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Sofie Lichtenstein: Bügeln. Protokolle über geschlechtliche Handlungen




Juli 2001
Thomas Vorwerk
für satt.org


Alaska.de
D 2000

Buch
und Regie:
Esther Gronenborn

Kamera:
Jan Fehse

Schnitt:
Christian Lonk

Musik:
MoserMeyerDöring

Darsteller:
Jana Pallaske, Frank Droese, Toni Blume, Nele Steffen, Willhelm Benner, Daniel Fripan, Andrusch Jung



Im Rahmen der Reihe "Deutscher Filmpreis unterwegs" hätte ich diesen Film für nur 5 DM in meinem Lieblingskino sehen können, doch zum halben Preis wurde er auch im Marzahner Sojus angeboten. Und das verlieh dieser Filmvorführung ein authentisches Ambiente, die ich in einem Filmkunsttheater niemals hätte erfahren können. Ich habe mir sagen lassen, daß die Dreharbeiten zu "alaska.de" zu großen Teilen in Hohenschönhausen stattfanden, aber für den Ausflugsbesucher sind die Unterschiede allenfalls marginal. Teile des Marzahner Kinopublikums gaben sich zudem redlich Mühe, mir das Gefühl zu vermitteln, die Charaktere auf der Leinwand könnten auch drei Reihen hinter mir sitzen. So gibt es eine Szene, in der die junge Hauptdarstellerin, eine Schülerin, die in Mordverdacht gerät, während sie sich in einen wirklichen Verdächtigen verliebt, einen Buchladen betritt, weil sie dummerweise ihr Schulexemplar ihres Biologiebuches neben der Leiche in der Blutlache liegen ließ. Ihr Begleiter ist sichtlich erstaunt ob ihres Begehr, ein dergestaltes Geschäft zu betreten, und weist sie eindrücklich auf den offensichtlich vorliegenden Irrtum hin. "Das ist ein Buchladen!"

Ähnlich vertraut mit kulturellen Errungenschaften der westlichen Zivilisation zeigten sich einige der Kinobesucher, die während der Vorstellung in größeren Gruppen den Saal verlassen und wieder betraten, nachdem von der Eingangstür die eine oder andere Person ausgerufen wurde. Ich will mir nicht erdreisten, eine system-feindliche Verallgemeinerung an diese Beobachtung zu knüpfen, wohlmöglich waren die Störenfriede ja auch gar keine Marzahner Jünglinge, sondern aus Charlottenburg angereiste, vielleicht hing das kino-unübliche Betragen auch mit dem geringen Eintrittspreis, etwaigem Alkoholgenuß, dem Massenzwang der Gruppe oder der geringen Akzeptanz des Films zusammen, aber da mir derlei bisher höchstens bei einer von Lüneburger Pilsener gesonserten Veranstaltung in Bremen, die mit dem uneingeschränkten Genuß von Freibier verbunden war, geschah, ist es nur naheliegend, daß ich den Veranstaltungsort zumindest teilweise für mitverantwortlich erkläre

Doch ich will mich gar nicht beschweren, der Sandalenträger im Cinemaxx oder der penetrant mit sich selbst redende Dummbatz, der öfter das Arsenal besucht, haben mir Kinovorstellungen schon weitaus konsequenter verderben können. Im Gegenteil, wie bereits angedeutet, gewann der Film durch diese Störungen sogar. Dazu kam, daß ich die Pipelines im Film auf der Hinfahrt aus dem S-Bahn-Fenster gesehen hatte, oder daß ich mir ohne Probleme vorstellen konnte, die "Andy-Warhol-Straße" gleich um die Ecke zu finden, und mit ihr vielleicht die Figuren des Films, wie sie gerade in eine unnötige Prügelei geraten und zu schnell ein Messer zur Hand haben.

Wenn ich diesen Film woanders gesehen hätte, hätte mich die verfremdende Videoclip-Ästhetik wahrscheinlich mehr gestört, die schwache Dramaturgie, die monochrome Farbgebung, die wohl wegen der Laiendarsteller notwendige Nachsynchronisation, die dadurch kaschiert wird, daß man verdammt selten den Mund der Person, die gerade spricht, zu sehen bekommt, was mitunter nicht nur übliche Sehkonventionen durchbricht, sondern schlichtweg vom Fluß der Geschichte ablenkt, wenn man sich als Filmwissenschaftler fragt, wodurch manche Kamera-Standpunkte begründet sind.

Aber für all diese Kinkerlitzchen sprach mich der Film viel zu sehr an, ich fieberte dem Ausgang der Geschichte, der doch eigentlich nur tragisch sein konnte, zu sehr entgegen, ich mußte bei der Hauptfigur weniger an einige Namensvetterinnen denken als an eine Kommilitonin, deren sprachlicher Duktus offensichtlich auf einen ähnlichen Herkunftsort deutete, aber ich kenne mich zu wenig mit solchen Dingen aus, um das zu recherchieren. Und so wurde es ein ganz besonderes Kinoerlebnis, sicher bemerkenswerter als die Premiere von "Pearl Harbor" an Bord des Flugzeugträgers U.S.S. Nimitz oder eine Kinovorführung von "Shakespeare in Love" im restaurierten Globe-Theatre, um mal zwei Beispiele für ähnliche Verbindungen zwischen Film- und Realwelt aufzuzählen, die mir spontan in den Sinn kommen.