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Juni 2002
Thomas Vorwerk
für satt.org

Comic-Salon 2002

Erlangen 2002
10. Internationaler Comic-Salon



Nach Salon 4-8 habe ich es endlich auch mal wieder zum 10. Jubiläums-Comic-Salon nach Erlangen geschafft. In vier Jahren Abwesenheit hat sich nicht allzuviel geändert - und das ist gut so. Lautsprecherdurchsagen wie "Am Stand von Berlin Comix signiert Fil sein neues Album 'Didi & Stulle und die größte Sammlung zeitgenössischer Pornographie'" sind immer noch das Salz in der Suppe. Statt mit anderen Fans beim Anstellen für Sketche habe ich mich diesmal vor allem mit Comic-Journalisten und Zeichern unterhalten und durfte mal ausprobieren, wie bevorzugt man behandelt wird, wenn man nicht nur für "irgendeine" Zeitung berichtet. Doch leider muß ich zugeben, daß ich den Großteil des in Erlangen ausgegebenen Geldes nicht für Comics angelegt habe, sondern für Star Trek-Sammelkarten. Asche auf mein Haupt!

Den Erlanger Salon zu beschreiben ist ein schwieriges Unterfangen, denn es sind vor allem die kleinen Einzeleindrücke wie das von vorne ganz nett aussehende "DK2"-Tieschört, das von hinten so saubescheuert aussieht, daß man sich fragt, wieso so viele Leute damit freiwillig durch die Gegend zu laufen scheinen. Doch auch von den plötzlich in großer Zahl auftauchenden weiblichen Comic-Fans (oder liegt das nur an mir?) scheuen sich einige nicht, wie manga-Figuren oder als Lack-und-Leder-Dominas über den Salon zu spazieren. Da zeige ich mich doch lieber als Vertreter der traditionellen Spezies des Fanboy: dreckige Jeans und Comic-Shirt über dem Bauchansatz, ganz wie bei den Simpsons.

Nachdem ich meinen Bryan Talbot-Sketch ergattert hatte (Baru kam leider erst am Samstag), schaute ich mir die Ausstellungen an. Herausragend die Aufmachung der Brüsseler Avantgarde-Gruppe "Fréon", die ihre Exponate teilweise mit hinter dunklen Vorhängen und Holzgestellen verbarg oder mit Leuchtfarbe direkt an die Wand gemalt zu haben schien. Nebenan die Martin tom Dieck-Ausstellung, bei der ich mich mal wieder ärgerte, daß ich nicht mehr über Philosophen und Kulturtheoretiker weiß. Der Name Philippe Petit-Roulet sagte mir vor Erlangen gar nichts, durch den Besuch seiner Ausstellung weiß ich jetzt nicht nur, daß er die treibende Kraft hinter der Twingo-Werbekampagne war (die in Frankreich weitaus subtiler an den Konsumenten heranging als in Deutschland oder gar Japan), jetzt weiß ich ihn auch als Comic-Zeichner zu schätzen, der stilmäßig irgendwo zwischen Seth, Matt Feazell, Maurice Vellekoop und Depuy/Berberian anzufinden ist (in "Drawn & Quarterly Vol. 2 #1" findet man ein Beispiel).

Passend zum tausendsten Geburtstag der Stadt Erlangen widmete man sich auch in mehreren Ausstellungen dem Thema "Stadt", wobei mich weniger die großkotzige Francois Schuiten-Präsentation interessierte als die prekäre Gegenüberstellung von Arbeiten von Michael Lark ("Terminal City") und Darick Robertson ("Transmetropolitan"). Viel eindeutiger kann man den Unterschied zwischen Talent und Dilletantismus nicht demonstrieren. Es erschloß sich mir auch nicht, warum die Arbeiten junger Nachwuchszeichner mit Aufmerksamkeit erregenden Lichtschwertern beleuchtet werden konnten, während die Arbeiten von Baru, Hermann oder Thomas Ott im Zwielicht kaum zu erkennen waren …

Auch bei Frank Cho und Martin Perscheid könnte man darüber diskutieren, wer besser zeichnen kann, und wer bessere Witze erzählt, aber da die Frank Cho-Ausstellung nur aus zehn Werktags-Strips und einem Heftcover bestand, steht Perscheid im direkten Vergleich für Salon-Besucher einfach besser da. Noch peinlicher war nur die Hellboy-Ausstellung, die auch nur knapp in den zweistelligen Bereich vordringen konnte, was die Anzahl der Exponate anging, den Betrachter aber vor allem dadurch verwunderte, daß etwa 80% der Seiten nicht von Mike Mignola, sondern von (zugegebenermaßen gar nicht schlechten) deutschen Nachahmern stammte.

Da ich nur eine Nacht in Erlangen verbrachte, gingen mir einige Podiumsdiskussionen durch die lappen, aber zumindest kam ich mal in den Genuß eines "Comic-Quartetts", wo sich Petra Lakner, Frank Neubauer, Andreas Platthaus und Eckard Sackmann ebenso informativ-engagiert wie amüsant über einige Neuerscheinungen und deren Qualität stritten.

Auch die meisten Gewinner des Max-und-Moritz-Preises sind mir inzwischen bekannt, doch bis auf Nabiel Kanans "Lost Girl", MogaMobos "Hundert Meisterwerke der Weltliteratur" und natürlich "Reddition" erscheinen mir die Preisträger nicht besonders bedeutend und deshalb lasse ich mich darüber an dieser Stelle auch nicht lange aus.

Nicht-Preisträger Bryan Talbot erklärte mir übrigens, daß das schreckliche Cover-Design der deutschen Ausgabe von "A Tale Of One Bad Rat" durchaus mit ihm abgesprochen war, doch besser wird es dadurch auch nicht. Daß Beatrix Potter in Deutschland so gut wie gänzlich unbekannt sein soll, wage ich immer noch zu bezweifeln.

Was gibt es noch zu berichten? Das Pfirsich-Quark-Eis in der Fußgänger-Zone und die Käsewürstchen bei Norma waren delikat, die Diskussion mit suspekten Elementen über das Gedankengut des Donaldismus war erfrischend, das Wetter war superb, und die neue Klimaanlage machte in Zusammenarbeit mit der Fußball-WM aus der sonstigen Massentierhaltung im Kongreßzentrum ein entspanntes Erlebnis. Erlangen ist immer eine Reise wert, wenn zur selben Zeit gerade Comic-Salon ansteht.

Und den Umstand, daß ich Sandras Geburtstag verpasste, machte ich fast wieder damit wett, daß ich ihr eine Fil-Signatur besorgte, obwohl ich keinen Schimmer davon hatte, daß sie zu seinen Hardcore-Fans gehört.

Die fünfzehn nettesten Menschen auf dem 10. Comic-Salon Erlangen:

Andreas Platthaus, Frank Neubauer, Hannes Ulrich, die rothaarige Dame aus der Akreditierung, Lutz Göllner, Udo Smialkowski, Tim Dinter, der Typ von "Lost Comix", Tonia Ackermann, Bryan Talbot, Christian Hausler und die vier AufpasserInnen bei meinen drei Lieblingsausstellungen am Samstag nachmittag in Helmstrasse/Marktplatz