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Juli 2001
Thomas Vorwerk
für satt.org


Die grüne Wolke
Deutschland 2000

Die grüne Wolke. Ein Film von Claus Strigel und Julia Furch.

Buch:
Martin Östreicher, Claus Strigel

Lit. Vorlage:
A. S. Neill

Kamera:
Sönke Hansen

Musik:
Wolfgang Neumann

Darsteller:
Jan-Geerd Buss (Birnenstiel/Neill), Heinz-Werner Krähkamp (Hoss/Pyecraft), Jule Ronstedt (Lydia), Jana von Klier (Biene), Rüdiger Wandel (Brömse)



Die grüne Wolke






Die Nachricht, daß eines meiner Lieblingsbücher, über 60 Jahre nach dem Erscheinen, und zirka 25 Jahre, nachdem ich mein Exemplar in der Bibliothek der Volksschule Hoya "organisierte", endlich verfilmt wurde, konnte mich schon früh verzücken. Daran konnten auch die zahlreichen Verschiebungen des Starttermins, bis endlich die Freigabe "ab sechs Jahren" errunngen war, oder der kurze Verriß von Lars Penning im tip-Magazin nichts ändern:

"Die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten haben eine neue Sparte ins Leben gerufen: die antiautoritäre Filmproduktion. Endlich entfallen so lästige Dinge wie das Erlernen des Filmhandwerks, jeder macht einfach, was er will. Im Vergleich zum ersten Produkt dieser Strategie, der freien Verfilmung des Jugendbuch-Klassikers "Die grüne Wolke" von A. S. Neill (dem Begründer der Summerhill-Schule) wirkt dann selbst "Pokemon" wie "Citizen Kane". "Die grüne Wolke" ist schlecht geschrieben, inszeniert und gespielt, aufs Übelste am Zeitgeist orientiert und mit einer Tricktechnik versehen, die noch hinter den Stand von 1895 zurückfällt."

Ich MUSSTE den Film trotzdem sehen, und hätte ihn gern rehabilitiert. Doch da mir dies nicht möglich ist, will ich zumindest klarmachen, daß die Mängel des Films weniger mit einer "neuen Produktionsstrategie" als mit fehlenden Geldern zusammenhängen. Was manchmal auch noch recht geschickt kaschiert wird, wenn eine Hochgeschwindigkeits-Verfolgungsjagd mit dem freigelassenen Tier-Ensemble eines Zoos in Bildern erzählt wird, die die aufgebaute Radarfalle einer Polizeikontrolle schießt. Aber diese Geistesblitze sind rar, die Inszenierung leidet schon sehr darunter, daß man etwa bei einer Gruppenaufnahme von versteinerten Personen in einer Fußgängerzone einen Statist in Großaufnahme blinzeln sieht.

Auch das Drehbuch hat durchaus seine Schwächen. Zwar wird die Struktur einer Rahmenhandlung teilweise nett eingearbeitet (wenn ich auch nicht kapiert habe, was der Schnickschnack mit der Videokamera für einen Nutzen hatte), aber das interessante Problem, daß sich der Erzähler Neill im Buch in narrative Sackgassen hineinredet, so daß die letzten zwei Kapitel nur noch ein einziges Gemetzel werden, sorgt im Film indes für gepflegte Langeweile während der letzten vierzig Minuten. Neue Subplots um Killertomaten in der Wüste oder einen Computerhacker, der einen Reaktorvorfall verhindern muß, sind ebenso sehr an der Haaren herbeigezogen wie die Idee, die dem Buch entnommenen Gangster darzustellen, als seien sie dem Fernseher entsprungen und würden dadurch die Filmwelt ins Schwarz-Weiße ziehen können. Mit derlei hanebüchenen Stories könnte man wohl auch kaum eine Horde von Pre-Teens bis zum Morgengrauen wachhalten, denn im Film wird die Geschichte in einem Rutsch erzählt, und nicht an zwölf Wochenenden wie im Buch.

Die darstellerischen Leistungen sind kaum der Rede wert. Der Amerikaner Pyecraft, der plötzlich "Hoss" heißt (auch wenn ich "Bonanza" geschaut habe, finde ich das nicht sehr originell), wird zu einem viel zu mageren, profillosen Kasper, der in einem merkwürdigen Möchtegern-Akzent jeden Sprachwissenschaftler das Fürchten lehrt. Von den Kinderdarstellern traute man offenbar einzig der "Biene" (Jana von Klier, womöglich die Tochter von Annette von Klier aus "Der Bulle und das Mädchen"?) etwas Talent zu. Und sie schafft es auch bravourös, die zwei (buchstäblich blutleeren bzw. gefühlskalten) erwachsenen Schauspielerinnen an die Wand zu spielen, aber auch sie ist hoffnungslos überfordert, einem flachen Drehbuch mit einigen improvisierten Szenen Leben einzuhauchen.

Zur Kompensation des geringen Budget wird viel mit Schuß/ Gegenschuß gearbeitet, um möglichst sicher zu verwendbarem Material zu kommen. Den glücklichen Fall, ein Pferd im Drehteam zu haben oder daß Tomaten offenbar gerade preiswert waren, kann man dem Film auch ansehen. Aber auch wenn die Computertricks mitunter sehr improvisiert wirken, noch Mitte der 80er Jahre hätten sie manchen Zuschauer verzaubert, dieser Vorwurf von Penning ist also unfair. Dennoch: alles, was an diesem Film gelungen ist, war im Buch gelungener, und vieles ist wirklich ärgerlich, wie ja auch das Urteil des tip lautet.

Wenn Stephen King dazu befragt wird, wie er es ertrage, daß manche seiner Bücher durch misslungene Verfilmungen regelrecht massakriert würden, pflegt er auf seine Bücherwand zu weisen, um zu zeigen, daß die Bücher immer noch im selben Zustand wie zuvor seien. Und so ist es natürlich auch bei "Die grüne Wolke". Und wenn durch diese Verfilmung etwa eines der zwei Kinder, die als einzige mit mir im Kino saßen (soviel zu einer Erfolgsprognose), animiert werden, das Buch zu lesen (und sich hoffentlich nicht daran stören, daß dort kaum Tomaten vorkommen), dann hat der Film wenigstens etwas positives erreicht.