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6. Januar 2009
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Sven Jachmann
für satt.org |
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Kaffee? Nein dankeNeu ist das Genrehopping im Werke Trondheims nicht (und eine Aufzählung ist bei diesem gigantischen Œuvre nun wirklich nicht nötig). Jedoch der ungewohnt ernste Ton, den seine zusammen mit dem Literaturwissenschaftler Apollo ersonnene Piratengeschichte fast durchgängig anschlägt, markiert vielleicht, nach der ebenfalls eher nachdenklichen, von Selbstzweifeln durchzogenen Reflexion „Außer Dienst“, einen inhaltlichen Umbruch. Denn vom mystifizierenden Glamour der freiheitssüchtigen Meeresbezwinger oder der doppeldeutigen Schlitzohrigkeit eines Captain Jack Sparrow könnte Trondheims Figurenensemble nicht weiter entfernt sein. Tatsächlich wird im Verlauf der Geschichte noch jede Figur ihrer Hoffnung beraubt und mit der ihr eigenen Tragik konfrontiert, um nicht zu sagen zurückgelassen. Das gilt für den jungen Nachwuchsornithologen Raphael – der Klammer dieser fiktiven Erzählung im genau recherchierten Setting –, der an ein denkbar tristes Piratendasein auf der titelgebenden Insel Bourbon gerät, das wenig mit seinen glorifizierenden Vorstellungen gemein hat. Es gilt ebenfalls für seinen vergeblich die Wälder nach dem längst ausgestorbenen Dodo auskundschaftenden Lehrer. Für den gealterten Piratenkapitän, der aussichtslos den Kampfgeist seiner alten Weggefährten zu mobilisieren versucht, um die berüchtigte Autoritätsgestalt La Buse vor dem Strang zu retten, für den naiven Sklaven, der, im Glauben an die Barmherzigkeit seines Besitzers, auf seine baldige Freiheit hofft und das politische Ränkespiel gar nicht bemerkt, in dem er sich schon immer befand, für den längst resignierten Piraten, der sich dem Befreiungsversuch seines einstigen Kapitäns anschließen will und doch nur im Suff von alten Zeiten lallt und für den von allen entweder mystisch verehrten oder schlicht geleugneten Mafate, der sich in die Regionen des Vulkans zurückgezogen hat, in den er sich schließlich nach einem kurzen Auftritt stürzen wird – der Abgang eines Relikts aus einer Welt, der er längst nicht mehr gewachsen ist. Die Insel Bourbon war ein Refugium. Wer sich als Pirat auf ihr niederließ, genoss Amnestie und konnte unbescholten das Zerrbild einer frühbürgerlichen Existenz anstreben – als Farmer respektive Sklavenhalter einer Kaffeeplantage oder als monarchietreuer Sklavenjäger. Drum erzählt das Autorengespann weniger vom Wandel der dahinter verborgenen Ökonomie, sondern vom Verlust der individuellen Freiheit und dem Einzug einer Zweckrationalität, die jeden Raum für Utopien verschlingt. Die Gründung der selbstverwalteten und schnell annektierten Seeräuberrepublik Libertalia entlockt ihren damaligen Bewohnern zwar ein sehnsuchtsvolles, aber dennoch desillusioniertes Schulterzucken: „Es ist vorbei ... mit den Piraten ist es vorbei.“ Raphaels bestürzte Fragen zu den idealistischen Pfeilern des libertaliasischen Freiheitsbegriffs unterstreichen nur noch die Unausweichlichkeit der Erkenntnis: Der Pirat ist nun ganz und gar Kaufmann. Es ist bemerkenswert, wie schnell die Erzähltechnik des Autodidakten Trondheim den so krakelig daherkommenden Funny-Stil vergessen lässt. Zumal die schwarzweißen Zeichnungen so manches Panorama zum Suchbild der es füllenden Figuren transformieren. Bestechen seine humoristischen Arbeiten oftmals durch die zeitliche Dehnung einer Sequenz, ist es hier die höchstfilmische Präsentation von Stimmungen. In einer fast wortlosen Szene etwa jagen drei betrunkene Piraten am Strand ein Huhn. Dabei wechseln die Ansicht und der Einsatz der Tiefenperspektive mit dem Rhythmus ihrer Trunkenheit: Zwei Piraten verfolgen Steine werfend das panische Tier. Der vordere stürzt, während sich der zweite bereits in den Vordergrund drängt. Rückenperspektive auf den zweiten Piraten und das Spiel wiederholt sich anschließend in umgekehrter Reihenfolge, bis beide im Bild zu sehen sind. Es folgt die leicht froschperspektivisch angesetzte Halbtotale auf ihre trunkenen, hasserfüllten Gesichter. Der Dritte schläft bereits derweil unter einer Palme seinen Rausch aus. Was zunächst wie Slapstick anmutet, bebildert eigentlich die unadressierte Destruktion einer aussterbenden „Zunft“, und an Trondheims scheinbar simplen Strich (der eben dennoch ein ganzes Arsenal an Emotionen erzeugt), zeigt sich erneut, dass die Technik des Erzählens effektiver sein kann, als das überladene zeichnerische Handwerk. Das Resultat enthebt sich von den Verpflichtungen dokumentarischer Akkuratesse; die sprunghaft anmutende Figurenkonstellation verweist auch hier erneut auf das, was Trondheims lange Erzählungen am stärksten zusammenhält: den Dialog. Dessen Einsatz ging bei ihm schon immer über seine Funktion als Mittel der Empathielenkung und Informationsversorgung hinaus. Bei „Insel Bourbon 1930“ attackiert er förmlich das wohlige Gefühl, durch ganz selten aufscheinenden Wortwitz überhaupt einen Anflug von Hoffnung in den Handlungsverlauf einzuschreiben. Denn angesichts des fortschreitenden Geschehens nimmt er sich dann und wann urplötzlich umso bitterer aus. Die Kapitel pointieren übersichtlich die Bevölkerungsgruppen und tragenden Figuren. Aus deren Interaktionen entsteht tatsächlich ein Gespür für die abweisende Beschaffenheit des Territoriums. In letzter Instanz ist es Trondheims Spiel, sowohl mit den Gesetzen des Abenteuergenres, als auch mit seinem eigens entwickelten, ironisierenden Modus des Erzählens zu verdanken, dass man immer wieder dem Glauben verfällt, einen typischen Trondheim in der Hand zu halten. So oder so, es ist letztlich nur allzu verständlich, warum Raphael auf der Heimreise den Kaffee eines Matrosen dankend ablehnt.
Appollo, Lewis Trondheim: |
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