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März 2003
Synke Köhler
für satt.org

Scardanelli
D 2000

Scardanelli (R: Harald  Bergmann)

Buch
und Regie:
Harald Bergmann

Fotografie:
Rolf Coulanges, Matthias Maaß

Trickzeichnungen
und Animation:
Thomas Dirsch

Darsteller:
André Wilms, Udo Kroschwald, Geno Lechner, Baki Davrak, Jürgen Lehmann, Rainer Sellien, Amalie Bizer, Raimund Groß, John Chambers, Günther Weinmann, Gottfried Pipping, Heinz E. Hirscher, Ernst Specht, Gertrud Fritz, Elisabeth Scheib, Wolfgang Rin, Hans Treichler, Egon Schäfer

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Scardanelli


Ein Wanderer allein, winzig, in den übermächtigen Bergen, über ihm drohen riesige Lettern - "Scardanelli", der Titel des Films. Ein wenig pathetisch wirkt die Schrift, die in den Bergen hängt und ein wenig gewollt sind auch die folgenden 112 Minuten. Es ist der letzte Teil der Hölderlin-Trilogie von Harald Bergmann.

"Ich habe nie Hölderlin geheißen, sondern Scardanelli". Scardanelli ist Hölderlin und Hölderlin ist Scardanelli. Der Film ist eine Annäherung an die zweite Hälfte des Lebens des Dichters Friedrich Hölderlin, eine Annäherung an einen psychisch gebrochenen, gestörten Mann.

Der Wanderer inzwischen nicht mehr allein schreitet durch den Wald, begleitet von einem Jüngeren. Der nimmt einen Stein, schlägt zu, raubt und entfernt sich. Unser Blick verweilt an einem Bach, im Wald, vor den Bergen.



Scardanelli (R: Harald  Bergmann)


Scardanelli (R: Harald  Bergmann)


Scardanelli (R: Harald  Bergmann)



Scardanelli ist der letzte Teil der Hölderlin-Trilogie von Harald Bergmann. Die beiden anderen Teile beschäftigen sich mit dem Homburger Folioheft, dem letzten Entwurfskonvolut, das der Dichter bis zu seinem Abtransport im September 1806 geführt hat.
www.scardanelli-derfilm.de



Plötzlich schwätzt jemand über die Naturbilder, ich muss mich anstrengen, zu verstehen, bin des Schwäbischen nicht vertraut. Schnitt, wir sind im heute, ein Mann im Pullover, vielleicht 50, sitzt in seiner guten Stube und schwätzt, dann eine ältere Dame, dann ein Ehepaar um die 60 - alle erzählen von Hölderlin, in Schwäbisch. Am Anfang bin ich verwirrt und sehe schwäbische Fremdenführer vor meinen Augen, die uns durch Hölderlins Leben geleiten wollen. Finde das etwas aufgesetzt. Frage mich auch, warum Bergmann nur ältere Fremdenführer interviewt hat. Später begreife ich, die Menschen von heute sind in die Rollen geschlüpft, derer von damals. Das finde ich mutig. Es entsteht der Eindruck eines Dokumentarfilms. Zeitzeugen geben Auskunft, sie wirken authentisch, wenn ich’s nicht besser wüsste, könnte ich glauben, sie hätten ihn tatsächlich gekannt und erlebt. Das macht den Menschen Hölderlin greifbar.

Wo der Film Film wird, wo wir an den Anfang des 19. Jahrhunderts zurückversetzt werden, zeigt er uns eine Theateroptik in schwarz-weiß, wenig Mobiliar, z.T. gemalte Hintergründe. Das Spiel erscheint etwas statisch. Doch wenn die Kamera dicht rückt, kann ich eintauchen in die Filmwelt, sehe ich, spüre ich hautnah.

Sehenswert ist, wie Hölderlin/Scardanelli (gespielt von André Willms) versunken fast zärtlich Blumen pflückt, später grundlos, wie uns scheint, deren Stängel köpft und die malträtierten Pflanzen achtlos in seiner Hosentasche verschwinden lässt.

Schade nur, dass genau das vorher schon erzählt wird, von einem "Zeitzeugen". Wozu diese Dopplungen? Da fragt man sich, welches Publikum avisiert Bergmann. Möchte er den gebildeten, sensiblen Intellektuellen erreichen, oder ist sein Film für ein breites Fernsehpublikum gedacht, das er an die Hand nehmen möchte.

Die Gedichte Hölderlins, einfühlsam gesprochen von Walter Schmidinger, verbinden beide Blickwinkel, den dokumentarischen, den gespielten. Leider werden sie durch schrecklich banale Natur-Zeichnungen illustriert, die zugegebenermaßen hübsch animiert sind. Geht es um Effekte? Und wieder, die Zeichnungen verdoppeln die Worte: schreibt Hölderlin von Milchstraße, sehen wir die Milchstraße, schreibt er von Feldern sehen wir Felder. Da bleibt kein Raum. Und ich merke wie, mit jedem Bild mehr, mein Ärger wächst. Da können selbst die zwei, drei guten Zeichnungen, die es dann doch gibt, nichts mehr rausreißen.

In den Dopplungen bleibt Bergman konsequent, der Wanderer (Hölderlin) wird dann auch folgerichtig ein zweites Mal niedergeschlagen, erzählt wurde es zu dem. Sollte das der Auslöser von Hölderlins Krankheit gewesen sein? Überzeugen kann er mich auch beim zweiten Mal nicht. Etwas Kürze hätte dem Film gut getan, aber das ist ja immer das Schwierigste, das Kürzen.

Das beste ist der Schluss, der letzte Satz. Und nicht weil es der Schluss ist, sondern weil es dem Filmemacher gelungen ist, etwas hinzuzufügen, nun doch einen Raum zu öffnen. Hier bekommt die Dopplung endlich einen Sinn. Es ist ein Schluss-Satz so schön unpoetisch poetisch, dass er genial ist, und mich dann doch befriedigt aus dem Kino entlässt.