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10. April 2009
Christopher Pramstaller
für satt.org

  Fumetto 2009-Logo

Der Artist in Residence Blutch war nicht nur mit Orginalzeichnungen seines Comics „Der kleine Christian“ auf dem Fumetto vertreten. In einer Ausstellung präsentierte er außerdem großformatige Bilder.



Grelle, fast schon aufdringliche Farben bestimmen Yuichi Yokoyamas Bilder

Grelle, fast schon aufdringliche Farben bestimmen Yuichi Yokoyamas Bilder ...


Yuichi Yokoyama

... seine Mangas hingegen sind auf ihre Essenz reduziert.

Fumetto 2009

Vor der malerischen Kulisse der Schweizer Berge und des Vierwaldstätter Sees liegt die Stadt Luzern. Ruhig und bescheiden geht es hier zu. In den engen Gassen der Altstadt flanieren die Touristen. Etwas weiter an der Reuss, werden unzählige Bilder der alten Holzbrücken gemacht. Auf den ersten Blick ist kaum zu ahnen, dass hier ein Comic-Festival stattfindet. Weder herrscht großer Trubel, noch sind die einschlägigen Verlage vor Ort, Superhelden-Pappaufsteller stehen nicht im Weg herum und auch die Cosplayer scheinen keinerlei Interesse an diesem etwas anderen Comic-Festival zu haben. Und doch ist das Fumetto der wichtigste Anlaufpunkt für den experimentellen Comic in Europa. Mit 55 000 Besuchern verteilt auf neun Tage, war das Publikumsinteresse auch in diesem Jahr ungebrochen groß. Neben den Ausstellungen etablierter Größen wie Rutu Modan, Mark Newgarden oder dem diesjährigen Artist in Residance Blutch, sind auch die Werke von eher unbekannten, aber dennoch hochinteressanten Künstlern zu sehen. Allesamt sind sie Grenzgänger zwischen Illustration, Narration und Kunst.

Dass Luzern nicht alljährlich für eine Woche überquillt und von Comic-Aficionados überrannt wird, hat jedoch auch einen Grund. „Einer der Hauptunterschiede zu andern Festivals ist, dass hier die Künstler und ihre Werke im Mittelpunkt stehen“, erklärt der künstlerische Leiter des Festivals Lynn Kost. „Das Fumetto soll Plattform und Netzwerk für Inhaltliches sein.“ Auch die Künstler vor Ort empfinden die Atmosphäre als sehr angenehm, tauschen sich untereinander aus und finden auch immer wieder Zeit für ein Gespräch mit den Besuchern an der Festival-Bar.

Das Fumetto fühlt sich konsequent Kunst, Avantgarde und Experiment verpflichtet, dem Spiel mit Erzählung und der Suche nach neuen Wegen der Narration. Besonders in der diesjährigen Ausgabe 2009 nutztte das Fumetto die Chance, künstlerische Positionen aufeinander prallen zu lassen und in Referenz zueinander zu stellen. Es sollten Momente kreiert werden, welche die Besucher dazu animieren, sich mit in Bildern Erzähltem auseinander zu setzen und danach vielleicht auch einen Comic in die Hand zu nehmen. Die experimentierfreudige Art, wie der Comic von vielen der Künstlern hier begriffen wird, sensibilisiert die Besucher für das Medium. Auf Trends aufzuspringen, um große Publikumserfolge zu feiern, ist Lynn Kost nie in den Sinn gekommen. „Die Manga-Welle hat zwar vor einigen Jahren stark eingeschlagen. Viele der hierzulande bekannten Werke arbeiten oft auch sehr stereotyp.“ In diesem Jahr sind mit Yuichi Yokoyama und Daisuke Ichiba dennoch zum ersten Mal zwei Künstler aus Japan in die Schweiz gekommen. An ihrem Beispiel soll jedoch eher gezeigt werden, dass auch dort sehr experimentell mit der Bildsprache gearbeitet wird.

Trotz der vielen experimentellen Ansätze und Ausstellungen mit Künstlern, die ihre Wurzeln unzweifelhaft in der Illustration haben, ist das Herz des Festivals immer noch der Comic. Im Picasso-Museum, in einer der vielen engen und verwinkelten Gassen direkt im Stadtzentrum, finden sich Ausstellungen von Blutch, Mark Newgarden, Rutu Modan und Ever Meulen. Auf drei Stockwerken hängen Originalseiten, Skizzen und Drucke.

„Vom Comic ausgehend kommt aber alles hinzu, was mit Bild und Narration zusammenhängt. Also freie Kunst, Illustration und viele andere Medien“, so Lynn Kost weiter. Wirft der Besucher einen Blick auf das Programm, das aus 18 Haupt- und 56 Satellitenausstellungen besteht, wird deutlich, was er damit meint. Nur etwa die Hälfte der großen Ausstellungen wird von Künstlern bestückt, die direkt aus dem Comic kommen, wie dem Franzosen Blutch oder der Kanadierin Genieviève Castrée. Darunter mischen sich Namen, die selbst Comic-Experten meist neu sein dürften. Yuichi Yokoyama ist einer davon. Der Japaner kommt ursprünglich aus der freien Kunst-Szene und malte lange Zeit Gemälde. Für ihn war jedoch ein Punkt erreicht, an dem ihn die Abgeschlossenheit des Gemäldes zunehmend störte. Auch was vor und nach diesem Moment passiert, wollte er darstellen. Die Mangas, die er seitdem zeichnet, reduziert er auf deren Essenz – die Dynamik. Seine Werke hängen im Luzerner Kunstmuseum, im Nebenraum stellt David Shrigley aus und auch das Schweizer Duo Elvis Studio hat einen Raum mit ihren großformatigen Bilderlandschaften bestückt. Und dies nicht nur für für eine Woche, sondern für die gesamte Ausstellungsphase bis Ende Juni. Im Kunstmuseum, in dem die Dauerausstellung aus Bilderzyklen aus dem 16.Jahrhundert und Altarbildern besteht, wird am deutlichsten, was das Fumetto leistet – Verbindungen zu andern Genres und Künsten aufzubauen und Bezüge herzustellen. Denn in den Arbeiten von Shrigely, Yokoyama und Elvis Studio findet die alte künstlerische Erzählung der Bilderzyklen und Wandbilder eine moderne Fortsetzung und es ergibt sich ein stimmiges Gesamtbild. Hier trifft die neunte auf die schon etablierten Künste, Fumetto-Besucher auf Wochenendausflügler, Desinteresse und Kopfschütteln auf Neugier und Austausch.

Ein weiteres zentrales Element des Fumettos, neben dem Comic und den angrenzenden Künsten, ist der alljährlich stattfindende Wettbewerb, aus dem das Fumetto vor 18 Jahren entstanden ist. Jedes Jahr senden über 1000 Künstler aus aller Welt ihre Comics ein und hoffen auf die heiß begehrten Preise. Wer hier gewonnen hat, der hat gute Chancen auch einen Verlag für seinen Arbeiten zu finden, wie Amanda Vähämäki, die den Wettbewerb 2005 gewonnen hat und nun mit einer eigenen Ausstellung auf dem Fumetto vertreten ist. Auch in diesem Jahr kommt die Gewinnerin wieder aus Finnland. Es ist die 1979 geborene Anna Sailamaa.

Wer sich nach Luzern begibt und beim Fumetto ein klassisches Comic-Festival erwartet, der sollte besser gleich einen großen Bogen um die Stadt machen. Wer aber in Sachen experimentellem Comic die Nase im Wind haben will, für den ist ein Besuch in der Schweiz Pflichtprogramm. Denn nirgendwo sonst in Europa gibt es so viel interessante neue Künstler und Entwicklungen zu entdecken. In Luzern ist über die Jahre ein Festival entstanden, das sich trotz des großen Renommee, das es mittlerweile weit über die Schweiz hinaus genießt, eine einzigartige Sympathie und einen unkommerziellen Charakter bewahrt hat, der Lust macht, auch im nächsten Frühjahr wieder in diese wunderschöne Stadt am Vierwaldstätter See zu fahren.

Mark Newgarden

Mit Mark Newgarden präsentierte das Fumetto auch eine Größe des US-amerikanischen Comics.