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August 2003
Thomas Vorwerk
für satt.org

Ten Minutes Older - The Cello
D/GB 2003



Regie:
Bernardo Bertolucci, Mike Figgis, Jirí Menzel, István Szabó, Claire Denis, Volker Schlöndorff, Michael Radford, Jean-Luc Godard

Musik:
Paul Englishby

Cello:
Claudio Bohórquez

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Ten Minutes Older
The Cello


Groß war meine Begeisterung bei "Ten Minutes Older - The Trumpet", doch beim Nachfolgefilm hat man das Gefühl, daß die guten Zehnminüter alle schon im ersten Teil liefen. Böse Marketing-Strategie? Wahrscheinlich nicht, aber in "The Trumpet" wurden jene Filme gezeigt, die zuerst fertig waren. Dadurch waren dann auch die Amerikaner wie Spike Lee, Jim Jarmusch oder der Fastamerikaner Wim Wenders "verschossen" und bei einigen der neuen Filme merkt man hingegen, warum es so lange gedauert hat. Fest steht: Keiner dieser Filme kann in zehn Minuten die Welt des Zuschauers verändern, die meisten können nicht einmal besonders gut unterhalten.


Histoire d’eaux
(Regie und Buch: Bernardo Bertolucci, Kamera: Fabio Cinaghetti, Schnitt: Jacopo Quadri, mit Amit Rayani Arroz (Narada), Valeria Bruni Tedeschi (Marcellina), Tarun Bedi (der alte Mann))

Bernardo Bertolucci Ein Meister und sein Schüler, die aber eher wie Flüchtlinge aussehen, tapern durch ein Grenzgebiet. Der Schüler soll Wasser holen, verliebt sich stattdessen in Valeria Bruni-Tedeschi, gründet eine Familie und erinnert sich erst an seinen Meister, als er das neue Auto in einen Graben setzt. Schwarz-Weiß-Bilder allein können die magisch-realistische Atmosphäre des Neorealismus nicht wiederbeleben, die Geschichte ist einfach zu Banane, um als Parabel wirksam zu sein.

A Staircase - About Time 2
(Regie und Buch: Mike Figgis, Kamera: Lucy Bristow, Danny Cohen, Mike Figgis, Abert Kodagolian, Schnitt: Mike Figgis, Arthur Graley, mit Dominic West, Alexandra Staden, Mark Lang, Howard Goorney, Maria Charles)

Mike Figgis Wie in "Timecode 2000", den ich leider verpasst habe, vierteilt Figgis die Leinwand, doch ein besonderer Effekt stellt sich bei mir nicht ein. Wenn ich es nicht in den Presseinformationen gelesen hätte, wäre ich nie auf die Idee gekommen, daß die vier "kleinen" Leinwände verschiedene Dekaden darstellen sollen. Ist nachher etwa der kleine Junge dieselbe Figur wie der mittelalte und greise Mann? Falls dem so sein sollte, hatte Regisseur Mike Figgis solche Zusammenhänge in seinen früheren (und längeren) Filmen viel besser dargestellt.

One Moment
(Regie und Buch: Jirí Menzel, Schnitt: Zdemek Patocka, mit Rudolf Hruönsky)

Jirí MenzelDer "tschechische Jean Renoir" erzählt anhand von Filmausschnitten aus dem Schaffen des Schauspielers Rudolf Hruönsky (keine Garantie für die Rechtschreibung) die Unbeschwertheit der Jungend, das Reifen und die Weisheit des Alters, und das alles in zehn Minuten. Durch die relative Unbekanntheit des Darstellers hierzulande geht natürlich viel von der Magie dieses Experiments verloren, aber schon der Einfallsreichtum bei der Montage lässt diesen Film zu einem der gelungeneren aus dieser Auswahl werden.

Ten Minutes After
(Regie und Buch: István Szabó, Kamera: Lajos Koltai, Tilman Büttner (Steadicam), mit Ildiko Bansagi, Gabor Mate)

István SzabóDaß sich Zehnminüter vor allem dazu eignen, mal einen Film in einer Einstellung zu drehen, sah man zuletzt noch recht gelungen in Amos Gitaïs Episode aus "11'09''01 - September 11". Szabó erzählt ein hanebüchenes Ehedrama, dargestellt von chargierenden Klischees, durch einen laufenden Fernseher soll man sich eine Meta-Ebene dazubasteln, aber dafür ist der Streifen einfach zu dilletantisch. Warum eine Messerstecherei verkaufen wollen, wenn das Geld für selbst die einfachsten Spezialeffekte fehlt. Und wie als Beweis, daß die Filmemacher versagt haben, ziehen sie die Idee mit der einen Einstellung dann noch nicht einmal bis zum Ende durch.

Vers Nancy
(Regie und Buch: Claire Denis, Kamera: Agnès Godard, Lionel Perrin, Léo Mac Dougall, Tony Chapuis, Schnitt: Emmanuelle Pencalet, mit Jean-Luc Nancy, Ana Samardzija, Alex Descas)

Claire DenisDie einzige Regisseurin des Projekts filmt ein Gespräch des Philosophen Jean-Luc Nancy und einer seiner Schülerinnen und bringt dessen Einsichten über das philosophische Problem von Eindringlingen und Fremden in Einklang mit einem Schwarzen, der sich im selben Zug zunächst auf dem Gang aufhält, dann aber ins Abteil "eindringt" und auf eine banale Frage eine philosophische, aber ebenso banale Antwort bekommt. Das Ganze ist natürlich in Schwarz-Weiß gedreht und erinnert in den besten Momenten an die Nouvelle Vague, doch im Rahmen dieses Episodenfilms ist Claire Denis nur die Schülerin, ihr Lehrmeister Godard folgt ja noch …

Enlightenment
(Regie: Volker Schlöndorff, Buch: Max Frye, Kamera: Tilman Büttner, Andreas Höfer, Schnitt: Peter Przygodda, Oliver Weiss, mit Bibiana Beglau, Irm Hermann, Mario Irrek)

Volker SchlöndorffWeil Schlöndorff sich nicht in der Lage sieht, dem Zuschauer seine entfesselte Kamera als subjektive Sicht einer alten Stechmücke zu vermitteln, muß er mit Spezialeffekten arbeiten, die aus der ohnehin dünnen Geschichte allerspätestens eine Lachnummer machen. Die Sinnsprüche des Boethius mag man wie Winterbottom in "24 Hour Party People" einem Penner in den Mund legen, für eine Stechmücke (oder Volker Schlöndorff) scheinen sie aber doch eine Nummer zu groß. Vermixt wird das Ganze mit platter Possenreißer-Politik, die aus einem Campingplatz-Streit zwischen einigen Glatzen und einem um die Trinkgewohnheiten seiner schwangeren Freundin besorgten Schwarzen ein provokantes Statement extrahieren will, doch glücklicherweise sind die zehn Minuten dann um, und in der finalen "Erleuchtung" des Films mag man noch eine ironische Brechung sehen, mithilfe derer Schlöndorff sich noch halbwegs retten kann.

Addicted to the Stars
(Regie und Buch: Michael Radford, Kamera: Pascal Rabaud, Schnitt: Lucia Cucchetti, mit Daniel Craig, Roland Gift, Claire Adamson)

Michael RadfordAuch diese Geschichte zeugt davon, wie schwer es einigen "Kreativen" fällt, aus der einfachen Prämisse des Projekts eine interessante Idee zu erarbeiten. Michael Radford ("1984") schickt einen Astronauten nach einer Mission nach Hause. Doch während für dessen Sohn achtzig Jahre vergangen sind, ist der Astronaut nur zehn Minuten gealtert. Vor achtzig Jahren mag das noch originell gewirkt haben, heutzutage können auch die atmosphärisch dichten Bilder des Films nicht mehr darüber hinwegtäuschen, daß diese Episode wieder mal so überflüssig wie ein Kropf erscheint.

Dans le noir du temps
(Regie, Buch, Schnitt: Jean-Luc Godard)

Jean-Luc GodardDas Beste zum Schluß. Überraschend verspielt zeigt uns Godard mal wieder Filmgeschichte(n): Die letzten Minuten der Jugend, der Liebe, der Erinnerung, der Angst, der Ewigkeit, kurz: des Kinos. Jede Menge Filmausschnitte aus seinem Werk werden zu einer postmodernen Collage, die in jeder Minute mehr Esprit und Bedeutung aufweist als jeder andere Zehnminüter dieses Episodenfilms.

Mein Vorschlag: Die Episoden von Wenders, Jarmusch, Godard, Erice, Kaurismäki, und meinethalben auch Denis, Menzel, Lee oder Kaige zusammenstellen und als "Best of Ten Minutes Older - The Violin" erneut rausbringen. Damit könnte man Kinogängern ein Geschenk machen, mit "The Cello" leider nicht.