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Juli 2006
Thomas Vorwerk
für satt.org

Lemming
Frankreich 2005

Plakat

Buch
und Regie:
Dominik Moll

Kamera:
Jean-Marc Fabre

Schnitt:
Mike Fromentin

Musik:
David Whitaker

Production Design:
Michel Barthélémy

Darsteller:
Laurent Lucas (Alain Getty), Charlotte Gainsbourg (Bénédicte Getty), André Dussolier (Richard Pollock), Charlotte Rampling (Alice Pollock), Michel Cassagne (Tierarzt)

129 Min.

Kinostart:
13. Juli 2006

Lemming


Filmszene
Fotos © Philippe Quaisse
Filmszene
Filmszene
Filmszene

Die Gettys, ein junges Ehepaar, sind gerade in ein neues Haus in Bel Air (Südfrankreich) eingezogen. Alain (Laurent Lucas) arbeitet als Ingenieur an einer revolutionären Webcam, die wie ein Mini-Hubschrauber in der Abwesenheit des Wohnungsbesitzers Störungen inspizieren kann. Mit Alains Vorführung eines Prototyps ist sein Chef (André Dussolier) sehr zufrieden, am Abend will Herr Pollock mit seiner Frau Alice (Charlotte Rampling) bei den Gettys essen. Doch zunächst stellt Alains Frau Bénédicte (Charlotte Gainsbourg) beim Salatwaschen fest, daß der Küchenabfluß verstopft ist. In dem wie schon bei Harry un ami qui vou veut du bien (Harry meint es gut mit dir, 2000) fast mathematisch durchkomponierten Drehbuch ist dies die erste Andeutung, daß beim perfekten Abendessen zweier musterhafter Ehepaare so einiges schiefgehen könnte …

An der Verstopfung des Abfluß ist der titelgebende Lemming schuld, genau genommen ein weiblicher Berglemming (lemmus lemmus), eine Spezies, die eigentlich nur in Skandinavien vorkommt. Die sich schon beim Abendessen seltsam gebärende Alice versucht am nächsten Tag zunächst Alain zu verführen, um dann dessen frau davon im Detail zu berichten und einen Keim des Misstrauens zwischen dem glücklichen Paar zu säen. Wie Alice sich im Gästezimmer einschließt und dort randaliert, erinnert sie an den Lemming, wenn sie dann auch noch Selbstmord begeht, scheint die Parallele erschreckende Ausmaße anzunehmen …

Ähnlich wie beim schon einige Zeit zurückliegenden letzten Film des in Deutschland aufgewachsenen Regisseurs ist auch Lemming nicht von vornherein klar einem Genre zuzuordnen. Es beginnt wie eine satirische Gesellschaftsstudie, wird zum Ehe-Drama und Mystery-Thriller mit übernatürlichem Einschlag. An Hitchcock, Kubrick und Lynch erinnert der Film, ist aber dabei vor allem auch sehr französisch in seiner Ausprägung, nicht nur wegen Charlotte Rampling denkt man an Ozon und seinen Swimming Pool. Die Atmosphäre bewegt sich zwischen beklemmend, bedrohlich und belustigend, und auch, wenn es sich der Film nicht nehmen lässt, detailliert zu erklären, wie der Lemming im Abfluß landete, bleiben viele Fragen auch nur halb beantwortet, etwas Platz bleibt für die Interpretation, was den Film auszeichnet. Ich sah ihn kurz nach Almodóvars Volver, der teilweise ähnliche Themen anschneidet und auch in der Atmosphäre nicht unähnlich ist (wenn auch natürlich viel bunter …), und ich muß sagen, daß Lemming eines größeren Eindruck bei mir hinterließ, was schon eine immense Auszeichnung für den jungen Regisseur ist.

Daß Lemming aber aus dem Cannes-Jahrgang 2005 stammt (Eröffnungsfilm) und Volver aus 2006 (zweifach ausgezeichnet), deutet bereits an, daß sich für den kleinen Nager weitaus weniger Leute interessieren als für Penélope Cruz. Was ich schade und ungerecht finde …