Die Reihe »yellow.
schriften zur comicforschung«
des C. H. Bachmann Verlags
In Deutschland von einer interdisziplinären oder gar institutionalisierten Comicforschung zu sprechen, wäre schlicht übertrieben. Sie ist höchstens eine Angelegenheit versprengter Intellektueller, die sich vornehmlich im kultur- und literaturwissenschaftlichen Umfeld bewegen. Es gibt die auf den deutschsprachigen Raum fokussierte Gesellschaft für Comicforschung und die dem Institut für Germanistik zugehörige Arbeitsstelle für Graphische Literatur der Uni Hamburg, zu deren Publikationsbemühungen unter anderem die gelegentliche Mitarbeit an der einzig ernst zu nehmenden, halbjährlich erscheinenden Fachzeitschrift „Reddition“ und der 2002 veröffentlichte Tagungsband „Ästhetik des Comic“ (Erich Schmidt Verlag) zählen. Einige Verlagsankündigungen für die nahe Zukunft lassen zwar bereits frohlocken (etwa der Themenband „Comics, Mangas, Graphic Novels“ der Literaturzeitschrift „Text + Kritik“, die Aufsatzsammlung „Comics. Zur Geschichte und Theorie eines populärkulturellen Mediums“ bei Transcript oder Ole Frahms Monographie über „Die Sprache des Comics“ bei Philo Fine Arts), können jedoch aufgrund ihrer überschaubaren Summe leider bislang den Eindruck eines Nischenphänomens nicht hinter sich lassen.
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Banhold, Lars: Batman. Konstruktion eines Helden, 2. Aufl., Ch. A. Bachmann Verlag, Bochum 2008, ISBN 978-3-941030-02-2, 100 Seiten, 10,90 Euro
Lohse, Rolf: Ingenieur der Träume. Selbstreflexive Komik bei Marc-Antoine Mathieu, Ch. A. Bachmann Verlag, Bochum 2008, ISBN 978-3-941030-09-1, 134 Seiten, 12 Euro
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Erfreulich ist es da natürlich, wenn sich, wie der im Juni 2008 in Bochum gegründete Ch. A. Bachmann Verlag, ein ambitionierter Kleinverlag findet, um diesem Missstand kühn entgegenzutreten. Zum prinzipiellen ökonomischen Risiko gesellt sich da nämlich der, nach wie vor in einer Schieflage sich befindende Ruf, der die theoretische Auseinandersetzung mit Comics überhaupt erst in ihre Peripherie führt, und ein dummes Vorurteil lässt sich am besten immer noch durch sorgfältige Arbeit entkräften. In diesem Sinne sind die ersten beiden Veröffentlichungen der Reihe „yellow. schriften zur comicforschung“ ein fast schon idealtypisches Beispiel dafür, was zum Ge- und Misslingen einer guten wissenschaftlichen Arbeit beiträgt.
Den Auftakt bildet Lars Banholds für diese Publikation erweiterte Bachelorarbeit „Batman. Konstruktion eines Helden“. Der Titel verspricht mit seiner diffusen Programmatik bereits alles, was das Buch schließlich zu erfüllen in der Lage ist. Formale Ungereimtheiten gibt es zwar viele, und sie kratzen zu sehr gehäuft natürlich auch an der Seriosität, sie sollten aber zumindest der Gesamtheit einer guten Idee nichts anhaben können – wenn sie denn inhaltlich besticht. Ein besseres Lektorat wäre dem Buch dennoch zu wünschen gewesen: Neben zahlreichen Tipp-, Komma- und Grammatikfehlern finden sich unvollständige Literaturangaben, schiefe oder gar terminologisch falsche Sprachbilder, fehlende Zitatangaben und fehler- oder lückenhafte Informationsaufarbeitungen. Das ist zwar ärgerlich, aber diese Mängel könnten mit der mittlerweile vierten Auflage bereits ausgebügelt sein. Inhaltlich dürfte dies weniger zutreffen, denn es wäre mit einer völligen Neukonzeption der gesamten Ausrichtung verbunden gewesen. Die titelgebenden Konstruktionen sind denn nämlich tatsächlich das größte Manko: Sie bleiben theoretisch leer und bilden den einzigen inhaltlichen Fixpunkt, weswegen sich Banhold ohne Hilfe eines erkenntnistheoretischen Ansatzes im Resultat durch ein Sammelsurium manchmal gelungener, meist steiler, oftmals inkommensurabler Thesen arbeitet: Das Problem besteht schlicht in der Abwesenheit eines roten Fadens. Von Batmans literaturhistorischen Vorbildern, der Konstitution seiner Figur und des ihn umgebenden Settings geht es weiter zu seinen comic- und filmspezifischen Inkarnationen in chronologischer Form. Und dieser Weg ist gesäumt von mannigfaltigen Baustellen: Versatzstücke von Foucault und Deleuze werden nicht theoretisch eingebettet, sondern stattdessen begrifflich in Fußnoten abgehandelt: Batmans Maske sei Ausdruck einer „Nicht-Dialektik“, um den Antagonist in eine unterlegene Position zu treiben, die Figuren scheinen nach einer „Deterritorialisierung“ zu streben; der Joker dekonstruiere in seiner Funktion als Antithese (was denn nun?) positiv konnotierte Elemente; die Stadt Gotham sei ein abweisender Moloch, dann wiederum jedoch manifestiere sich an ihr Freuds (allerdings nach Georg Seeßlen zitierter) „Beginn des Grauens“ und das Vertraute werde zum Bedrohlichen; die Doktortitel der gegnerischen Figuren können „auf eine allgemeine Angst vor Manipulation durch die Psychoanalyse zurückgehen“; und weil Batman/ Bruce Wayne in einer von Wirtschaftskrisen gezeichneten Welt mit enorm viel Reichtum ausgestattet sei, könne sich der Leser in ihm „wiedererkennen und so seine Wünsche über Bildung, sportliche Fähigkeiten und gesellschaftlichen Rang erfüllt sehen.“
Die Unvereinbarkeit und Widersprüchlichkeit dieser Aussagen wird nutzbar gemacht, um die (historische) Wandelbarkeit der Figur und ihre Konstruktion offenzulegen. Später kommt Banhold gar zu der Behauptung, es gäbe keine Grundmerkmale, die die Batman-Figur definieren, sondern lediglich verschiedene Teile, die beliebig kombinierbar seien. Deswegen sei sie mittlerweile postmodern – sie lasse sich mit jedem beliebigen Genre, Hypotext und Code verbinden. Ungeachtet dessen, ob diese Eigenschaft für eine postmoderne Attribution bereits genügt, warum diese Erkenntnis nicht für unzählige weitere Serienfiguren gelten sollte und ob sie so radikal überhaupt zutreffend ist (Batman mit Downsyndrom?), bleibt die Frage nach dem Mehrwert einer forschungsleitenden Suche danach, welchen Transformationen eine Figur im Laufe ihrer Historie unterliegt, wenn dazu kein konsistentes Warum an die Hand gereicht wird. Kurz gesagt: Das Buch schwimmt durch seine Beobachtungen, argumentiert mal verwertungsökonomisch, mal rezeptionsanalytisch, mal poststrukturalistisch, mal schlicht soziologisch und derlei mehr, und kann, weil es sich keiner klaren Fragestellung und damit verbundener Prämissen verschreibt, deswegen viele Behauptungen zu Erkenntnissen deklarieren. Damit setzt es allerdings selbst fort, was es seinem Gegenstand abgerungen zu haben glaubt: Beliebigkeit.
Beliebigkeit ist, im übertragenen Sinne, auch das, was Marc-Antoine Mathieus Figur Julius Corentin Acquefacques in dessen fünfbändigen Zyklus „Gefangener der Träume“ regelmäßig zum Verhängnis wird. Zumindest in jenem Sinne, dass ein beliebiges Element des ihn überhaupt erst zum Leben erweckenden Mediums zur potentiellen Gefahren- wie Humorquelle wachsen kann. Es sind nämlich die comicspezifischen Strukturmerkmale, aus denen Mathieu den narrativen Kern seiner Erzählungen schöpft und die im Rahmen der Diegese ebenso strukturbindend sind. Dabei ist Medienreflexivität im Comic sicher nichts neues, wie Rolf Lohse in seiner Monographie „Ingenieur der Träume. Medienreflexive Komik bei Marc-Antoine Mathieu“ mit den Verweis auf Winsor McCays „Little Nemo“ einleitend feststellt. Allerdings wird sie allenfalls fragmentarisch berücksichtigt und nicht, wie bei den Abenteuern Julius Corentin Acquefacques, zu einer allumfassenden narrativen Gestaltungsmöglichkeit genutzt.
Lohses Arbeit bietet zweierlei: ein in jeder Hinsicht beeindruckendes und pointiertes Beispiel einer werkzentrierten Comicanalyse, gleichermaßen aber auch eine semiotisch unterfütterte Einführung in die Humortheorie. Denn Lohse geht es vornehmlich um die medienreflexive Komik, die Mathieus Werk in dieser doch recht einzigartigen Weise bestimmt. Ausschlaggebend hierzu ist zum einen, dass das für die Medienreflexivität benötigte transgressive Element nicht inhaltlich, sondern medienspezifisch bestimmt ist: der Raum, die Panels, die Zeit usw., also Spezifika des Comic selbst, werden zum Dreh- und Angelpunkt eines Konflikts, gerieren für uns und die Figur eine kafkaeske Welt, die den Gesetzen von Träumen gehorcht. Damit sie indes weder einzig unheimlich wirkt, noch Gefahr läuft, die Komik durch Willkür zu neutralisieren, muss ihre Darstellung zugleich einer inhärenten Normalität folgen: Folglich bewegt sich Acquefacques als Durchschnittsbürger durch ein überbevölkertes Paralleluniversum, das in erster Linie von Arbeitszwang und Bürokratisierung bestimmt ist, aber gleichzeitig verrückt genug ist, dass seine Bewohner bei der geringsten Realitätsirritation an ihm nicht umgehend verrückt werden.
Mit diesen Grundlagen bewegt sich Lohse eindrucksvoll durch die fünf folgenden Einzelanalysen und kann mit dieser Arbeit in jeder Hinsicht den schlechten Eindruck seines schwächelnden Reihenvorläufers korrigieren. Vor allem aber weckt sie gleich mehrere Lüste: auf eine baldige Fortführung der yellow-Reihe und auf eine Neuentdeckung von Marc-Antoine Mathieus Oeuvre sowieso, was doch wohl der wünschenswerteste Effekt ist, den ein Buch erzielen kann. An dem in der Vorschau bereits angekündigtem Tagungsband der Gesellschaft für Comicforschung wird sich wohl zeigen, ob diese (erhofften) Vorschusslorbeeren berechtigt sind. Die Chancen stehen 50:50. Immerhin.