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November 2007
Stefan Pannor
für satt.org

The Mammoth Book
of Best War Comics

Es sollte ein Spaziergang nach Paris werden. Die deutsche Kriegspropaganda versprach 1914 bei Ausbruch des 1. Weltkriegs einen leichten Sieg. Dieser „Spaziergang“ endete wenige Wochen darauf sechzig Kilometer vor Paris an der Marne und wandelte sich dort in einen vierjährigen zermürbenden Grabenkrieg.

David Kendall (Hrsg.): The Mammoth Book of Best War Comics

Schon immer machte sich Kriegspropaganda das Bild vom gloriosen Soldaten zunutze, der ohne eine Schramme und mit dem Vaterland im Herzen durch die Übermacht der Feinde mäht. Als die USA in den 2. Weltkrieg eintraten, standen auch deren Comicfiguren stramm. Micky Maus, Donald Duck, Superman und viele weitere wurden als Vorbilder in ihren Geschichten auf die Schlachtfelder der Welt geschickt. Legendär ein Comic, in dem Superman auf nur zwei Seiten erst Hitler, dann Stalin festnimmt, vor ein internationales Tribunal stellt und den Weltkrieg eigenhändig beendet. Das war 1943, zwei Jahre vor dem wirklichen Ende, für das es keinen Superman gab.

Im Comic fand der strahlende Soldat der Kriegspropaganda für Jahrzehnte seine zweite Heimat. Nach 1945 machten sich unzählige Verlage an die Abarbeitung der Vergangenheit. Und an die Aufarbeitung der neuen Zeit. Korea und Vietnam boten neuen Stoff für falsche Geschichten über Heldentum. Die Hauptfiguren jener oft jahrzehntelang laufenden Serien trugen martialische Namen wie „Sgt. Rock“ oder „Nick Fury“. In England gab es die „Combat Picture Library“ und die „War Picture Library“, die in fast endloser monatlicher Abfolge ein im wahrsten Sinn des Wortes blutleeres Bild vom Krieg repetitierten. (Und in Deutschland gab und gibt es die „Landser“-Romanheftchen, kein Comic, aber ebenso geschichtsklitternd.)

Wie es auch anders geht, zeigte etwa Keiji Nakazawa ab 1972 in seinem Manga-Epos „Barfuss durch Hiroshima“, das die Kriegs- und Nachkriegszeit Japans eindringlich, detailliert und ehrlich schilderte. In Europa waren es Künstler wie Jaques Tardi, die ab den Siebzigern die blutige Vergangenheit des Kontinents ohne falschen Pathos aufarbeiteten. Und Will Eisner erinnerte sich in seinen langen Comicromanen an die eigene Zeit in mehreren Kriegen.

Das von David Kendall herausgegebene „Mammoth Book of Best War Comics“ wagt auf 500 Seiten einen Überblick über das Genre der Kriegscomics. Kendall fördert Perlen zutage. Etwa Nakazawas sechzigseitige Urfassung von „Barfuss durch Hiroshima“ von 1963 mit dem Titel „I SAW IT“ („Ich sah es“). Oder eine winzige Episode über einen vietnamesischen Reisbauern aus der Anthologie-Serie „Blazing Combat“, wegen der diese Serie nicht mehr an US-Army-Newsstands verkauft werden durfte. Das führte zum Ende der Serie.

Mit Alex Toth, Will Eisner, Archie Goodwin und anderen versammelt der Band einige der wichtigsten Comickünstler des 20. Jahrhunderts. Der Band umfasst über vier Jahrzehnte Comicschaffen. Es ist oft keine schöne Lektüre - aber eine gute. Das Kernstück des Bandes aber ist, ausgerechnet und passend, dem namenlosen Comickünstler überlassen. „Landings in Sicily“, erschien anonym inmitten des Pathoswulstes der „Combat Picture Library“. Wer die Geschichte schrieb und zeichnete, ist heute nicht mehr eruierbar. Die vollkommen unprätentiöse Comicnovelle erzählt davon, wie die US-Army New Yorker Mafiosi engagiert, um schon vor der Invasion in Sizilien einen Widerstand vor Ort aufzubauen. „Denken Sie daran“, sagt der Offizier zum Mafia-Boss, „auf Verrat steht bei uns die Todesstrafe.“ - „Lustig“, sagt der Mafiosi“, „bei uns auch.“



David Kendall (Hrsg.): The Mammoth Book of Best War Comics
Carroll & Graf Publishers, New York, 512 Seiten, $ 17,99
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