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Juni 2006
Thomas Vorwerk
für satt.org

Wie in der Hölle
L’enfer

Frankreich / Italien / Belgien / Japan 2006

Plakat

Regie:
Danis Tanovic

Buch:
Krzysztof Piesiewicz, Krzysztof Kieslowski

Kamera:
Laurent Daillant

Schnitt:
Francesca Cavelli

Musik:
Dusko Segevic, Danis Tanovic

Darsteller:
Emmanuelle Beart (Sophie), Karin Viard (Celine), Marie Gillain (Anne), Guillaume Canet (Sebastien), Jacques Gamblin (Pierre), Jacques Perrin (Frederic), Carole Bouquet (Mutter), Miki Manojlovic (Vater), Jean Rochefort (Louis), Maryam D’Abo (Julie), Gaelle Bona (Joséphine)

102 Min.

Kinostart:
29. Juni 2006

Wie in der Hölle

Seit Tom Tykwers Heaven sind einige Jahre vergangen, und die Süskind-Verfilmung des deutschen Ausnahmeregisseurs wird sehnsüchtig erwartet. Vorher kommt aber noch ein Film in die deutschen Kinos, der vergleichsweise überraschend auftaucht. L’enfer ist kein Remake des gleichnamigen Chabrol-Films (bei dem ebenfalls Emmmanuelle Beart die Hauptrolle spielte), sondern der zweite Teil der von Krzysztof Kieslowski geplanten, aber nie verwirklichten Trilogie, von der bereits Heaven nur posthum und von jemandem anders realisiert auftauchte. Als Regisseur des zweiten Films (Purgatory folgt ja vielleicht auch noch …) konnte der aus Bosnien stammende und zwar weitgehend unbekannte, aber für sein No Man’s Land bereits mit dem Oscar und Golden Globe (für den besten nicht-englischsprachigen Film 2001) prämierte Danis Tanovic verpflichtet werden.


Filmszene


Filmszene

Fotos © TOBIS Film

Filmszene


Filmszene

Der Vorspann von L’enfer könnte glatt als eigenständiger Kurzfilm überzeugen und schildert das typische Verhalten eines Kuckucks (zwischendurch auch mal mit “teuflisch” roten Augen), allerdings mit einem raffinierten Schlußtwist sowie über einen Kaleidoskop-Effekt leicht verfremdet. Aufgrund dieser Einstimmung erahnt man bereits einige der Themen des Films, auch wenn die narrative Struktur des Films den Zuschauer zunächst zum Rätselraten animiert. Wie aber das Plakat bereits impliziert, handelt es sich bei Sophie (Emmanuelle Beart), Celine (Karin Viard, bekannt aus Delicatessen oder La nouvelle Eve) und Anne (Marie Gillain, bekannt aus Taverniers L’appat) um drei Schwestern, deren gemeinsames Familienschicksal der Film langsam aufdeckt.

Ohne Kieslowskis Geschichte schmälern zu wollen, scheint sich Regisseur Tanovic eher auf visuelle als auf narrative Kniffe (der totgefahrene Schnitt-Trick aus The Silence of the Lambs) zu verstehen. Insbesondere die Kamera von Laurent Daillant spielt sich immer wieder in den Vordergrund, was mich als Freund der innovativen Kameraführung mitunter verzückte. Da wird immer wieder mit der Tiefenschärfe gespielt, und neben herkömmlichen Kreiselfahrten arbeitet Daillant auch bevorzugt mit einer Kamerabewegung, die sich von einer dichten Vogelperspektive in die Höhe schraubt, dann eine Längsbewegung vollzieht, um schließlich wieder herabzufahren. Sowohl das Thema der Hölle als auch des sich eine neue Familie suchenden Kuckucks wird hier impliziert, insbesondere natürlich dann, wenn auch noch ein eine Spur zu symbolisch wirkendes Kinderspiel wie “Himmel und Hölle” (Hüpfen durch Kreidekästen) in den Mittelpunkt gerückt wird.

Trotz des starken Frauentrios und vieler guter Ansätze funktioniert die Geschichte als Ganzes nur ansatzweise, und die von Symbolismen überfrachteten Teil-Geschichten wirken mitunter zu konstruiert. Wenn Emmanuelle Beart in einem blutroten Appartement lebt, in dem zwei bedrohlich wirkende Augen (Bilder an der Wand) gemeinsam mit dem Sofa eine Art Teufelsfratze bilden, oder die Klinik eines Gynäkologen auf aufdringliche Art von der Unschuldsfarbe Weiß durchflutet wird, dann geraten Figuren wie die im Rollstuhl sitzende Mutter derart ins Abseits, daß gerade die psychologischen Motivationen der Figuren manchmal unterschiedlich sorgfältig durchdacht wirken. Für einen Film mit drei Hauptdarstellerinnen (Laut Presseheft soll der Regisseur jeder der Darstellerinnen während der voneinander unabhängigen Dreharbeiten weisgemacht haben, sie sei die wirkliche Hauptfigur), die erst gegen Ende zusammengeführt werden, konzentriert sich der Regisseur zu sehr auf Kinkerlitzchen, die die Geschichte eigentlich kaum voranbringen oder intensivieren.

Für einen Ignoranten wie mich, dessen Interesse für Frauenschicksale (insbesondere gleich mehrere …) auch mal nachlässt, trat der Film aber gerade durch seine “Fehler” als ein Werk auf, das vorwiegend filmsprachliche Denkanstösse gibt, und dadurch das Interesse wachhält. In der Erinnerung bleiben für mich weniger die Storyelemente als die Bilder wie beispielsweise eine (natürlich in einer rötlichen Flüssigkeit) ertrinkende Biene, die sich an einen sprichwörtlichen Strohhalm klammert.