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Sofie Lichtenstein: Bügeln. Protokolle über geschlechtliche Handlungen




7. Januar 2009
Thomas Vorwerk
für satt.org


  Jerichow (R: Christian Petzold)
Jerichow (R: Christian Petzold)
(Foto © Christian Schulz)

Jerichow (R: Christian Petzold)
(Foto © Hans Fromm)

Jerichow (R: Christian Petzold)
(Foto © Christian Schulz)

Jerichow (R: Christian Petzold)
(Foto © Christian Schulz)


Jerichow
(R: Christian Petzold)

Deutschland 2008, Buch: Christian Petzold, Kamera: Hans Fromm, Schnitt: Bettina Böhler, Musik: Stefan Will, mit Benno Fürmann (Thomas), Nina Hoss (Laura), Hilmi Sözer (Ali Özkan), André Hennicke (Leon), Claudia Geisler (Sachbearbeiterin), Marie Gruber (Kassiererin), Knut Berger (Polizist), Kinostart: 8. Januar 2009

Für seinen neuen Film Jerichow, benannt nach einem Ort im Osten Deutschlands, der mit dem Buchstaben W endet, besetzte Christian Petzold als Hauptdarsteller Benno Fürmann und Nina Hoss, mit denen er schon bei einem Film zusammenarbeitete, der nach einem Ort im Westen Deutschlands benannt war, der mit einem W begann, nämlich Wolfsburg. (Übrigens liegen die Orte Hannover, Wolfsburg, Jerichow und Berlin ziemlich genau auf einer Linie, jeweils ungefähr gleichweit voneinander entfernt - wenn Petzold demnächst einen Film über Osnabrück oder Frankfurt (Oder) dreht - nicht überrascht sein ... ;-))

Petzold arbeitet offensichtlich gerne mit seinem eingespielten Team: Kameramann Hans Fromm drehte die letzten neun von Petzolds bisherigen zehn Filmen, Cutterin Bettina Böhler montierte sieben davon, ähnliche Quoten findet man bei der Musik von Stefan Will, dem Casting durch Simone Bär, dem Kostümdesign von Anette Guther oder der dramaturgischen Unterstützung durch Harun Farocki. Und Benno Fürmann und Nina Hoss spielten in jeweils drei der letzten vier Filme mit (bei Nina Hoss könnte man sogar noch auf vier aus fünf erhöhen).

Gerade im Bezug auf die mehrfache Zusammenarbeit mit Schauspielern gibt es in der Filmgeschichte viele ähnliche (oft gleichgeschlechtliche Zweier-)Paarungen, etwa Martin Scorsese und Robert De Niro oder François Truffaut und Jean-Pierre Leaud, doch nur selten versteift sich dieses wiederkehrende Teamwork auch auf Variationen eines Themas. Dazu fallen mir vor allem die späten Western von Howard Hawks ein, jeweils mit John Wayne als Sheriff, der sich mit einer Handvoll von Verbündeten gegen eine Übermacht erwehren musste. Und - Zufall über Zufall - diese Filme waren auch nach Orten bzw. Flüssen benannt: Rio Bravo (1959), El Dorado (1966) und Rio Lobo (1970).

Doch Jerichow ist kein Western, am ehesten könnte man eine thematische Verwandtschaft zum Film Noir herstellen, doch nicht zur Chandler-Verfilmung The Big Sleep von Hawks (vergessen wir den Hawks an dieser Stelle einfach mal, ich fand die Parallele mit “Stadt, Land, Fluss” so schön), sondern zu den Werken von James M. Cain. Für diejenigen Leser, die mehr auf Film als auf Literatur eingeschossen sind, könnte man hier Billy Wilders großartigen Double Indemnity (dt. “Frau ohne Gewissen”, 1944) oder The Postman always rings twice (1946 von Tay Garnett, 1981 von Bob Rafelson) erwähnen, deren Hauptplots sich eigentlich sehr auffällig mit Jerichow decken: Ein abgerissener Taugenichts beginnt eine Affäre mit der jungen Frau eines älteren, wohlhabenden Mannes, und soll diesen später töten, um dem jungen Paar eine neue Chance zu eröffnen. (Zentrales Zitat in Jerichow: “Man kann sich nicht lieben, wenn man kein Geld hat.”)

Auch heißt bei Petzold die Frau (Nina Hoss) Laura, ein Name, der seit Otto Premingers gleichnamigen Film (1944) immer wieder gerne für die prototypische femme fatale gewählt wird (in Brian De Palmas Femme Fatale heißt die Hauptfigur rein zufällig “Laure”, natürlich gibt es eine Laura in Brick, und auch bei der Laura Palmer in Twin Peaks oder der Titelheldin im von John Carpenter geschriebenen The Eyes of Laura Mars scheint mir die Namenswahl nicht zufällig). Doch all diese Details nutzt Petzold nur, um die Erwartungshaltung des Zuschauers perfide zu untergraben, denn hier ist die Freundschaft zwischen dem vermeintlichen Täter Thomas (Benno Fürmann) und seinem vermeintlichen Opfer Ali (Hilmi Sözer) beispielsweise genauso wichtig wie die eher von Schuldgefühlen als von Leidenschaft bestimmte Affäre, hier geht es um (typisch für Petzold) reale wirtschaftliche Faktoren statt einer unrealistischen Versicherungssumme, um Kommunikationsprobleme in einer Beziehung statt einem Krimistoff - kurzum: Petzold nimmt eine Vorgabe, dreht sie nach Gefallen durch den Wolf und macht sein ganz eigenes Ding daraus - und das ist wahrscheinlich noch beim achten Film mit Fürmann und Hoss (so er von Petzold inszeniert wird) für den Zuschauer spannend. Sowohl, was die Handlung als auch, was die filmische Umsetzung angeht. Petzolds bester Film seit – ja, es ist so! – Wolfsburg.