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23. März 2012
Kirsten Reimers
für satt.org

Mordsmäßig68

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Undercover im Herzen der Finsternis

  Robert Brack: Unter dem Schatten des Todes
Robert Brack:
Unter dem Schatten des Todes

Edition Nautilus 2012
Tb, 221 S., 13,90 €
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Der Hamburger Robert Brack schreibt Kriminalromane mit zumeist historisch-politischem Hintergrund. Viele von ihnen sind in Hamburg angesiedelt, so auch die ersten beiden Romane um die streitbare und engagierte Journalistin Klara Schindler. In »Und das Meer gab seine Toten wieder« (erschienen 2008) rollt Brack einen realen Mordfall in den Reihen der Hamburger Polizei im Jahr 1932 auf. Im zweiten Krimi, »Blutsonntag« (veröffentlicht 2010), geht es um die Geschehnisse vom 17. Juli 1932, dem sogenannten »Altonaer Blutsonntag«.

Der dritte, gerade erst erschienene Roman spielt in Berlin im März 1933. Dorthin wird Klara Schindler – nach den Ereignissen des letzten Buches im dänischen Exil – von der Komintern, der Kommunistischen Internationale, geschickt. Ihre Aufgabe: undercover möglichst viel über den Reichstagsbrand und den mutmaßlichen Attentäter, den Holländer Marinus van der Lubbe, herausfinden.

Fakten und Fiktionen

Van der Lubbe war direkt nach dem Brand in der Nacht vom 27. auf den 28. Februar 1933 verhaftet worden, laut Nazipropaganda ein Kommunist. Bereits am 28. Februar 1933 wurde die Reichstagsbrandverordnung – »zur Abwehr kommunistischer staatsgefährdender Gewaltakte« – erlassen. Durch sie wurden die Grundrechte der Weimarer Verfassung weitgehend außer Kraft gesetzt – einer der zentralen Schritte zur Abschaffung des Rechtstaats, die nun einsetzte.

In Bracks Roman erkennt KP-Mitglied Klara Schindler bald, dass es der Komintern bei weitem nicht um die tatsächlichen Hintergründe geht. Vielmehr soll Klara Beweise sammeln, die zeigen, dass van der Lubbe ein Werkzeug des Hitlerregimes ist. Doch die Journalistin widersetzt sich dem, da sie auf Widersprüche und Ungereimtheiten stößt.

Mehr Indizien als Beweise

Diese offenen Fragen waren für Robert Brack der Anlass, den Roman zu schreiben. Wie er im Nachwort erklärt, geht es ihm vor allem um die Person van der Lubbes. Über dessen wirkliche Beweggründe ist bis heute wenig bekannt. Brack hat sehr sorgfältig recherchiert und die inzwischen bekannten Fakten zusammengetragen, doch diese sind eher Indizien als Beweise. Bis heute sind Tathergang und Motive weigehend unbekannt. Ja, nicht einmal die Täterschaft steht mit Sicherheit fest: Nach den gängigen Theorien war der Holländer entweder ein wirrer, nahezu debiler Einzeltäter oder ein williges Werkzeug der Kommunistischen Partei bzw. der NSDAP – je nach Standort des Theoretikers –, der nur mittels handfester Unterstützung einer der Organisationen den Reichstag in Brand setzen konnte.

Bracks Anliegen ist es, hinter die Propaganda von welcher Seite auch immer zu schauen. Dafür lässt er seine Journalistin durch Berlin im frühen März 1933 streifen und mit den unterschiedlichsten Leuten sprechen. Jeder ihrer Gesprächspartner zeichnet ein anderes Bild von der Lubbes, mal wirkt der Holländer ungestüm, mal durchdacht, mal naiv, mal wie ein Aufrührer, mal wie ein kühler Stratege – Fragen bleiben offen, Widersprüche ungelöst. Das ist gut gemacht, denn ohne eindeutige Beweise, nur allein auf Indizien gestützt, gibt es kein konsistentes Bild des mutmaßlichen Attentäters. Brack vermeidet auf diese Weise, etwas in den Holländer hineinzuinterpretieren und ihn in eine bestimmte Richtung zu drängen.

 

Gut gemeint – und gut gemacht

Klara Schindler begegnet bei ihren Recherchen historischen wie fiktiven Figuren, sie diskutiert mit Kommunisten ebenso wie mit Anarchisten und Syndikalisten und stößt sogar auf Vertreter einer vorgeblich antikapitalistischen Strömung innerhalb der NSDAP. Dabei werden nicht nur verschiedene Widerstandsstrategien gegeneinander abgewogen, es zeigt sich auch deutlich die Zersplitterung der Linken Anfang der dreißiger Jahre und ihre Konzeptlosigkeit angesichts von Hitlers Machtergreifung.

Die Konstruktion des Romans ist vielleicht ein wenig verkopft, doch Brack gelingt es, seine Figuren zu lebendigen Verfechtern ihrer Positionen zu formen. Atmosphärisch dicht schildert er die Verunsicherung, in der die Menschen im Frühjahr 1933 lebten, die stete Bedrohung durch die SA, die rücksichtslos brutal gegen Regimekritiker vorging. Brack kann natürlich die historischen Ereignisse nicht ändern, doch er findet eigene Antworten auf die offenen Fragen. Auf diese Weise gelingt ihm ein spannender historischer Roman, der Fakten mit Fiktion geschickt und glaubhaft verwebt.