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Februar 2004
Thomas Vorwerk
für satt.org

Monster
USA 2003

Monster (R: Patty Jenkins)

Buch
und Regie:
Patty Jenkins

Kamera:
Steven Bernstein

Schnitt:
Jane Kurson, Arthur Coburn

Musik:
BT

Maske:
Tony G

Darsteller:
Charlize Theron (Aileen Wuornos), Christina Ricci (Selby Wall), Bruce Dern (Thomas), Scott Wilson (Horton Rohrbach), Lee Tergeson (Vincent Corey), Pruitt Taylor Vince (Gene)

111 Min.



Berlinale 2004

Berlinale 2004 (Wettbewerb):

Monster



Monster (R: Patty Jenkins)
Monster (R: Patty Jenkins)
Monster (R: Patty Jenkins)
Monster (R: Patty Jenkins)
Monster (R: Patty Jenkins)
Nach dem Golden Globe und dem Silbernen Bären wird Charlize Theron sehr wahrscheinlich auch noch den Oscar für ihre Darstellung der Aileen Wuornos bekommen. Alle Bedingungen sind erfüllt: Eine gutaussehende junge Schauspielerin, die sowohl physisch (14 Kilo Zunahme, falsche Zähne, schreckliche Haare, fleckige Haut) als auch psychisch eine Tour de Force auf sich nahm, um eine mehrfache Mörderin darzustellen, welche nebenbei auch noch als Strassenhure arbeitet und in eine lesbische Liebesgeschichte verwickelt ist - Die Mitglieder der Academy werden fast erschlagen von so vielen Oscar-Garanten sein. Wenn in den letzten Jahren nicht einfach nur nach Schönheit und glamourösen Äußeren die Darstellerpreise vergeben wurden (etwa Jennifer Connelly, Halle Berry oder Catherine Zeta-Jones), dann für außergewöhnliche Rollen, die die Chancen für Charlize Theron nur noch unterstreichen: etwa Nicole Kidman (entstelltes Äußeres in The Hours), Julia Roberts (Unterschicht-white scum in Erin Brockovich) oder Hilary Swank (burschikose Lesbe in Boys don't Cry) - und alle drei stellten wie Theron reale Personen dar.

Und auch, wenn man die direkte Konkurrenz betrachtet, scheint es gut auszusehen: Naomi Watts hat in 21 Grams eigentlich nur eine Sparausgabe der Rolle der Theron anzubieten, die junge Keisha Castle-Hughes aus Whale Rider ist dann doch eher süß als Oscarmaterial, und die Statuette für In America gibt es mit Sicherheit nicht für Samantha Morton, sondern entweder für Djimon Hounson oder Drehbuchautor Jim Sheridan und seine Töchter. Einzig Diane Keaton könnte Theron noch gefährlich werden, hätte sie nicht schon einen Oscar als Annie Hall bekommen, wo sie dann doch ungleich beeindruckender als in Something's Gotta Give war - und der dreifache Goldjunge Jack Nicholson, mit dem bekanntlich auch immer gleich die Partnerinnen ausgezeichnet werden (Louise Fletcher, Shirley MacLaine, Helen Hunt) ist diesmal nicht einmal nominiert.

In letzter Zeit waren für die älteren (weiblichen) Semester auch nicht allzu viele Oscars drin, und Diane Keaton ist mit Jahrgang 1946 immerhin zwei Jahre älter als meine Mutter. In den letzten zehn, zwölf Jahren dürfte Judi Dench (Jahrgang 1934, für Shakespeare in Love) mit Abstand die älteste gewesen sein, die nächsten drei wahrscheinlich Jessica Lange (Jahrgang 1949, für Blue Sky), Kim Basinger (1953, für L. A. Confidential) und Marcia Gay Harden (1959, für Pollock), alle jünger als meine Mutter, und der ganze Rest junge Dinger vom Schlage Gwyneth Paltrow, Angelina Jolie, Marisa Tomei, Mia Sorvino oder gar Anna Paquin - wie gesagt, ich glaube, das Rennen ist schon gelaufen …

Doch unabhängig von der darstellerischen Leistung sollte man noch ein paar Worte zum Film verlieren. Das Regiedebüt von Patty Jenkins befasst sich mit der oft als "erste Serienmörderin der USA" bezeichneten Aileen Wuornos, die nach zwölf Jahren in der Death Row im Oktober 2002 hingerichtet wurde. Der Film konzentriert sich aber nicht auf ihre Zeit im Knast, sondern auf die letzten Tage in Freiheit während der sie die sechs Morde begang.

Eigentlich hat Aileen die Schnauze voll und will Selbstmord begehen. Es macht für sie aber keinen Sinn, das Geld, das sie von ihrem letzten Freier bekam, mit ins Grab zu nehmen, und so will sie diese Kohle noch mal versaufen, bevor sie ihrem traurigen Leben ein Ende setzt. In dieser Nacht, die ihre letzte sein sollte, lernt sie jedoch die Lesbe Selby (Christina Ricci) kennen. Zuerst weist die durchweg straighte Aileen sie forsch ab, doch während einer durchzechten Nacht werden die beiden Freunde - und nichts weiter. Doch Selby verliebt sich in Aileen, und auch für Aileen ist die Erfahrung eine völlig neue. Grund genug für Aileen, doch wieder (zunächst geheim) anschaffen zu gehen, doch dabei wird sie von einem Freier vergewaltigt und übel zugerichtet (es ist definitiv nicht seine Absicht, sie überleben zu lassen), bevor sie sich retten kann und ihren Peiniger tötet. Sie lässt die Leiche im Wald und hat nun auch ein Auto.

Im weiteren Verlauf des Films verselbständigt sich diese Art des Broterwerbs jedoch und auch die "Befreiung" Selbys von ihren Eltern und ein gemeinsames Leben im Luxus des Blutgeldes erweist sich als nicht so harmonisch-einfach wie gedacht. Und schließlich wird Aileen gefasst, was man ja von Anfang an wusste, einzig das Schicksal von Selby ist hier in Deutschland nicht so bekannt wie in den Staaten, wo der Fall wohl eine ziemliche Medienaufmerksamkeit mit sich brachte.

Durch die authentisch rekonstruierte Geschichte ergibt sich keine typische Hollywood-Dramaturgie, und teilweise erinnert der Film an Klassiker des New Hollywood, die sich mit ähnlichen Figuren befassten. Ungeachtet der Verwandlung Therons kann Monster aber nicht die inszenatorische Dichte von Badlands oder Bonnie & Clyde aufweisen, und da man inzwischen etwa dreimal im Jahr eine ähnliche Geschichte über das Überschreiten der Grenze zwischen Gut und Böse im Kino erleben kann, hinterlässt der Film eine gewisse Leere, die durchaus gewollt sein kein, weil man ja wie in Elephant eigentlich keine Antworten auf das "Warum" erwarten sollte. Dennoch entwickelt ein Film wie Boys don't cry mit einer ähnlichen, aber passiveren (und dennoch genauso unfassbaren) Thematik eine sehr viel stärkere Intensität, denn eigentlich macht es für den Zuschauer irgendwann keinen Unterschied mehr, ob Freier C oder D hingerichtet oder begnadigt wird.