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Januar 2006
Thomas Vorwerk
für satt.org

Caché
Frankreich / Österreich / Italien / Deutschland 2004

Filmplakat

Buch
und Regie:
Michael Haneke

Kamera:
Christian Berger

Schnitt:
Madine Muse, Michael Hudecek

Darsteller:
Daniel Auteuil (Georges Laurent), Juliette Binoche (Anne Laurent), Lester Makedonsky (Pierrot Laurent), Annie Giratdot (Georges’ Mutter), Maurice Bénichou (Majid), Bernard Le Coq (Chefredakteur), Daniel Duval (Pierre)

117 Min.

Kinostart:
26. Januar 2006

Caché

Ausgezeichnet mit vier europäischen Filmpreisen (Bester Film, Regie, Schnitt, Darsteller Daniel Auteuil) und insbesondere dem Regiepreis in Cannes, erfährt Michael Haneke endgültig jene Anerkennung, für die er lange arbeiten musste. Seine ersten drei Kinofilme liefen in Cannes jeweils in der Quinzaine des Réalisateurs, seit 1997 (Funny Games) ist er gut genug für den Wettbewerb, seit Code Inconnu (2000) dreht er seine Filme in Französisch und lebt in Frankreich, und nach dem „Großen Preis der Jury“ und zwei Darstellerpreisen für La pianiste (2001) nun also der Regiepreis - da soll niemand sagen, Beharrlichkeit zahle sich nicht aus …

Filmszene
Filmszene
Filmszene
Filmszene

Haneke hat mit seinem Umzug von Österreich nach Frankreich mehr Erfolg (vor allem bei der Kritik) gehabt als die meisten anderen Regisseure, die dem Ruf nach Hollywood folgten - wahrscheinlich hat dies auch beim europäischen Filmpreis geholfen …

Doch der wichtigste Grund für die vielen Auszeichnungen ist sicher, daß Caché Hanekes bester Film der letzten Zeit ist, und anders als die teilweise verstörenden La pianiste und Le temps du loup auf kongeniale Weise für Hanekes Gesamtwerk stehen. Schon die erste Einstellung des Films ist Haneke at his best: Der Blick auf einige Häuser in einer guten Wohngegend, es passiert kaum etwas, nach und nach überschreiben die gesamten Stabangaben, die sonst nach und nach auf den Vorspann verteilt werden, das Bild, werden dann wieder ausgeblendet, dann sieht man Juliette Binoche aus der Haustür der Nr. 49 kommen und links hinter dem Bildrand verschwinden. Die Einstellung geht noch weiter, den Tick, die langen Einstellungen bis zum Extrem auszureizen, hat Haneke in 71 Fragmente einer Chronologie des Zufalls und Code inconnu zur Perfektion getrieben, für Haneke-Freunde also ein klarer Anknüpfungspunkt, und auch hier wird der erste Schnitt des Films zu einem spannenden Abenteuer, dem gleich eine Verwirrung des Zuschauers folgt, denn nun sieht man Juliette Binoche und Daniel Auteuil bei Dämmerlicht (eben war es noch helllichter Tag) aus der Tür gehen, und gleich bei der nächsten Einstellung kehren wir zum Anfangsbild zurück, mit den ursprünglichen Lichtverhältnissen. da man sich bei einem Perfektionisten wie Haneke einen so horrenden Regiefehler nicht vorstellen kann, wartet man noch ein bisschen ab – und siehe da, die Hausansicht wird vorgespult, das erste Rätsel des Films löst sich auf, der Vorspann war über eine Bandaufnahme gelegt, die dem Ehepaar Laurent vor die Haustür gelegt worden war. Durch das Vorspulen denkt man nicht an die gruseligste Szene bei Funny Games, auch die Überwachungskamera bei den 71 Fragmenten kommt einem in den Sinn, doch vorerst scheint die offensichtlichste Reminiszenz die an David Lynchs Lost Highway, einem Alptraum, der auch mit einer Videocassette begann, die ein Unbekannter von der Wohnung der Protagonisten angefertigt hatte.

Bei der zweiten Cassette liegt dann schon eine seltsame Kinderzeichnung eines Gesichtes mit blutigem Mund bei, und wenn man erstmals tatsächlich einen Knabe mit Blut am Mund sieht, ist dies abermals eines der kleinen Rätsel des Films, ein Einschub ohne die geringste Erklärung, der sich erst einige Zeit später erklärt. Im Gegensatz zu Lynch, wo sich immer mehr Fragen stellen, beantwortet Caché auch viele Fragen – wenn auch längst nicht alle, und allein, wenn man nur über den Filmtitel nachdenkt, bekommt man schon schnell Kopfschmerzen. Der versteckte Standpunkt des Unbekannten mit der Videokamera deckt sich schon in der ersten Einstellung mit dem des Zuschauers, doch das Versteckspiel ist weniger ein visuelles (wie bei Benny’s Video), sondern ein psychologisches, denn so wie die Eltern die Sache mit der Videocassette vor ihrem Sohn verschweigen (der dann wie eine direkte Antwort darauf plötzlich verschwindet), so leidet auch die Beziehung zwischen Anne und Georges unter verschwiegenen Details, fehlendem Vertrauen, und das große Geheimnis des Films ist bei weitem nicht so erschreckend wie die emotionale Kälte, die hier fast überall herrscht (bei Haneke auch nichts neues, hier aber besonders detailliert beobachtet).

Es gibt viel zu entdecken in Caché, was nicht automatisch versteckt“ ist: Buchtitel und Filmplakate, die Ähnlichkeit von Georges’ Fernsehstudio mit seinem Wohnzimmer oder – wie hier vielfach geschehen – Anknüpfungspunkte an das übrige Werk von Haneke. Caché kann zwar für sich stehen und ist vielleicht auch einer der „schonendsten“ Einstiegsfilme für Haneke-Novizen, doch gerade für Langzeit-Fans wie mich bringt dieser Film mitunter sogar Antworten auf Fragen, die andere Filme des Regisseurs stellten.