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Sofie Lichtenstein: Bügeln. Protokolle über geschlechtliche Handlungen





13. März 2010
Felix Giesa
für satt.org

  Baru: Elende Helden
Baru: Elende Helden
Nach einem Szenario von Pierre Pelot
Aus dem Französischen von Uwe Löhmann
Lettering von Michael Beck
Edition 52 2009
80 Seiten, 18 Euro
» Edition 52


Nicolas de Crécy: Prosopopus
Nicolas de Crécy: Prosopopus
Reprodukt 2009
112 Seiten, 18 Euro
» Reprodukt


Menschliche Abgründe

Liest man die Comics des französischen Comickünstlers Baru, so fällt schnell auf, dass es sich zumeist um Sozialstudien der Unterschicht handelt. Da sind zum einen die Kinder in dem autobiographisch geprägten Bänden „Die Sputnik-Jahre“. Die archaische Kindheit auf dem Land in den 1960er Jahren bilden einen erzählerischen und graphischen Augenschmaus, der für Barus Comics bezeichnend ist. Konnte der Zeichner mit seiner Aussteigergeschichte „Autoroute du Soleil“ Mitte der 1990er Jahre einen modernen Klassiker vorlegen, wurde es mit der Boxergeschichte „Wut im Bauch“ etwas ruhiger um ihn. Nun erschien in der Edition 52 seine Adaption des gleichnamigen Romans von Pierre Pelot („Pakt der Wölfe“).

Ruhig mag es um Baru geworden sein, aber sein Talent, bewegende Soziogramme in Comicform zu schaffen, ist ihm dabei nicht abhanden gekommen. Es sind erneut die Themen des kleinen Mannes, die ihn umtreiben. Pelots Geschichte liefert ihm dafür ausreichend Zündstoff. Ein Junge aus der örtlichen Irrenanstalt verschwindet bei einem Ausflug, die junge Frau, der man versicherte, sie dürfe die Kinder allein ausführen, soll zum Sündenbock gemacht werden. Ihr Freund, ehemals Insasse der Anstalt, versucht, die Zustände dort publik zu machen. Er wird keinen Erfolg haben, der Chef der Anstalt kennt die lokalen Medienbesitzer, ein entlarvender Artikel ist unmöglich. Was sich hier auf der persönlichen Ebene abspielt, die Ohnmacht gegenüber den Machthabern, zeigt sich auf der Ebene des verschwundenen Jungen als Ohnmacht gegenüber der Natur und dem Weltenlauf. Das Kind kann nur verlieren ...

Das alles zeichnet Baru in seinem bewährten rauen, streckenweise dreckig-kantig anmutendem Strich, nur um es direkt mit seinen weichen Pastellfarben wieder zu brechen. Wenn am Ende alles in Flammen aufgeht, dann erscheint dieser Ausweg reichlich pathetisch. Doch das satte Rot des Bluts und das warme Schimmern der Explosionen sind zumindest auf den Comicseiten eine zufriedenstellende Purifikation.

Was Barus Figurenzeichnungen so besonders macht, ist seine Fähigkeit das menschliche Seelenleben in den Gesichtern darzustellen. Ohne Gedankenblasen oder Blockkommentar gelingt es ihm, dass Gefühlsleben bildhaft zu fassen: Das Elend des jungen Mannes, der so gerne die Schuld der Anstaltsleiterin gesühnt wüsste, die Angst der jungen Frau, weil sie nun den Kopf hinhalten muss. Baru offenbart sie uns, aber wahrt ihre Würde, indem er uns nicht verrät, was tatsächlich in ihnen vorgeht. Mitunter sieht man sich dabei einer sehr düsteren Welt gegenüber.

Eine ähnliche Welt und ein ähnliches Vorgehen findet der Leser in Nicolas de Crécys „Prosopopus“. Vollkommen ohne Worte, früher nannte man solche Comics fälschlicherweise Pantomimenstrips, entwirft der Zeichner einen visuellen polar de force. Ein Mord ist geschehen und da keine der Figuren spricht und sich auch kein Erzähler zu Wort meldet, nutzt de Crécy ein klassisches Mittel der Rhetorik: die Prosopopoeie*. Dem Tod des Mannes, ob schuldig oder unschuldig zu Tode gekommen, verleiht der Zeichner somit ein Gesicht – und seiner Geschichte eine erste Überraschung. Denn die personalisierte Anklage sieht aus wie eine Figur aus einem Sonntagmorgen-Cartoon. Geschickt ist die Wahl eines solch klassischen Stilmittels, denn ansonsten wäre es wohl schwer geworden, den Schuld und Sühne-Komplex der Geschichte zu entzwirbeln. So hat man in dem gelben dickbäuchigen, zigarrepaffenden Wesen wenigstens einen Signalgeber, der einem verrät, wann wieder Informationen, über den Mord auftauchen. Denn die Handlung mag elliptisch sein und immer wieder neue Puzzleteile freigeben, jedoch geschieht dies keineswegs chronologisch. Das dann der Prosopopus irgendwann beginnt auf eigene Faust zu handeln und man nicht mehr sicher sein kann, ob und wie er nun dem Opfer oder dessen Mörder zuzurechnen ist, vereinfacht das Geschehen auch nicht gerade.

Doch gerade dies macht „Prosopopus“ neben de Crécys Zeichnungen zu einem außergewöhnlichen Comic, den man so seit Jahren auf dem deutschen Markt vermisst hat. Mag das Krimithema vordergründig eher breitentauglich anmuten, so ist es doch gerade die visuelle Umsetzung, die diesen Verdacht sofort unterwandert. Nicht nur die fahlen, teilweise recht verschlagenen Gesichter der Figuren mögen auf den ersten Anblick abstoßen – und erinnern mit den dunklen Schraffuren stark an die bedrückenden (Abenteuer-)Comics Christoph Blains, auch der Panelaufbau ist keineswegs herkömmlich und wenn der Zeichner einen Geschlechtsakt mit der Obduktion des Mannes gleichführt, dann hat das schon von Trier’sche Züge – inklusive der überladenen christlichen Apologetik.

Mögen sich beide Comics in ihrem Ansatz nah sein, so könnten sie in der graphischen Verwirklichung nicht weiter voneinander entfernt ausfallen. Unterstreicht das zum einen erneut die Möglichkeiten der Kunstform, zeitigt doch gerade auch „Prosopopus“ wie avanciertes Erzählen in Bildern heute aussehen kann.