Anzeige:
Sofie Lichtenstein: Bügeln. Protokolle über geschlechtliche Handlungen





März 2008
Christopher Pramstaller
für satt.org

Adrian Tomine: Shortcomings

Adrian Tomine: Shortcomings
Die Beziehung als Dauerkrise.
Adrian Tomine: Shortcomings
Abbildungen © Adrian Tomine
Adrian Tomine: Shortcomings
Sinnleere nach Mikos Abflug nach New York.

Adrian Tomine
Siebzehn Jahre Comics
– Ein Portrait –

Die zeichnerische und künstlerische Entwicklung Adrian Tomines ist eine Besondere – denn sie ist schon seit seinem 16. Lebensjahr beobachtbar. Der 33-jährige US-Amerikaner erstellte bereits als Schüler Anfang der 1990er Jahre, in der DIY-Hochzeit des US-Comics, erste Arbeiten, die er in mühsamer Handarbeit am Kopiergerät vervielfältigte und an Mitschüler verteilte. Diese mittlerweile in „32 Stories – The Complete Optic Nerve Mini-Comics“ erschienenen Kurzgeschichten führen dem Leser Tomines erste Gehversuche als Autor vor Augen. Neben der Orientierung und dem Experimentieren mit zahlreichen Zeichenstilen kann in Tomines frühen Comics ein deutlich autobiographischer Bezug ausgemacht werden. Er erscheint hier als introvertierter und zurückgezogener, aber dennoch exzentrischer Zeichenfreak, der auf Identitätssuche in den Jahren der Pubertät mit Problemen wie dem ersten Job, der Schule oder dem angesagtesten Haarschnitt zu kämpfen hat. Neben Geschichten um Tomine selbst stehen zum einen Stories, die, wie er es in Interiews beschreibt, aus seinem Freundeskreis und Lebensumfeld aufgegriffen sind und es authentisch widerspiegeln, und zum anderen einzelne fiktionale Erzählungen.

Der kanadische Verlag Drawn & Quarterly wurde schnell auf den schon zu dieser Zeit als eines der größten Talente der amerikanischen Comic-Szene geltenden Tomine aufmerksam und begann 1994 mit der Publikation der in Berkley verwurzelten „Optic Nerve“-Serie, an deren Fortsetzung Tomine auch heute noch arbeitet. Wieder sind Themen der Identitätskonstruktion und des Erwachsenwerdens das Einheit stiftende Element der Geschichten. Abermals finden die Alltagserfahrungen Tomines ihre Umsetzung und Entsprechung in seiner künstlerischen Arbeit. Neben der Reifung auf künstlerischer Ebene, die seinen klar strukturierten und realistischen Schwarz-Weiß-Stil immer deutlicher erkennen lässt, werden auch die Geschichten länger und umfangreicher. In „Sleepwalk“ sind so die ersten vier Bände der „Optic Nerve“-Serie mit insgesamt 16 Geschichten vereint. Die nachfolgende Publikation „Summer Blonde“ vereint derer nur noch vier. Unter dem Titel „Sommerblond“ erschienen diese Geschichten bei Reprodukt auch auf Deutsch; ist jedoch mittlerweile vergriffen.

Mit „Shortcomings“ erschien nun Tomines erste Graphic Novel, die zugleich die längste und komplexeste seiner Geschichten darstellt. „Shortcomings“ ist dabei die Zusammenfassung der letzten drei Bände der „Optic Nerve“-Serie und spiegelt seine Arbeit der letzten fünf Jahre wieder.

Auch in Tomines aktuellem Werk lassen sich autobiographische Bezüge vermuten. Tanaka, der Hauptprotagonist, und Tomine sind beide Anfang 30, Amerikaner japanischer Abstammung und haben eine Erdnussallergie. Ebenso wohnt Tanaka in Berkley, wo auch Tomine bis zu seinem Umzug nach New York im vergangenen Jahr lebte. Doch dort enden auch schon die Gemeinsamkeiten. Biographische Bezüge lassen sich zwar herstellen, werden aber von Tomine in Interviews zurückgewiesen. Vielmehr wehrt er sich gegen den Versuch der Vereinnahmung durch einige seiner Leser, die ihn als ewig zurückgezogenen Zeichner mit Persönlichkeitsproblemen sehen wollen. Der Verdacht des Autobiographischen resultiert dabei aus dem Realismus des Tomine'schen Zeichen- und Erzählstils, der sein neues Werk ebenso wie seine älteren Arbeiten prägt. Die Dialoge und Szenen wirken lebensnah und dem Leser vertraut. Geschäfte, Straßen und Cafés sind von Tomine realen Pendants in Berkley und New York nachempfunden.

Es wird schnell klar, dass Ben Tanakas Beziehung zu seiner langjährigen Freundin Miko Hayashi in einer tiefen Krise steckt. Neben alltäglichen Streitigkeiten trägt Bens Faible für weiße Frauen, das über seine Sammlung an Porno-DVDs hinausgeht, zur Beziehungskrise bei. Als Miko ein Praktikum in New York angeboten wird, schlägt sie vor eine Beziehungspause einzulegen. So gerät Ben in eine Lebenskrise, in der er Job, Beziehung und Alltag grundsätzlich in Frage stellen muss. Begleitet von seiner lesbischen Freundin Alice zieht er schließlich durch das studentische Berkley, auf der Suche nach dem Sinn des eigenen Lebens. Als sich jedoch auch Alice für eine Zukunft in New York entscheidet, unternimmt Ben einen letzten Versuch die Beziehung zu Miko zu retten.

„Shortcomings“ ist eine Geschichte über die Wirren der Liebe und die allzu menschlichen Unzulänglichkeiten. Auf der Suche nach der eigenen (ethnischen) Identität und durch persönliche Probleme geblendet, wirken Ben und Miko auf seltsame Weise getrennt und doch vereint, so unterschiedlich und doch so ähnlich. Beeindruckend ist in der künstlerischen Umsetzung, wie es Tomine schafft, die Realität des Lebens einzufangen ohne dabei eine Spur Sentimentalität aufkommen zu lassen. Wer die vorangegangenen Comics Adrian Tomines zu schätzen wusste, den wird auch „Shortcomings“ begeistern, denn die Graphic Novel bildet ohne Zweifel die gelungene Fortsetzung seiner bisherigen Arbeit. Auf der zeichnerischen Ebene bleibt er seinem aus Summer Blonde bekanntem Personalstil treu. Stilexperimente aus den Jugendjahren scheinen beendet. Lediglich die Schraffierungen verändert er leicht. Auch der Erzählstil folgt schon bekannten Mustern, erreicht jedoch in der Länge eine neue Dimension und dadurch bedingt einen neuen Grad an Komplexität.



Adrian Tomine: Shortcomings
Drawn & Quarterly 2007
104 S., gebunden, $ 19.95
   » D&Q
   » amazon

In Kürze auf Deutsch erscheinend als:
Adrian Tomine: Halbe Wahrheiten
Reprodukt 2008, 104 S., €13
   » Reprodukt
   » amazon