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Sofie Lichtenstein: Bügeln. Protokolle über geschlechtliche Handlungen




Juni 2005
Kathi Hetzinger
und Thomas Vorwerk

für satt.org

Melinda und Melinda
USA 2004

Melinda und Melinda (R: Woody Allen)

Buch
und Regie:
Woody Allen

Kamera:
Vilmos Zsigmond

Schnitt:
Alisa Lepselter

Darsteller:
Radha Mitchell (Melinda), Chloë Sevigny (Laurel), Jonny Lee Miller (Lee), Amanda Peet (Susan), Will Ferrell (Hobie), Chiwetel Ejiofor (Ellis Moonsong), Wallace Shawn (Sy), Neil Pepe (Al), Brooke Smith (Cassie), Christina Kirk (Jennifer), David Aaron Baker (Steve), Josh Brolin (Greg), Steve Carell (Walt), Geoffrey Nauffts (Bud), Vinessa Shaw (Stacey), Larry Pine (Max), Stephanie Roth Haberle (Louise)

100 Min.

Kinostart:
23. Juni 2005

Melinda und Melinda

Filmszene
Filmszene
Filmszene
Filmszene
Filmszene

Schon die Titelmusik zum gewohnten Woody Allen-Vorspann deutet die bewusste Zweideutigkeit von Allens neuestem Werk an: Stravinsky wird nach der Hälfte abgelöst vom gewohnten New Yorker Jazz. Sie wird direkt im Anschluss aufgegriffen von der abendlichen Diskussion zweier Theaterautoren in einem französischen Bistrot in Manhattan: ist das Leben eine Komödie oder eine Tragödie? Ein Beispiel soll helfen, diese Frage zu entscheiden: dieselbe Geschichte wird abwechselnd von Sy als Komödie und von Al als Tragödie fortgesponnen. Die Basis der Geschichte ist folgende: die doppelte Titelheldin Melinda (Radha Mitchell) platzt unangemeldet in die Dinnerparty einer alten Freundin hinein. In beiden Fällen werden hier Karrierebestrebungen behindert. In der Tragödie versucht Laurel (Chloë Sevigny) ihrem Mann, dem Schauspieler Lee (Jonny Lee Miller), durch ein gelungenes Abendessen zu einer guten Rolle zu verhelfen. In der Komödie versucht der Hausmann Hobie (Will Ferrell) mit denselben Mitteln für seine Frau, die Regisseurin Susan (Amanda Peet), die nötige finanzielle Unterstützung für ihren Film Die Kastrations-Symphonie an Land zu ziehen. Von diesem Ausgangspunkt entwickeln sich die beiden Geschichten in einer andauernden Parallelmontage unterschiedlich, aber dennoch mit erkennbaren Ähnlichkeiten weiter.

Der wirkliche Unterschied liegt jedoch größtenteils nicht in der Handlung an sich, sondern im Detail, z.B. den jeweiligen Darstellungen der Figuren: während die Melinda der Tragödie beispielsweise selten ohne Weißweinglas in der Hand zu sehen ist und an fester Nahrung nur Tabletten zu sich nimmt, ist sie in der Komödie durchaus noch in der Lage, das chinesische Essen zu genießen, das als Ersatz für das durch die Unterbrechung leider verbrannte Dinner herhalten muss. Statt einer hysterischen Frau in der Tragödie (Melinda) gibt es in der Komödie einen hysterischen Mann, Will Ferrell (Zoolander, Elf), in dem Woody Allen nach Jason Biggs in Anything Else erneut einen Platzhalter gefunden hat, dem man zuvor eine derart überzeugend verfahrene, typisch Alleneske Darstellung nicht zugetraut hätte. Will Ferrell kann man eine angedeutete schwule Affäre andichten (witzig), wenn sich Melinda in einen schwarzen Musiker verliebt, erinnert das gleich an Othello. Und gerade bei einem plot point wie einem Selbstmordversuch erklärt es sich von selbst, dass die Inszenierung über Komik oder Tragik entscheidet.

Am Ende bleiben die Geschichten den wohl wichtigsten Voraussetzungen von Komödie bzw. Tragödie treu: dem unabwendbaren Happy End steht ein Finale gegenüber, in dem dieselben Taten wie in der Komödie sich nun als gefühllos und egoistisch präsentieren. Wie in einem Lehrfilm zeigt uns Woody Allen, wie Komödien und Tragödien funktionieren, und dass der Unterschied häufig nur im jeweiligen Standpunkt besteht – als Preis dafür funktioniert Melinda und Melinda jedoch als Film nicht, er bleibt zwischen den Extremen nur im Mittelfeld. Der abrupte Wechsel zwischen Lachen und Weinen verhindert letztendlich beides, bzw. wird die Ernsthaftigkeit über weite Strecken dem Witz geopfert. Abgesehen von der Grundidee bietet der Film außerdem wenige inszenatorische Geistesblitze, kaum mal im Gedächtnis bleibende Dialogzeilen – also die Ingredienzien, die Allen sonst als Meister der Komödie und gelegentlichen durchaus fähigen Ausflügler ins Terrain der Tragödie (Bergmanscher Dimensionen) auszeichnen.