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11. August 2009
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Felix Giesa
für satt.org |
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Da war doch was? US-Indie Comics.Neben den gemeinhin bekannten großen Comicverlagen DC, Marvel, Dark Horse und Image, gibt es in den USA zahlreiche Klein- und Kleinstverlage, die immer wieder durch die Veröffentlichung wahrer Kleinode der Comickunst auf sich aufmerksam machen. Felix Giesa gibt eine kleine, keineswegs repräsentative, Umschau ...
Karl Stevens: whatever „whatever“ versammelt Karl Stevens Comicstrips, die für den Boston „Phoenix“ entstanden. Stevens porträtiert in seinen One-Pagern die alternative Künstler- und Studentenszene Bostons und schafft dabei eine Befindlichkeitsaufnahme einer ganzen Gruppe junger Menschen jenseits der 20 und noch vor 35 (also in etwa das, was die Sozialwissenschaften mit „Postadoleszenz“ zu beschreiben versuchen). Dabei sind seine Geschicht(sch)en mal Momentaufnahmen, mal Zustandsbeschreibung und mal Fortsetzungsgeschichte. Allen mehr oder weniger gemein, ist dabei der Hang zum extensiven Feiern, Saufen und Drogen nehmen; meisten in umgekehrter Reihenfolge. Neben der Nähe zum eigenen Umfeld, gefällt vor allem auch die unglaubliche Komik der Geschichten, die sich aus Stevensons pointierter Wiedergabe des Beobachteten, ganz besonders auch seines Mitbewohners Olaf (der irgendwann einfach auftauchte, bei ihm zu wohnen beschloss und seither einfach sein Acid wegfrisst), herleitet. Gepaart mit seinem fotorealistischen Zeichenstil (er benutzt für seine Zeichnungen Fotografien aus seinem Umfeld als Vorlagen) ergibt sich eine unterhaltsame und prägnante Milieustudie. ◊ ◊ ◊
Amanda Vähämäki: The Bun Field Bei „The Bun Field“ handelt es sich um die englischsprachige Ausgabe von Amanda Vähämäkis Erstling „Campo Di Baba“ aus dem Jahr 2005 (auch wenn dies im Impressum nicht vermerkt wurde). Im gleichen Jahr gewann sie den Preis des Fumetto in Luzern und gilt seither als eines der großen europäischen Nachwuchstalente des graphischen Erzählens. Hierzulande konnte man die Arbeiten der Finnin aus dem italienischen „Canicola“-Umfeld bisher nur im „Orang“-Magazin (Nr. 5 und 7) bewundern. Wie auch die dortigen Geschichten, so bewegt sich auch „The Bun Field“ in einer nur als surreal-traumhaft zu bezeichnenden Umgebung. Die „Handlung“ bzw. das, was man so zu bezeichnen versucht ist, besteht aus einer Abfolge skurriler Episoden um ein kleines Mädchen. Am ehesten erinnert sie mit diesem Vorgehen dabei an Moebius „Hermetische Garage“. Moebius zeichnete, in Anlehnung an die écriture automatique der Surrealisten, ungeordnet seinen Ideenstrom auf. Bei Vähämäki wird dieser Effekt noch dadurch verstärkt, dass sie ihre Seiten im Zustand des Überarbeiteten belässt. Ausradierte Stellen sind sichtbar, Linien sind verwischt und hier und da finden sich Fingerabdrücke der Künstlerin. Dem Comic als „Massenzeichenware“ ringt dieses Vorgehen produktionstechnisch ein Körnchen Individualität ab, wohingegen dadurch die Geschichte um das kleine Mädchen, in all seiner Verstörtheit und Undurchschaubarkeit, eine bestechende persönliche Note erhält. ◊ ◊ ◊
Niklas Asker: Second Thoughts Das Comicdebut eines schwedischen Illustrators erscheint zuerst beim amerikanischen Kleinverlag Top Shelf? Ja natürlich, so kann die Antwort nur lauten, wenn man Niklas Askers „Second Thoughts“ einmal gelesen hat. Allerdings wird es bei einmal lesen nicht bleiben, so viel sei direkt einmal vorweggenommen. „Second Thoughts“ berichtet von zwei Menschen, die sich zufälligerweise in London auf dem Flughafen treffen, und ihren jeweiligen sehr eigenen Liebesbeziehungen. Jess ist eine Schriftstellerin auf der verzweifelten Suche nach einem neuen Stoff. Ihre Freundin ist ein internationaler Rockstar und tourt ständig die Welt. John ist Fotograf und möchte seiner jetzigen Beziehung entkommen. Auf dem Flughafen will der eine jemandem nach New York entfliehen, die andere wartet auf jemanden aus New York. Damit ist die Geschichte schon einmal international, hinzukommt, dass Asker die gesamte Arbeit an seinem Comic auf seinem Blog dokumentiert hat. Bis hin zur Nachricht, dass Top Shelf den Titel veröffentlichen wird. Soviel zur eingangs gestellten Frage. Doch allein deswegen ist der Comic natürlich keineswegs lesenswert. Es ist die eindrucksvolle Schilderung der Liebesbeziehungen von Jess und John. Mit großem psychologischem Gespür wird der Moment nachgezeichnet, an dem es einfach nicht mehr weitergeht. Oder nicht mehr weiterzugehen scheint, der Moment, an dem man ‚es sich noch einmal überlegt‘. Das dabei keine Allerweltsliebesgeschichte entstanden ist, liegt an Askers erzählerischem Talent. Hierzu sei nur soviel verraten, dass es ihm gelingt, die Lesererwartungen quasi vom ersten Moment an zu unterwandern. Die Überraschung am Ende wird groß sein, eine weitere Lektüre unumgänglich. Das alles wird in wundervollen, kräftigen schwarz-weiß Zeichnungen präsentiert, die man versucht ist als Markenzeichen von Top Shelf-Publikationen zu bezeichnen. „Second Thoughts“ ist ein dünnes Bändchen und schnell gelesen. Doch bereits nach dem ersten Lesen wird es die Herzen der Leser gewinnen (wie Paul Gravett auf der Umschlagrückseite verspricht). ◊ ◊ ◊
Jordan Crane: Uptight # 3 Jordan Crane gehört zusammen mit Kevin Huizenga („Ganges“, „Or Else“) und Sammy Harkham („Crickets“, „Kramers Ergot“) zu einer jungen Zeichnergeneration, die hierzulande beinahe vollkommen unbemerkt die alternative Comicszene in Amerika gehörig aufmischt. Alle drei fallen durch einen feinen, beinahe liebevollen, und dennoch distanzierten Zeichenstrich auf, der ihren Geschichten je nach Bedarf einen leichten Humor oder kalte Eindringlichkeit zu verleihen vermag. - Daneben eint sie eine unglaublich unregelmäßige Erscheinungsweise ihrer Arbeiten; so erschien in diesen Tagen mit knapp einem Jahr Verspätung die dritte Nummer von Cranes Serie „Uptight“. In „Uptight“ veröffentlicht Crane jeweils zwei, drei kurze Geschichten, die teilweise für sich alleine stehen und teilweise Fortsetzungsgeschichten darstellen. In der vorliegenden Nummer könnten die beiden Geschichten kaum unterschiedlicher sein: Mit „Vicissitude“ beginnt eine neue Fortsetzungsgeschichte, die ganz Cranes Vorliebe für meditative Beziehungsgeflechte zwischen Leben und Tod, Liebe und Betrug absteckt, während man die Beziehung zwischen Dolores und Leo verfolgt. In „Freeze Out“ hingegen begegnet der Leser erneut dem kleine Schuljungen Simon und seiner fetten Katze Jack. Bekannt wurden die beiden durch Cranes „The Clouds Above“, sicherlich einem der schönsten Kindercomics der vergangenen Jahre (der ursprünglich als Webcomic lief). Auch in ihrem neuesten Abenteuer beginnt alles mit einem Rauswurf aus dem Unterricht, nur das sie diesmal von Rosalyn begleitet werden. Natürlich machen sie sich nicht auf zum Direktor, viel spannender ist die Arbeit des Hausmeisters an der Kühlung der Cafeteria. Und da alle Kinder ja wissen, dass das Gepolter in den Rohren von Monstern verursacht wird, überrascht es sie auch nicht, als sie ein solches im Kühlraum vorfinden ... Man kann nur hoffen, dass Jordan Crane für sein nächstes Heft nicht wieder Jahre benötigt. ◊ ◊ ◊
Kevin Huizenga: Or Else # 5 Der neueste Teil der „Or Else“-Reihe ist nun auch nicht mehr ganz so neu, aber da Huizenga bisher nichts neues vorgelegt hat, ist es nach wie vor erwähnenswert. Hauptfigur in den meisten Geschichten Huizengas ist Glenn Ganges, ein Männchen mit ovaler Kopfform, Knopfaugen und Knubelnase. Ähnlich wie Hergés Tim stellt Glenn somit eine Maske für den jeweiligen Betrachter dar, durch die er sich in das abgebildete Geschehen hineinversetzen kann. Ursprünglich sollte die Figur als Model in allen seinen Geschichten dienen, aber über die Zeit hinweg bekam Glenn eine Frau und in der Vergangenheit haben beide ein Kind verloren. So lesen sich alle Episoden um ihn mittlerweile wie Fragmente aus einer sehr verworrenen Lebensgeschichte. Mit der aktuellen Nummer hat Huizenga nun die sicherlich verstörendste Episode vorgelegt, in der man Glenn als älterem Mann begegnet. In einem von Religionskriegen zerstörtem Land, lebt er alleine im Keller eines heruntergekommenen Hauses. Die Ausführungen über religiöse Ereifererund die Folgen eines fundamentalistischen Konflikts gehören sicherlich zum politischsten, was er bisher gezeichnet hat. ◊ ◊ ◊
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