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30. Juni 2010
Thomas Vorwerk
für satt.org


  Women without Men (R: Shirin Neshat)
Women without Men (R: Shirin Neshat)
Bildmaterial: Filmwelt
Women without Men (R: Shirin Neshat)
Women without Men (R: Shirin Neshat)
Women without Men (R: Shirin Neshat)


Women without Men
(R: Shirin Neshat)

Originaltitel: Zanan-e bedun-e mardan, Deutschland / Österreich / Frankreich 2009, Regie in Zusammenarbeit mit: Shoja Azari, Buch: Shirin Neshat, Shoja Azari, Lit. Vorlage (“Inspiration”): Shahrnush Parsipur, Kamera: Martin Gschlacht, Schnitt: George Cragg, Jay Rabinowitz, Julia Wiedwald, Patrick Lambertz, Christof Schertenleib, Sam Neave, Musik: Ryuichi Sakamoto, Persische Musik: Abbas Bakhtiari, mit Pegah Ferydoni (Faezeh), Arita Shahrzad (Fakhri), Shabnam Tolouei (Munis), Orsi Tóth (Zarin), Navid Akhavan, 99 Min., Kinostart: 1. Juli 2010

2009 erhielt dieser Film in Venedig den Silbernen Löwen für die beste Regie. Begonnen hat die iranische Foto- und Videokünstlerin Shirin Neshat bereits 2003 mit dem Projekt, und das die Aufnahmeleiterin Shoja Azari quasi einen Credit als Co-Regisseurin erhielt und für den Schnitt nicht weniger als sechs Personen verantwortlich zeichneten, zeugt davon, dass dieses Spielfilmdebüt wohl nur mit einigen Schwierigkeiten vollendet werden konnte. Was auch einfach daran liegen könnte, dass seit 2004 einzeln und parallel zum Film Videoinstallationen zu den weiblichen Hauptfiguren des Films entstanden, man sich aber im Rahmen des Filmes für eine lineare Erzählung statt der nichtlinearen Wiedergabe einzelner Geisteszustände entschied.

Wie die Regisseurin im Interview erklärt, ist die iranische Literatur im Gegensatz zur westlichen viel stärker in lyrischer Metaphorik verwurzelt, und der lange Zeit als "unverfilmbar" kategorisierte Roman von Shahrnush Parsipur verschärft den sich auf die Verfilmung übertragenden culture clash noch.

Wenn die Prostituierte Zarin sich nach Ausübung ihres Berufs immer wieder das Gesicht wäscht, so könnte man zunächst von einer erforderten Transferleistung aufgrund von Zensurproblemen ausgehen, doch der außerhalb des Iran entstandene Film zeigt einige Szenen später, dass die Darstellung von Nacktheit wohl kein Problem für die Regisseurin darstellt, und somit die Gesichtswäsche doch nicht (zumindest im vermuteten Sinne) allegorisch gemeint ist.

Mit solchen Missverständnissen muss man als westlicher Zuschauer öfters im Film rechnen. Was Shirin Neshat als lineare Erzählung versteht, wird nicht jedem linear erscheinen. Und somit geht es doch wieder um die Situationen von vier Frauen während des Staatsstreichs von 1953.

Hierzulande impliziert der Filmtitel Women without Men ein wenig den bekannten Spruch "Eine Frau ohne Mann ist wie ein Fisch ohne Fahrrad", aber die Situation der politisch interessierten Munis ist ganz anders. Ihr Bruder sperrt sie weg ("Wenn du das Haus verlässt, breche ich dir die Beine!") und organisiert Treffen mit "Verehrern", damit die fast 30jährige endlich einen Mann und damit "ein (anständiges!) Leben" bekommt.

Durch einen krassen Gegensatz wird diese Geschichte ein wenig in den Vordergrund gespielt, denn Faezeh, eine Freundin Munis', wünscht sich hingegen nichts sehnlicher, als den tyrannischen Bruder zu ehelichen.

Die politische Situation spiegelt sich auch im Schicksal der etwas älteren Fakhri, deren ehemaliger Geliebter aus den USA zurückgekehrt ist, was ihr die routiniert repräsentative Lieblosigkeit ihrer Ehe eindrücklich vor Augen führt.

Parallel beschreibt der Film die vier Frauenschicksale in ihrem historischen Umfeld, wobei ein mystischer Obstgarten allegorisch magischen Realismus einbringt, und für Betrachter, die nicht an die iranische Lyrik gewohnt sind, sehr schnell sehr prätentiös wirkt.

Auf jeden Fall bemerkenswert ist die Bilderkraft des Films. Der farbenfrohe Garten (der sowohl für eine paradiesische Befreiung der Frauen als auch für ein Leben nach Tod zu stehen scheint) steht im Kontrast zu den farbentkräftigten Bildern der Unruhe in den Straßen und den sehr dunklen Innenaufnahmen, die man auch ohne Probleme auf die Seelenzustände der Frauen übertragen kann (sehr schön in einer Szene das ausgedehnte Lichtspiel der aufgehenden Sonne an der Wand). Aber über das Spiel mit den Farben und dem Licht hinaus zeichnet sich der Film durch eine ausgefeilte Bildkomposition aus. Die Regisseurin weiß sehr wohl filmische Mittel einzusetzen (man beachte auch die Manipulation der Tonspur), nur sollte man für diesen Film das nötige Hintergrundwissen (politische Situation 1953, Eigenarten der iranischen Literatur) bereits im Vorfeld erarbeiten, sonst könnte es einem ergehen wie dem Rezensenten: Die Bilderpracht und Thematik wussten zwar zu faszinieren, aber die vielen verwirrenden Unstimmigkeiten und die Artifizialität brachten nach etwa eine Stunde (Tote und Lebende durchstreifen immer wieder die Botanik) eine ausgeprägte Gleichgültigkeit mit sich. Das hat der Film einerseits nicht verdient, andererseits hat er es sich selbst zuzuschreiben.