbaren scheint. Oder einen Polizisten, der nach einer reichlich überflüssigen Schießerei seinen Fall, seinen Job und seinen Lebenssinn verliert, und sich fünf Jahre später eigenmächtig aufmacht, den angeblich gelösten Fall aufzudröseln, wobei er aber inzwischen 20 Kilo zugenommen hat (der Darsteller Liao Fan bekam für diese Leistung den Silbernen Bären auf der Berlinale), reichlich depressiv wirkt und im Verlauf des Films noch andere charakterliche Defizite aufweist. Ein wenig wie eine nüchterne Mischung des Kommissars aus Dürrenmatts Das Versprechen (in Ladislao Vajdas Verfilmung mit Heinz Rühmann vermutlich der einzige andere Film mit diesem behäbig wie abgründig wirkenden Adjektiv mit dem Dreifach-Konsonanten) und der James-Stewart-Figur aus Vertigo.

Regisseur Diao Yinan legt großen Wert auf diese Ambivalenzen, auf Figuren, die nicht einfach Gut und Böse gezeichnet sind. Auf der Berlinale (Goldener Bär als bester Film) lief Bai ri yan huo unter dem Englischen Titel Black Coal, Thin Ice, der sich auf eine Dichotomie bezieht, die die realistische Herangehensweise an den Kriminalfall in den Mittelpunkt rückt. Verteilt auf mehrere Kohleminen Nordchinas tauchen Leichenteile auf, Gegensatzpaare wie Weiß und Schwarz, Wärme und Kälte, Tod und Leben verorten das Geschehen zunächst im Umfeld der von Korruption und Sicherheitsskandalen gebeutelten Kohleindustrie. Doch als man dann einige Verdächtige überprüft und sich die Polizei erstmals im Film als komplett unfähig erweist (normalerweise werden Staatsdiener immer positiv gezeichnet) und es zu einem Blutbad kommt, das die Hauptfigur ein in elliptisches Limbo verbannt, wird erstmals die Kraft der Montage in diesem Film verdeutlicht (Schwarzblende, ein Schuss fällt, Zhang Zili wird aus dem Krankenhaus entlassen, wie nebenbei sind fünf Jahre vergangen). Etwas später gibt es noch so eine Szene, die die langläufig bekannten Sehkonventionen plötzlich und unerwartet auf den Kopf stellt. Wer glaubt, dass der Trick mit der Haustürklingel in Jonathan Demmes The Silence of The Lambs einen als Zuschauer herausfordert: Feuerwerk am helllichten Tage geht hier um einiges weiter, und wer im falschen Moment blinzelt, merkt vielleicht gar nicht, dass man selbst mit einem unspektakulären Eingriff wie dem Gegenschuss dem Zuschauer regelrecht den Boden unter den Füßen wegreißen kann.

Ach ja, der »neue« deutsche Titel entspricht klar dem Originaltitel, bezieht sich einerseits auf ein Etablissement mit Neonreklame, das später eine Rolle spielt, findet dann aber in den surreal anmutenden Schlussszenen des Films noch eine weitere Entsprechung. Das man in einem Krimi immer alle Fragen beantworten muss, ist natürlich Schwachfug, hier ist es sogar so, dass man noch in der letzten Minute neue Fragen aufwirft, die einfach davon zeugen, dass dem Regisseur und Autor eine mysteriöse Poesie mehr liegt als Aufklärung oder Bestrafung der am Fall beteiligten.

Gerade für westliche Zuschauer birgt aber die manchmal unfreiwillig komisch auftretende Polizei (im Gegensatz zur im Krimi sonst immer betonten Professionalität) ein Problem. Um noch mal zum Hitchcock-Vergleich zurück zu kommen: Man stelle sich vor, jemand hat Norman Bates gerade Handschellen angelegt, lässt sich dann aber von ihm überreden, ihm sein großes Messer zu überreichen, weil er noch ein Sandwich halbieren will. Ich überzeichne die Szene jetzt etwas, aber ähnlich blöd stellt sich einer der Gesetzeshüter in diesem Film an, und es fällt nicht jedermann leicht, angesichts dieser Unfähigkeit der Polizisten die tragischen Momente des Films angemessen zu würdigen. Gerade auch unsere Hauptfigur Zhang Zili entspricht nicht nur dem Bild eines romantischen Helden so gar nicht, auch in mindestens einer Szene, die in jedem anderen Krimi zu einer Konfrontation und einem Showdown geführt hätte, verhält er sich so passiv und fern aller Polizeipraxis, dass manche Zuschauer, die sich auch an der grenzwertigen Liebesgeschichte und dem Erzähltempo stören könnten, Gefahr laufen, den Film hier nicht mehr ernst nehmen zu können.

Doch das wäre unfair dem Film gegenüber, der für jede Szene, die Genre-Fans gegenüber womöglich etwas schlampig ausgeführt wirken könnte, ein oder zwei großartige Ideen einbaut, die das Medium Film wirklich vorantreiben und China als Filmnation vielleicht auf ähnliche Weise ins globale Scheinwerferlicht hieven wie zuletzt Rumänien, den Iran oder Griechenland.