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11. April 2010
Sven Jachmann
für satt.org

  Comics. Zur Geschichte und Theorie eines populärkulturellen Mediums
Stephan Ditschke/ Katerina Kroucheva/ Daniel Stein (Hg.) – Comics. Zur Geschichte und Theorie eines populärkulturellen Mediums. Transcript Verlag, Bielefeld 2009. 362 Seiten. 29, 80 Euro
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Die Zeichensprache der Comics ist universal, ihre „Grammatik“ hingegen ist es nicht. Solche Sätze fanden sich vor allem in den 1970er Jahren gehäuft in den deutschsprachigen Monographien und fachwissenschaftlichen Arbeiten zu Comics. Ihre VerfasserInnen mussten notgedrungen zum Ausdruck bringen, dass sich die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem in der Öffentlichkeit und in der Regel auch innerhalb der Disziplinen verpönten Gegenstand trotzdem lohne. Ging es in den 1950er Jahren von Seiten der Pädagogik um den Nachweis des devianten Charakters der Comics, waren es in der Folge besonders sozialwissenschaftliche und linguistische Auseinandersetzungen mit dem Gegenstand.

Diese Berührungsängste sind in Zeiten der Interdisziplinarität und Intermedialität schwer aufrecht zu erhalten bzw. die zeitgenössischen interdisziplinären Arbeiten ließen sich gut als Vorläufer einer institutionalisierten Comicforschung begreifen. Denn fernab von sozialhistorisch formalistischen Brückenschlägen zum Teppich von Bayeux, die wenig vom Eindrucks einer hochgradig beklommenen Sublimierung für die Beschäftigungsfreude mit einem vermeintlich niedrigwertigen Kulturphänomen der Moderne nehmen konnten, setzt man mittlerweile die Dringlichkeit der kulturwissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Comic als bekannt voraus. Schließlich ist er da. Das Anknüpfen an die Tradition der cultural studies vermerken die Herausgeber entsprechend im Vorwort. Und bieten anschließend in Form von insgesamt 12 Aufsätzen ausreichend methodischen Raum für genealogische, formalästhetische, sozialgeschichtliche und einzelanalytische Erörterungen.

Ein Vergleich zum ebenfalls im letzten Jahr veröffentlichten Sammelband der Edition Text + Kritik drängt sich allenfalls der Form wegen auf. Dort standen die Inhalte in einigen Fällen etwas unvermittelt nebeneinander. Dem vorliegenden Buch hingegen ging 2008 eine Ringvorlesung an der Universität Göttingen voraus, was eine stärkere Bezugnahme der einzelnen Beiträge zur Folge hat. Stephan Packards Frage „Was ist ein Cartoon?“ erklärt zugleich mit psychosemiotischen Instrumentarien implizit den interdisziplinären Zugriff: Ein Medium, das mit Bild und Wort arbeitet, ist vielleicht gewinnbringender als zeichensystemische Erscheinung zu dekodieren, anstatt voreilig der Literatur- oder Kunstwissenschaft zugewiesen zu werden. Auf welchen erzählerischen Prinzipien diese Wort/ Bild-Verknüpfung fußt, versuchen anschließend Stephanie Hoppeler, Lukas Etter und Gabriele Rippl mithilfe einer intermedialen Narratologie anhand von Neil Gaimans „Sandman“ zu erläutern. Dahinter steht natürlich auch immer die stets faszinierende Frage, woraus der Comic seine Attraktivität als leicht verständlicher Bedeutungsträger speisen konnte und speist. Das gilt für serielle Ästhetik der amerikanischen Zeitungscomics ebenso wie für die narrative Struktur der Superheldencomics, denen sich Frank Kelleter und Daniel Stein bzw. Stephan Ditschke und Anjin Anhut widmen.

Dass die Problematik der Frage, wie der Symbiose von Text und Bild adäquat zu begegnen sei, nicht ausnahmslos eine akademische ist, zeigen sehr schön auch Beiträge, von denen man es im ersten Augenblick vielleicht nicht vermuten würde. In Stephan Ditschkes Untersuchung zur Etablierung des Comic im deutschsprachigen Feuilleton der überregionalen Tagespresse wird beispielsweise deutlich, dass dessen Literarisierung nicht bei der Beachtung auf den Literaturseiten endet, sondern zumeist auch mit einer inhaltlichen Fokussierung der Texte verknüpft ist - Problematisierungen des Zeichenstils oder der Panelstruktur bilden in den seltensten Fällen den Ausgang.

Auch die weiteren Beiträge, insbesondere Ole Frahms exzellente Kritik der historisierenden aka bürgerlichen Versuche einer Comicgeschichtsschreibung mittels Begriffe wie Genie, Werk und Avantgarde, die aufgrund der selbstreflexiven Struktur der Comics schon immer problematisch, dank der Erzählmodi der Independentcomics aber nunmehr längst auf den Kopf gestellt worden seien, bieten einen hervorragenden Einblick darin, wie mannigfaltig Mediengeschichte und Medientheorie gemeinsam zu denken sind, nämlich als gleichzeitige Analyse ästhetischer Zeichen und ihrer inhärenten Diskurse (ein Verfahren nebenbei, dass außerhalb akademischer Strukturen auch politisch längst Anwendung findet: Warum sonst sollte der Verfassungsschutz in NRW viel Geld in die inhaltlich und ästhetisch lächerlichen „Andi“-Comics, die die Jugend von zu viel Rechtsextremismus, Linksextremismus und Islam fern halten sollen, stecken, wenn da nicht schon aufgrund der disparaten Themen eine wenigstens kümmerliche Überzeugung von der Macht der erzählten Bilder existierte?). In der Summe ist dieses Buch ein beeindruckendes Beispiel für brillante Comicanalyse und weckt große und gespannte Erwartungen auf Folgeprojekte.