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16. Juli 2010
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Felix Giesa
für satt.org |
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Die Verführung der AhnungslosenAls Anfang März der Historiencomic „Gift“ von Barbara Yelin nach einem Szenario von Peer Meter erschien, setzte ein Medienecho ein, das selbst Optimisten überrascht haben dürfte. Landesweit berichteten lokale und überregionale Fernseh- und Zeitungsredaktionen über „Gift“. Meters Szenario folgt den Spuren um die Bremer Giftmörderin Gesche Gottfried aus historischer Perspektive. Waren die journalistischen Stimmen durchweg positiv, so urteilte in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ Andreas Platthaus recht harsch über das „Wie“ von Meters Erzählung. Man gewinne den Eindruck, so Platthaus, Meter wolle beweisen, „wie manieriert man Zeitebenen verschachteln kann.“ Tatsächlich ist für mich genau dieser Punkt jedoch der interessanteste, denn er beweist etwas, er ist ein Zeichen für etwas: die gebetsmühlenartige Kolportage des „Graphic Novel“-Begriffs als Qualitätsmerkmal von Seiten der Verlage ist schlussendlich erfolgreich gewesen. Denn, und auch dafür steht Peer Meters Szenario, „Gift“ überzeugt ganz besonders durch seine vermeintlich ‚literarischen‘ Qualitäten. Diese sind nämlich weniger manieriert als durchaus solide eingesetzt. Meter nutzt eine Rahmenhandlung, um ein Ereignis 50 Jahre in der Vergangenheit zu schildern: Eine Autorin wird durch einen Zufall an ein Ereignis ihrer Jugend erinnert und berichtet ihrer Begleitung ausführlich davon.
Zwei Tage im Jahr 1831 war sie in Bremen und wurde dort unfreiwillig Zeugin der Hinrichtung der Gesche Gottfried. Fasziniert und abgestoßen zugleich stellte sie Fragen über die Mörderin. Antworten und Mutmaßungen erhielt sie viele – konsequent mit den Mitteln des Comics werden sie allesamt nicht in langer Figurenrede präsentiert, sondern in immer neuen Bilderzählungen. Das Schema mag einem irgendwann etwas angestrengt erscheinen, doch ist es wie gesagt nur konsequent. Nicht nur in der Konsequenz der Durchführung. Dadurch, dass Meter seine Figur sich nach 50 Jahren erinnern lässt, erhält die gesamte Geschichte eine gewisse Vagheit, der Bericht ist dem Alter der Erzählerin geschuldet unzuverlässig. Gleiches gilt natürlich auch für die Mutmaßungen, welche der jungen Autorin zu Gehör gelangen: sie unterstützen den spekulativen Charakter, den jeder historische Bericht zwangsläufig haben muss.
In ihrer ersten in Deutschland veröffentlichten längeren Arbeit findet Barbara Yelin mit ihren Bleistiftradierungen genau die richtige Bildwahl, um das beklemmende Geschehen wiederzugeben. Die dunklen Schraffuren erinnern teilweise an die Radierungen und Lithographien der Käthe Kollwitz, auch im Sujet der unterdrückten (Haus-)frau sind sie ihr nahe. Bis auf die Darstellung der Gesichter. Diese erscheinen bei Yelin maskenhaft und ausdruckslos, lediglich in zentralen Szenen legt sie all ihre zeichnerische Meisterschaft – die ihr ja auch vor zwei Jahren zu Recht den Sondermann-Preis der Newcomerin des Jahres einbrachte – in die Gestik und Mimik ihrer Figuren. Doch ist diese Reduzierung der Mimik durchaus auch Programm. Denn „Gift“ ist ebenfalls eine Gesellschaftskritik und auch eine Medienkritik. Die Masken offenbaren eine Teilnahmslosigkeit gegenüber dem Schicksal anderer, nur um dann vor Sensationsgeilheit bei der Enthauptung überzuquellen. Denn Meinungsmache und Ränkeschmiede waren auch im frühen 19. Jahrhundert zu beobachten. So schildert Meter das Leben der Gottfried als das einer in Intrigen gefangenen Person. Dass macht sie lange noch nicht unschuldig, und so sollte man den Blick des Umschlagportraits auch nicht deuten. So verschachtelt wie dieser Comic, ist eben auch sein Gegenstand.
Mit „Gift“ ist der Comic nun endgültig in der Belletristik angekommen. Dass ihm das ausgerechnet mit dem Topos des Massenmörders gelang, wird Fredric Wertham („Seduction of the Innocent“), den großen Paranoiker gegen die Comics, im Grab rotieren lassen. Alle anderen dürfen sich bestätigt fühlen. |
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