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31. August 2014
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Andre Kagelmann
für satt.org |
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Über das Mixen kostbarer Sätze„Dieses Buch soll weder eine Anklage noch ein Bekenntnis sein. Es soll nur den Versuch machen, über eine Generation zu berichten, die vom Kriege zerstört wurde – auch wenn sie seinen Granaten entkam.“
Erich Maria Remarque (1898-1970) wurde mit Im Westen nichts Neues (1928/1929) zum literarischen Shootingstar der späten Weimarer Republik. Und das bereits 1930 u.d.T. All Quiet on the Western Front kongenial von Lewis Milestone verfilmte Werk gilt heute als paradigmatischer Antikriegsroman, der ein authentisches Zeugnis vom Grauen des Ersten Weltkriegs gibt. An diesem Erfolg des vielfach übersetzten Weltbestsellers hatte allerdings nicht zuletzt die geschickte Inszenierung von Verlag und Autor ihren Anteil: Der durchkomponierte Roman des literarischen Profis Remarque wurde als kathartischer, von der Seele geschriebener Erlebnisbericht eines Frontsoldaten verkauft. Als die Verkaufszahlen des Romans explodierten, entfachte gut zehn Jahre nach dem Ende des Großen Krieges auch eine breite Diskussion um die Frage nach der Authentizität und der Wahrheit des Erzählten. Denn der von Menschen gemachte (und nicht vom Schicksal gewollte) Krieg hatte nicht nur Millionen von Menschen in bisher unvorstellbaren Schlacht(haus)szenarien getötet, sondern zusätzlich die Körper und Seelen von vielen Millionen verletzt und verstümmelt: Es gab kaum eine Familie, die verschont geblieben wäre. Diese leidenschaftliche Diskussion um den Sinn des Krieges wurde nicht zuletzt auch in der Kriegsliteratur der Weimarer Republik geführt, z.B. in Ernst Jüngers In Stahlgewittern (1920ff), Ludwig Renns Krieg (1928) oder Josef Magnus Wehners als ‚Anti-Remarque’ apostrophierten Roman Sieben vor Verdun (1930). Kürzung und Illustration Remarque wurde jedoch nicht nur für sein Werk kritisiert, sondern auch in Bezug auf seine Person. Angriffspunkte waren sein nur kurzer Kriegsdienst (die Fronterfahrung des Autors sollte die Authentizität und Wahrheit des Erzählten garantieren), der sich signifikant von seinem Alter Ego Paul Bäumer unterscheidet, und sein (angeblich) dandyhafter Lebensstil. In diesem Zusammenhang wurde (und wird bis heute) auf sein 1924 veröffentlichten Artikel Über das Mixen kostbarer Schnäpse verwiesen, was den Illustrierten-Lohnschreiber, der Remarque zu dieser Zeit neben seiner Schriftstellertätigkeit auch war, absichtsvoll verkennt. Mit dem ‚Mixen kostbarer Sätze’ kann nun ein Konstruktionsprinzip der im ‚Gedenkjahr 2014’ erscheinenden, Remarques Roman adaptierenden, titelgleichen Graphic Novel von Peter Eickmeyer und Gaby von Borstel bezeichnet werden: Textbausteine (von Borstel) aus Im Westen nichts Neues werden in Blöcken unterschiedlicher Größe und Anzahl auf je eine mit Originalzeichnungen von Peter Eickmeyer in Form von Totalen gestaltete Doppelseite montiert. In diese Zeichnungen (oder die Textblöcke) eingelassen finden sich meist kleinere Bilder, die als Ausschnittvergrößerungen oder Ergänzungen dienen. Gegliedert wird das Werk durch insgesamt vierzehn, meist doppelseitige Illustrationen, in die wiederum ein einzelnes Zitat aus dem Roman eingefügt ist. Im Unterschied zur rein redaktionell-textlichen liegt in dieser visuellen Gestaltung die Stärke des Werkes: Eickmeyers kraftvolle, kontrastreiche, expressive und oft dynamische Zeichnungen erzeugen ein visuelles Kontinuum des Schreckens, dem man sich nur schwerlich entziehen kann. Dabei greift er auf ikonisch gewordene visuelle Kriegsrepräsentationen von Picasso (Guernica), Dix oder auch von Milestone zurück, die er seinem eigenen Zeichenstil anverwandelt. Daher kann man hier von einer intramedialen Transformation sprechen, die auf der Textebene gerade nicht stattfindet. Dabei bleibt freilich zu bemängeln, dass die Narration fast ausschließlich auf der Textebene erfolgt. Insofern kann in Anlehnung an Siegfried Kracauer gesagt werden, dass es sich bei dem Werk um „die fortlaufende Illustration eines fremden Textes“ handelt, wo es doch „selbst der zu lesende Text sein sollte.“ Und daher liegt eben im eigentlichen Sinn auch kein Comic oder keine Graphic Novel vor, sondern ein reich illustrierter, stark gekürzter Roman, der weder an das Original noch an Milestones Adaption heranzureichen vermag. Paratexte Diese Problematik kann man auch zwischen den Zeilen des informativen Nachworts herauslesen, das von Thomas F. Schneider verfasst wurde, dem Leiter des Erich Maria Remarque-Friedenszentrums in Osnabrück (vgl. seine Schriften zu Person und Œuvre). Bei den anschließenden drei weiteren Paratexten ist zu bemängeln, dass das Kurzporträt Remarques leider sprachlich etwas hölzern geraten und zudem teilweise ungenau ist, der mitunter hemdsärmelige Werkstattbericht (siehe die Einlassungen zu Ernst Jünger) m.d.T. „Reise nach Ypern“ irritiert zusätzlich durch die Absatzgestaltung. Und den Kürzestabriss zum Ersten Weltkrieg hätte man sich sprachlich und v.a. inhaltlich präziser gewünscht („Die Kirche verlor ihre Macht. Ganz Europa verlor seine Vormachtstellung an die USA.“) Da der Dämon des Krieges auch insofern zwielichtig lächelt (vgl. Sieben vor Verdun), sei dem geneigten Leser Remarques Original ans Herz gelegt.
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