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13. Januar 2009
Thomas Vorwerk
für satt.org


  Ihr Name ist Sabine (R: Sandrine Bonnaire)
Ihr Name ist Sabine (R: Sandrine Bonnaire)
Ihr Name ist Sabine (R: Sandrine Bonnaire)
Ihr Name ist Sabine (R: Sandrine Bonnaire)


Ihr Name ist Sabine
(R: Sandrine Bonnaire)

Originaltitel: Elle s’appelle Sabine, Frankreich 2007, Buch: Sandrine Bonnaire, Mitarbeit: Catherine Cabrol, Kamera: Sandrine Bonnaire, Catherine Cabrol, Schnitt: Svetlana Vaynblat, Musik: Jefferson Lembeye, Nicola Piovani, mit Sabine Bonnaire, 85 Min., offizieller Kinostart: 15. Januar 2009

Die französische Schauspielerin Sandrine Bonnaire hat es mittlerweile auch in Deutschland zu einer gewissen Bekanntheit gebracht. Und so kommt nach einem Fipresci-Preis in Cannes 2007 und einem Special Screening auf der Berlinale 2008 ihr Doku-Portrait ihrer autistischen Schwester Sabine nun auch semi-regulär (zunächst im Rahmen des durch Deutschland ziehenden Festivals “Über Macht”) in die deutschen Kinos. Dass die Schauspielerin ihre Bekanntheit nutzt, um auf Missstände hinzuweisen, und sie sich dabei dezidiert nur hinter der Kamera aufhält, um andererseits die Aufmerksamkeit nicht abzulenken, ist auf jeden Fall lobenswert, und der Film entwickelt eine immense Intensität. Nur kann man die filmischen Mittel in ihrer Durchschaubarkeit dabei kritisieren. Schon beim Vorspann zeigt der Film Bilder aus der Vergangenheit von Sabine, einem feingleidrigen, gutaussehenden jungen Mädchen, das im strengen Kontrast zur kurzhaarigen, eher grobschlächtig wirkenden Psychatrie-Patientin steht, die sich andauernd wiederholt, zum Sabbern neigt und zum Durchsetzen ihrer Wünsche gern die Faust benutzt oder auch mal zur Gabel als Waffe greift. Immer wieder sieht man die Bilder aus der Vergangenheit, der Kontrast wird immer wieder hervorgehoben, aber es ist ein wenig suspekt, dass die Bilder der jungen Sabine diese immer wieder im Urlaub (unter anderem einem Ausflug in die Vereinigten Staaten), beim Tanzen, Baden (inklusive elektronisch bearbeiteter Oben-Ohne-Aufnahmen, die als Werbeclips durchgehen könnten) oder Radfahren zeigt, oft in Zeitlupe, wie mit Weichzeichner geschönt, und durchgehend mit harmonischen Klavier- oder romantischen Gitarrenklängen unterlegt. Bei der Darstellung des Anstalts-Alltags hingegen gibt es keine Off-Musik, trotz offensichtlich längerer Beobachtung überwiegen die Aufnahmen mit leichter Konflikthaltung, und einzig, wenn anhand einer Überblendung der Klavier spielenden Sabine die Frustration der Frau aufgrund der verlorengegangenen intellektuellen Fähigkeiten dargestellt werden (dies allerdings sehr überzeugend), erahnt man auch mal, dass das Leben von Sabine trotz gegenläufiger zu übermittelnder Message immer noch positive Momente beinhalten könnte. Ein Shopping-Ausflug zeugt nur von Sabines Hilflosigkeit und der finanziellen Abhängigkeit von der wohlhabenden Schwester, und - kurz gesagt - wirkt vieles eher propagandistisch als dokumentarisch. Dabei ist es aber besonders perfide, dass Sabine auch immer wieder mit ihrer für den Zuschauer hinter der Kamera versteckten Schwester spricht, und wiederholt nachfragt, ob sie dann nach dem Mittagsschlaf, nach dem Wochenende oder wann auch immer noch an ihrer Seite sein wird, wodurch sich auch schleichend der Eindruck vermittelt, dass die intensivierte Familienbindung während der Dreharbeiten sich nicht unbedingt positiv auf den Zustand von Sabine auswirken wird. Denn verglichen mit dieser Gefahr wirkt die zu erwartende kulturelle oder politische Funktion des Film vernachlässigenswert. Auch die kleinen Ausflüge in die Krankengeschichte von Mitpatienten wie Olivier (inklusive Interview mit dessen Mutter) wirken wie Bonusmaterial einer DVD, wo sie die bestehenden Probleme in der Diagnose und Betreuung verdeutlichen hätten sollen. Normalerweise würde ich sagen, dass es von Vorteil ist, wenn ein Familienmitglied statt eines wildfremden Dokumentaristen eine solche Situation begleitet, aber Elle s’appelle Sabine hinterließ bei mir einen irgendwie fahlen Nachgeschmack, und mithilfe eines im Bereich Dokumentarfilm bewanderten Beraters hätte aus dem Film ein weitaus überzeugenderes Statement werden können. Auf jeden Fall würde ich lieber noch einen Film mit Sabine vor der Kamera sehen als einen mit Sandrine dahinter (und sie soll gerade einen Spielfilm über das Thema Autismus drehen ...).