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Sofie Lichtenstein: Bügeln. Protokolle über geschlechtliche Handlungen




24. November 2013
Thomas Vorwerk
für satt.org

Cinemania-Logo 104:
Wink mit dem Zaunpfahl


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  13. Französische Filmwoche in Berlin


13. Französische Filmwoche in Berlin

Wie im Vorjahr zur Vorweihnachtszeit findet die Französische Filmwoche diesmal vom Donnerstag, den 5. Dezember, bis zum Mittwoch, den 11. Dezember, statt. Der Eröffnungsfilm ist Cédric Klapischs Beziehungsweise New York, der dritte Film in der L'auberge espagnole-Reihe, wie gehabt mit Romain Duris, Audrey Tautou, Cécile de France und Kelly Reilly. Die Eröffnung findet am Donnerstag um 20 Uhr 30 parallel im Kino International und dem Cinema Paris statt.

Am Freitag startet dann das Arsenal seine Reihe mit Filmen mit Catherine Deneuve mit Arnaud Desplechins Un conte de Noël, der vor ein paar Jahren auch in der Hauptreihe im Cinema Paris gezeigt wurde. Zur Eröffnung soll Catherine Deneuve zugegen sein. Innerhalb dieser kleinen Retrospektive wird man Gelegenheit haben, unter anderem Jacques Demys Les parapluies de Cherbourg und Les demoiselles de Rochefort erneut (oder erstmals) zu sehen, Polanskis Repulsion (Ekel), Bunuels Belle de jour, Truffauts Le dernier metro oder Lars von Triers Dancer in the Dark. Genaue Termine entnehme man dem Programm des Arsenal.

Ebenfalls sozusagen parallel zur Hauptreihe findet auch die 14. Cinéfête statt, die vor allem für Schulklassen konzipiert ist und inklusive abrufbarem Lehrmaterial den Französisch-Unterricht versüßen soll. Zu den Höhepunkten des Programms gehört diesmal Céline Sciammas Tomboy, Der Junge mit dem Fahrrad von den Gebrüdern Dardenne und François Ozons In ihrem Haus. Ferner läuft beim Cinéfête auch der bisher nicht regulär in deutschen Kinos gelaufene Das Meer am Morgen von Volker Schlöndorff. Weitere Infos auf cinefete.de.

Zurück zum Kernstück, dem eigentlichen Festival, mit Vorpremieren von bereits mit deutschem Verleih beschenkten Filmen wie Abdellatif Kechiches preisgekrönte Comic-Verfilmung Blau ist eine warme Farbe, dem Berlinale-Beitrag Madame empfiehlt sich (mit Catherine Deneuve), dem Sportfilm Jappeloup über einen Springreiter und in Koordination mit dem Cinéfête Nicolas Vaniers Belle & Sebastian, das in den zweiten Weltkrieg verlegte Remake der Fernseh- / Jugendbuch-Serie von Cécile Aubry.

Außerdem im Programm: Jede Menge Möglichkeiten, beliebte und teilweise im deutschen Kinoprogramm unterrepräsentierte SchauspielerInnen wiederzusehen: Moliere auf dem Fahrrad mit Fabrice Luchini, Suzanne mit Sara Forestier, Zärtlichkeit mit Olivier Gourmet, der auch in Violette mitwirkt (außerdem mit Emmanuelle Devos und Sandrine Kiberlain), und hier und da spielen auch noch Agathe Bonitzer oder Sabine Timoteo mit (das ist der Wink mit dem Zaunpfahl, das Programm selbst ausführlich zu untersuchen).

In diesem Cinemania werden auch zwei Filme aus dem Programm vorgestellt.

Aus den bereits gesichteten Filmen hier eine kleine Top-Ten der Empfehlungen:


*Bis auf je eine Ausnahme (eine Deneuve-Doku ohne Untertitel, eine Regenwald-Doku teilweise sychronisiert) laufen auf der französischen Filmwoche alle Filme im Original mit Untertiteln. So wie Kino sein sollte und man es in den meisten Ländern nicht anders kennt! Denn was würde eine französische Filmwoche für einen Sinn ergeben, wenn man nur entsprechend einer antiquierten Diktatur der Filmbranche die blöden deutschen Synchronstimmen im Ohr hätte? Schudder!
  1. Les paraplouies de Cherbourg (Jacques Demy, 1964) [OmeU]
  2. Repulsion / Ekel (Roman Polanski, 1965) [engl. OmfU*]
  3. Dancer in the Dark (Lars von Trier, 2000) [engl. OmU*]
  4. Der Junge mit dem Fahrrad (Jean-Pierre & Luc Dardenne) [OmU]
  5. Le dernier metro / Die letzte Metro (François Truffaut, 1980) [OmU]
  6. Blau ist eine warme Farbe (Abdellatif Kechiche) [OmU]
  7. Tomboy (Céline Sciamma) [OmU]
  8. Les demoiselles de Rochefort (Jacques Demy, 1967) [OmeU]
  9. Maman und ich (Guillaume Gallienne) [OmU]
  10. In ihrem Haus (François Ozon) [OmU]

Wenn man keinen starken Nachholbedarf die nicht mehr brandneuen Filme betreffend hat, sollte man übrigens versuchen, auf dem Festival die Filme zu sehen, die es vielleicht nie regulär auf deutsche Kinoleinwände schaffen. In vergangenen Jahren habe ich auf der Filmwoche etwa Filme von Olivier Assayas, Arnaud Desplechin, Isild le Besco oder Claude Miller gesehen, die ich später höchstens als Import-DVD hätte nachholen können.

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  Maman und ich (Guillaume Gallienne)

Vorführtermine bei der Französischen Filmwoche 2013:
  • Freitag, 6. Dezember, 20 Uhr 30 im Cinema Paris
  • Samstag, 7. Dezember, 20 Uhr 30 im Filmtheater am Friedrichshain
  • Sonntag, 8. Dezember, 15 Uhr 30 im Rollberg



Maman und ich
(Guillaume Gallienne)

Originaltitel: Les garçons et Guillaume, à table!, Frankreich / Belgien 2013, Buch: Guillaume Galliene, Kamera: Glynn Speeckaert, Schnitt: Valérie Deseine, Musik: Marie-Jeanne Serero, Kostüme: Olivier Bériot, mit Guillaume Gallienne (Guillaume / Maman), André Marcon (Vater), Françoise Fabian (Babou), Nanou Garcia (Paqui), Diane Kruger (Ingeborg), Reda Kateb (Karim), Götz Otto (Raymund), Clémence Thioly (Amandine), Brigitte Catillon (Tante aus Amerika), Carol (La tante polyglotte), Charlie Anson (Jeremy), Hervé Pierre (Militärpsychater). Nicolas Wanczycki (Psychater), Paula Brunet-Sancho (Maria), Yvon Back (Le prof d'équitation), Karina Marimon (Pilar), Catherine Salviat (Kindertherapeutin), Ana Karina Lombardi (spanische Schuldirektorin), 85 Min.

Guillaume Gallienne, der Regisseur, Drehbuchautor und Hauptdarsteller dieses Films, übersetzt hier seine erfolgreiche One-Man-Bühnenshow, eine Art Mischung aus Stand-Up-Comedy und sozial relevanter Autobiographie, auf die Kinoleinwand. Das ist durchaus spannender, als es sich zunächst anhören mag. Die Hintergrundgeschichte des Films ist zwar sehr präsent (denn sie ist auch sehr wichtig), doch Gallienne löst sich auch stark vom theatralen Ursprungsmaterial.

Es beginnt wie viele Biopics. Guillaume sitzt mit weißgeschminktem Gesicht vor dem Garderobenspiegel und bekommt gerade die Durchsage, dass er in fünf Minuten auf der Bühne sein muss. Dann schminkt er sich ab (!) und geht auf die Bühne. Durch diesen Kunstgriff wird der offenbare Widerspruch zwischen einer Lebensbeichte und einer Bühnenshow bereits thematisiert, ehe man das geringste über die Show weiß.

Wie der deutsche Titel verdeutlicht, geht es in dem Film auch sehr um die Beziehung Guillaumes zu seiner Mutter. Während die Show beginnt, visualisiert sich sozusagen die Biographie des Vortragenden. So sieht man im Hintergrund Guillaumes Mutter auf dem Bett liegen, wo sie einen Liebesroman liest, und auf ihren Sohn nur bedingt eingeht. Dieser (das Alter der Hauptfigur ändert sich nicht, Guillaume spielt sich ebenso als jungen Mann wie auch in der Jetztzeit) will ihr erzählen, dass er seine »große Liebe« aus der Kindheit wiedergetroffen hat. Die Mutter hakt nur beiläufig nach »Wie geht es ihm?«

Wie der Originaltitel (übersetzt etwa: »Guillaume und die Jungs, zu Tisch!«) andeutet, machen insbesondere die Mutter, aber bald auch der Vater, einen Unterschied zwischen seinen beiden Brüdern und Guillaume, der gerne in Frauenkleidern auftritt, feminin wirkt, und, wie die Bemerkung der Mutter verdeutlicht, entsprechend in eine Schublade gesteckt wird. Das Gemeine daran ist: Guillaume muss seine sexuelle Orientierung erst einmal selbst erkunden, und davon erzählt der Film in sehr witziger, aber dennoch zu Herzen gehender Weise.

Eine gewisse Nähe zu den Filmen von Pedro Almódovar stellt sich schon ein, wenn Guillaume als Knabe allein nach Spanien geschickt wird (die Mutter begleitet ihn in Visionen), wo er sich bei einem Volksfest (die »Ferria«) zum Gespött der Leute macht, weil er bei einem flamenco-ähnlichen Tanz (die »Sevillana«), den er geflissentlich einstudierte, nicht hinreichend darüber informiert wurde, wie sich die Bewegungen der Tänzer und Tänzerinnen unterscheiden. Sein altes Problem: Selbst wenn er mal ausnahmsweise in einer Sportart brilliert, gehört er eben nicht zu den »Jungs«, weshalb sich auch die Tänzerinnen nicht für ihn interessieren.

Im englischen Internat verliebt er sich in den Vorzeigeknaben Jeremy, und der Herzschmerz ist vorprogrammiert. Und so erzählt der Film kurzweilig die Geschichte Guillaumes, ehe er (auch dies typisch für Biopics) auf der Bühne seine große Lebensbeichte von sich gibt – und diesmal ist seine Mutter im Publikum gezwungen, ihm zuzuhören.

Zwischendurch könnte man noch erwähnen, dass Guillaume den Film in einer Doppelrolle absolviert, den entsprechend der Bühnenshow, bei der er alle Dialoge selbst trägt, realisiert sich das Bild seiner Mutter über die Bühnensituation auf der Leinwand als sein Gesicht, nur die anderen Figuren wie seinen Tanten etc. (die er auch besonders gut nachahmen kann) werden im Film von anderen gespielt.

Was die filmische Umsetzung des Films angeht, erfordert ja nicht nur die Doppelrolle teilweise komplizierte Effekten, im Gegensatz zur ganz auf die Vorstellung des Theaterbesuchers zugeschnittenen Bühnenshow zelebriert die Film auch oft eine visuelle Opulenz. So gibt es – nur ein Beispiel unter vielen – eine längere Szene, in der es um Guillaumes Musterung zum Militärdienst geht, bei der die Kamera beiläufig fünf durch Stellwände angedeutete »Kabinen« zeigt, hinter denen man die Schlange der Wartenden sieht. Wie nebenbei sieht man natürlich in jeder der Kabinen Guillaume bei seinem jeweiligen Test auf einem Fahrrad, beim Kniebeugen oder was auch immer. Dies sind rein filmische Momente, wie auch die Ferria, ein Swimming Pool oder das englische Internat auf der Leinwand eine Präsenz haben, die den Betrachter zur Annahme zwingt, dass Guillaume auf der Bühne vieles komplett anders dargestellt haben muss als im Film. In dieser Deutlichkeit erlebt man den Unterschied bei verfilmten Bühnenstücken nur selten. Trotzdem ist es für den Film auch sehr wichtig, dass der Kern der Geschichte, jene Bühnenshow, die den Film durch ihren Erfolg erst möglich machte, dennoch präsent bleibt.

Diese filmische One-Man-Show ist gut durchdacht, glänzend gespielt und besetzt (Diane Kruger hat als »Schwester Ingeborg« einen Kurzauftritt, der meines Erachtens den Höhepunkt ihrer Karriere darstellt) und spielt auf clevere Art mit Vorurteilen und »Schubladendenken«. Ich würde sogar soweit gehen, dass Guillaume Gallienne sich hier gleichzeitig mit Pedro Almódovar und Woody Allen zu ihren besten Zeiten messen kann. Unter anderem natürlich auch deshalb, weil hier nicht einfach eine erdachte Geschichte erzählt wird, sondern diese Lebensbeichte zwar offensichtlich an vielen Stellen zu Übertreibungen neigt, sie aber nie die Person Guillaume aus den Augen verliert.

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  Machete Kills (Robert Rodriguez)


Machete Kills
(Robert Rodriguez)

USA / Russland 2013, Buch: Kyle Ward, Story: Robert Rodriguez, Marcel Rodriguez, Kamera: Robert Rodriguez, Schnitt: Rebecca Rodriguez, Robert Rodriguez, Musik: Robert Rodriguez, Carl Thiel, Graphic Designer, Title Designer: Kurt Volk, mit Danny Trejo (Machete Cortez), Mel Gibson (Voz), Michelle Rodriguez (Luz), Demian Bichir (Marcus Mendez), Amber Heard (Miss San Antonio), Carlos Estevez (Mr. President), Sofia Vergara (Desdemona), Lady Gaga, Walt Goggins, Cuba Gooding jr., Antonio Banderas (La Camaleón), Jessica Alba (Sartana), Marko Zaror (Zaror), Vanessa Hudgens (Cereza), William Sadler (Sheriff Doakes), Alexa Vega (KillJoy), Tom Savini (Osiris), Samuel Davis (Clebourne), Sam Medina (Cartel Leader), Electra Avellan (Nurse Mona), Elise Avellan (Nurse Lisa), Marci Madison (Nurse Fine), Corey Burton (Trailer Voice), 107 Min., Kinostart: 21. November 2013

Schon 2010 im Abspann zu Machete hieß es, dass Machete Kills und Machete Kills Again folgen werden, und Rodriguez, der westliche Rekordhalter im eigenständigen Raushauen von Filmserien (Mariachi-Trilogie, 4x Spy Kids, Machete und bald Sin City zum Zweiten, verglichen mit Jing Wong oder Afam Okereke sind vier Filmserien aber immer noch »Peanuts«) beginnt sein Sequel mit einem Trailer zum mittlerweise geringfügig umbenannten dritten Teil der Trilogie, mit Leonardo DiCaprio* (*actor subject to change) in einer Hauptrolle.

Eine beliebte Taktik in einem Sequel ist es, den Vorläufer zu überbieten. Rein castingtechnisch könnte dies natürlich ein Problem werden, wenn man die Messlatte mit Robert De Niro als mexikaner-hassenden texanischen Senator, Steven Seagal und Don Johnson (der Trashfaktor ist hier wichtiger als die Anzahl der Oscarnominierungen) bereits recht hoch gelegt hat. Doch Machete Kills belehrt einen da schnell eines anderen: Lindsay Lohan toppt man mit der von Schauspieltalent unbeleckten Skandalnudel Lady Gaga, statt eines Senators gibt es diesmal gleich den Präsident (gespielt von »Carlos Estevez«) und den Oberbösewicht markiert diesmal niemand geringer als Mel Gibson. In Sachen trashige »Has-Beens« also allesamt oberste Kajüte. Jessica Alba, Michelle Rodriguez, Tom Savini und drei leichtbekleidete Krankenschwestern dürfen jeweils ihre damaligen Rollen wiederaufnehmen.

Die Handlung ist dermaßen offensichtlich wiedergekäut, dass es fast so doof ist, dass es schon wieder gut ist. Wie der Film in einer seltenen intelligenten Volte betont, ist Machete quasi unsterblich, weil er die Rache an sich repräsentiert. Und diese sich allenfalls neue Ziele sucht. Und so wie im Vorgänger Frau und Tochter getötet wurden und Machete eigentlich auch fast, gibt man ihm hier nicht nur ausreichend gemeuchelte Opfer zu rächen, sondern Machete selbst wird mehrfach so massakriert, dass er doch eigentlich nicht wieder auf(er)stehen dürfte – doch über Logikregeln setzt sich der Film gerne hinweg – immerhin zeichnet sich das Genre, aus dem Machete stammt, nicht durch besondere Intelligenz aus, sondern durch billiges Spektakel – und da ist Rodriguez ganz in seinem Element.

In Machete gab es beispielsweise die Hommage an Die Hard, wo sich Machete mithilfe der Gedärme eines Kontrahenten in ein tiefergelegenes Stockwerk bewegt (Bruce Willis benutzte dafür noch einen schnöden Feuerwehrschlauch). Im Sequel gibt es gleich mehrere »Gedärme-Szenen«, die mit an Idiotie grenzendem Stilwillen aufeinander aufbauen. Mal benutzt Machete die Eingeweide eines hartnäckigen Kontrahenten, um diesen per Helikopter-Rotoren zu Dönerfleisch zu verarbeiten. Doch später dann zeigt Machete in Chuck-Norris-Manier, dass nur ein Tölpel das Potential von Rotorenblättern ungenutzt lässt, er benutzt eine ähnliche Taktik (aber nicht die eigenen Eingeweide), um – mit Machinengewehr bewaffnet – die schnelle Kreiselbewegung der Rotoren zu nutzen. Und das ist keineswegs die blödeste Szene des Films, für Rodriguez geht es immer noch eine Spur fetter.

Eine Tötungsmethode mit geringem Aufwand ist etwa diese: Machete fasst in einen Stromkasten und greift mit der anderen Hand einen Widersacher, der deshalb gegrillt wird. Wie gesagt, mit Logikfragen befasst sich der Film nur dann, wenn sichergestellt ist, dass der durchgedrehte Spaß nicht darunter leidet. Ein kerniger One-Liner wie »Machete don't tweet« ist für das Gesamtkonzept wichtiger als etwa die Handlung, die sich vor allem um Selbstironie bemüht. So bekommt Machete bei seinem präsidialen Auftrag einen 24-Stunden-Countdown aufgehalst, der schon sehr an John Carpenters Escape from New York (dt.: Die Klapperschlange) erinnert. Doch um auch den jüngeren Zuschauern etwas zu bieten, setzt Rodriguez hier Splitscreens und andere aus der TV-Serie 24 übernommene Stilmittel ein. Mit der Mel-Gibson-Figur Voz, dem zuständigen Mad Scientist und James-Bond-Industriellen in Personalunion, bringt man einen vermeintlich allwissenden Gegenspieler ins Rennen, der sogar in die Zukunft schauen kann. Und weil man damit Schauspielergagen sparen kann (worauf Rodriguez recht häufig achtet), setzt der technologisch bewanderte Voz statt der üblichen muskelbepackten Bodyguards gleich eine schier unerschöpfliche Riege von Klonen ein. Bei weitem nicht die einzige Anspielung auf Star Wars (und laut Trash-Experte Thomas Groh die Italo-Fassung davon, die Space Crash oder so ähnlich heißt).

Machete Kills ist ein Film für Zuschauer, die sich über die Schweizer Armee-Messer-Version einer Machete ebenso freuen wie über ein locker eingestreutes Bat'leth. Oder eine unerwartete Einblendung »Jetzt bitte die 3D-Brille aufsetzen«, um eine Mischung aus James-Bond-Vorspann-Animation und Lavalampe folgen zu lassen, bei der sich auch bei drei Brillen keine Dreidimensionalität einstellen wird.

Als bekennender Trekkie und Star Wars tolerierender Teilzeit-Nerd muss ich gestehen, dass mich die aufgrund des bisher enttäuschenden Einspielergebnis von Machete – Episode 2 fragwürdig erscheinende Realisation des Nachfolgers ein wenig traurig stimmt. Kostüme wie bei Moonraker, eine Lichtschwert-Machete – eigentlich schade, dass man den dritten Teil nicht gleich ganz vorgezogen hat. Aber dann hätte man im Erfolgsfall nur schwerlich noch einen draufsetzen können.

Mein größter Vorwurf an Machete Kills betrifft weder Logik noch Schauspiel, sondern die fast durchgehend aus dem Rechner stammenden Splattereffekte. Tom Savini spielt mit, Greg Nicotero ist auch wieder dabei, und abgesehen von ein paar Gedärmen und einem Herz, das die Vorteile einer externen Festplatte nutzt, ist Old School hier Mangelware. So viel Liebe zu den 1970ern sollte schon sein! Wer Rodriguez demnächst mal persönlich trifft, wollte ihm ein T-Shirt schenken mit der Aufschrift »Machete don't CGI«.

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  Ganz weit hinten (Nat Faxon & Jim Rash)


Ganz weit hinten
(Nat Faxon & Jim Rash)

Originaltitel: The Way way back, USA 2013, Buch: Nat Faxon, Jim Rash, Kamera: John Bailey, Schnitt: Tatiana S. Riegel, Musik: Rob Simonsen, Production Design: Mark Ricker, Art Direction: Jeremy Woodward, mit Liam James (Duncan), Toni Collette (Pam), Steve Carell (Trent), Sam Rockwell (Owen), Allison Janney (Betty), AnnaSophia Robb (Susanna), Maya Rudolph (Caitlin), Amanda Peet (Joan), Rob Corddry (Kip), River Alexander (Peter), Zoe Levin (Steph), Nat Faxon (Roddy), Jim Rash (Lewis), 103 Min., Kinostart: 5. Dezember 2013

Im günstigeren Fall, dass sich noch jemand daran erinnert, dass Alexander Payne für das (adaptierte) Drehbuch von The Descendants einen Oscar bekam – seine beiden Co-Autoren wird man sich kaum gemerkt haben. Schon, weil Payne bekannt dafür ist, seine Bücher selbst zu schreiben – und seine Co-Autoren werden deshalb ungefähr so wichtig eingestuft wie Marshall Brickman (all jene, die sich jetzt fragen »Marshall wer?«, unterstützen meine These und sollten jetzt nachschauen, für welchen sehr bekannten Film dieser einen Drehbuchoscar bekam).

Doch Nax Faxon und Jim Rash durften nun ein Drehbuch selbst umsetzen, und bekommen damit eine Chance, etwas bekannter zu werden. Interessanterweise findet man durchaus einige Anknüpfungspunkte zwischen The Way way back und The Descendants. Auch hier geht es um Familienprobleme in der Eltern- und Kinder-Generation, die der Film mit einer kräftigen Prise Humor einem größeren Publikum nahe bringt (unterstützt durch bekannte Filmkomiker wie Steve Carell und Sam Rockwell). Und so wie der Spielort Hawaii in The Descendants sich dadurch auszeichnete, dass nur klimatisch »immer die Sonne schien«, so geht es diesmal um einen Strandurlaub mit einer Patchwork-Familie, die in den Ferien einige Probleme zu bewältigen hat.

Hauptfigur ist der 14-jährige Duncan (Liam James), der mit seiner gutherzigen, aber reichlich unsicheren geschiedenen Mutter Pam (Toni Collette) und deren neuem Freund Trent (Steve Carell) nebst Tochter für die Sommerwochen in Trents Ferienhaus ziehen. Carell, bekannt für eher schusselige aber liebevolle Rollen (The 40 Year Old Virgin, Anchorman), ist hier der Mann, den man als Zuschauer mit Inbrunst hassen kann. Während es Pam so erscheinen mag, dass er versucht, das Vertrauen ihres Sohnes zu gewinnen, um die mögliche neue Familie zu festigen, ist sein »Buddy«-Getue ebenso herablassend wie es zu jedem Zeitpunkt offensichtlich ist, dass er an Duncan noch weitaus weniger Interesse hat als an seiner leiblichen Tochter. Und für einen 14jährigen ist es auch schon reichlich durchschaubar, dass Trent vor allem seinen Urlaub genießen will. Und das bedeutet vor allem Alkohol und Sex – wobei die Kids nur stören, also lässt man ihnen großzügig die »Freiheit«, mal den ganzen Nachmittag selbst zu gestalten. Mutter Pam hat dabei zwar ein schlechtes Gewissen, aber sie will ihre neue Beziehung auch nicht gleich wieder riskieren. Allein könnte sie ihrem Sohn solch einen Urlaub sicher nicht bieten.

Der Fokus der Geschichte liegt auf Duncan, der ähnlich wie seine Mutter zunächst sehr unsicher auftritt, dann aber durch seinen »geheimen« Sommerjob bei einem Spaßbad, unterstützt durch den reichlich verantwortungslos wirkenden Owen (Sam Rockwell) eine Selbstbewusstseinsschule durchläuft, die erstmals auch das andere Geschlecht auf ihn aufmerksam macht (Noch-Kinderstar AnnaSophia Robb als Nachbarstochter) und schließlich dazu führt, dass er den aufgesogenen Frust mal in einer offenen Konfrontation ablässt.

Wie bei Alexander Payne ist die Stimmung des Films oberflächlich komödiantisch, es geht aber eigentlich um um ernstzunehmende Probleme, auch wenn das Sujet um Coming-of-Age hier etwas konventioneller umgesetzt ist als in den Filmen von Payne. Ein »kleiner« Film ohne offensichtliche Vermarktungsstrategie, wie sie in den USA immer seltener werden. Noch dazu mit einer ziemlich starken Besetzung mit einigen not-quite-stars wie Allison Janney, Amanda Peet und Maya Rudolph.

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  Der Mohnblumenberg (Goro Miyazaki)


Der Mohnblumenberg
(Goro Miyazaki)

Originaltitel: Kokuriko-zaka kara, Japan 2011, Buch: Hayao Miyazaki, Keiko Niwa, Manga-Vorlage: Tetsurô Sayama, Chizuru Takahashi, Kamera: Atsushi Okui, Schnitt: Takeshi Seyama, Musik: Satoshi Takebe, mit den Original- / US-Stimmen von Masami Nagasawa / Sarah Bolger (Umi Matsuzaki), Jun'ichi Okada / Anton Yelchin (Shun Kazama), Keiko Takeshita / Gillian Anderson (Hana Matsuzaki), Yuriko Ishida / Christina Hendricks (Miki Hokuto), Rumi Hiiragi / Aubrey Plaza (Sachiko Hirokôji), Jun Fubuki / Jamie Lee Curtis (Ryoko Matsuzaki), Takashi Naitô / Bruce Dern (Yoshio Onodera), Shunsuke Kazama / Charlie Sexton (Shirô Mizunuma), Nao mori / Chris Noth (Akio Kazama), Teruyuki Kagawa / Beau Bridges (Chairman Tokumaru), Haruka Shiraishi / Isabelle Fuhrman (Sora Matsuzaki), Tsubasa Kobayashi / Alex Wolff (Riku Matsuzaki), Aoi Teshima / Emily Osment (Yuko / Nobuko Yokoyama), Goro Miyazaki / Ronan Farrow (World History Teacher), 91 Min., Kinostart: 21. November 2013

Während die neueste (und vermutlich letzte) Regiearbeit des Animationsgroßmeisters Hayao Miyazaki gerade im asiatischen Raum in den Kinos startet, muss man sich hierzulande mit einem zwei Jahre alten Film seines Sohns Goro die Wartezeit versüßen, zu dem Hayao aber immerhin (wie schon bei Arrietty) das Drehbuch schrieb. Die meisten Ghibli-Produktionen beschäftigen sich zwar mit Fantasy- und Abenteuerstoffen, doch das Studio nimmt sich auch immer mal wieder Zeit für untypische Geschichten (untypisch in dem Sinne, dass man sie auch mit überschaubarem Budget realverfilmen könnten), die dezidiert Einzelschicksale im Japan des 20. Jahrhunderts beleuchten, etwa im meisterhaften Grave of the Fireflies (dt. Die letzten Glühwürmchen), der sich in sehr trauriger Weise mit den Spätfolgen des 2. Weltkriegs befasste, oder Only Yesterday (dt. Tränen der Erinnerung), der auf zwei Zeitebenen das unspektakuläre Leben einer jungen Frau schildert, wie man es auch in Filmen von Yazujiro Ozu hätte erleben können.

Im Falle des Mohnblumenbergs geht es um das Mädchen Umi (ich würde sie als allerhöchstens 14 einstufen, sie soll aber 17 sein), das Anfang der 1960er (die Olympischen Spiel in Tokyo stehen bevor) zwischen ihren Pflichten in der Pension der Großmutter und der Faszination für den Jungen Shun und das Clubhaus sowie die Schülerzeitung, für die er sich engagiert, hin- und hergerissen wird. Das prächtige, aber heruntergekommen »Clubhaus« soll abgerissen werden, und die zart knospende junge Liebe zwischen Umi und Shun sorgt unterschwellig dafür, dass sich die gesamte Schülerschaft (normalerweise herrscht hier Geschlechtertrennung) für die Erhaltung einsetzt, was auch zu einer (abermals an Ozu erinnernden) Reise nach Tokyo führt, wo man versucht, den Schulvorstand zu überzeugen.

Neben der Schilderung des erwachenden politischen Bewusstseins einer Generation (Umis Abkehr von der traditionellen Haushaltsführung hin zu einer aktiv auftretenden Beschäftigung als »Sekretärin« – auch, wenn sie ihren »Boss« anhimmelt – ist hier subtil, aber unverkennbar) und der nostalgischen Atmosphäre gibt es noch einen wichtigen Handlungsstrang, den auch der Film selbst als »kitschiges Melodram« bezeichnet. Denn gemeinsam mit dem nicht aus »geregelten« Familienverhältnissen stammenden Shun begibt sich Umi auf eine Suche nach den Umständen des Todes ihres Vater (im Zusammenhang mit dem Koreakrieg).

Der bittersüße Balanceakt gelingt nicht immer. Zwar ist die Bedeutung der Geschichte des Vaters von Beginn des Films klar (Umi flaggt jeden Morgen für den verschollenen Seemann, Shun hat ebenfalls einen maritimen Background), doch man bekommt den Eindruck, dass der Manga, der dem Film zugrundeliegt (laut Vorspann eine »Graphic Novel«), weitaus mehr Zeit hatte, die zwei Geschichten nebeneinander auszuarbeiten. Im Film wirkt einiges verkürzt, die Geschichte um das Clubhaus entwickelt sich sehr rasant in Montagesequenzen, während die Vergangenheitsrecherche erst zu einem späten Zeitpunkt ins Rollen kommt und sich dann auf quälende Art in den Vordergrund drängt – noch dazu mit einem Ergebnis, das in seiner Melodramatik den kompletten Tonfall des Films beeinflusst.

Das Hauptproblem des Films ist meines Erachtens, dass er ein sehr eng umrissenes Zielpublikum – weiblich und jung(geblieben) – vermutlich zu Begeisterungsausbrüchen motivieren kann, aber gerade die Filme von Hayao Miyazaki (Arrietty mitgezählt) sich ja dadurch auszeichnen, dass sie durch alle Generationen und Geschlechter hindurch verzaubern können. Und das ist hier nicht gegeben. Außerdem sind sowohl die karikierende Überzeichnung der schulischen »Nerds« als auch die mal wieder sehr stark an »Heidi und Klara« erinnernden Gesichter eher Rückschritte, was die Animation angeht (manche Anime-Puristen könnten dies aber als »traditionell« hochleben lassen). Während viele Ghibli-Produktionen wirklich ein Weltpublikum ansprechen (wie bei Pixar kaufte sich der Disney-Konzern ein, weil man sich der ernstzunehmenden Konkurrenz bewusst war), ist dies ein deutlicher Schritt zurück zu den Wurzeln, thematisch wie graphisch. Ich persönlich stufe das eher negativ ein.

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  Blue Jasmine (Woody Allen)


Blue Jasmine
(Woody Allen)

USA 2013, Buch: Woody Allen, Kamera: Javier Aguirresarobe, Schnitt: Alisa Lepselter, Set Decoration: Kris Boxell, Regina Graves, mit Cate Blanchett (Jasmine), Sally Hawkins (Ginger), Alec Badwin (Hal), Bobby Cannavale (Chili), Andrew Dice Clay (Augie), Peter Sarsgaard (Dwight), Michael Stuhlbarg (Dr. Flicker), Max Casella (Eddie), Alden Ehrenreich (Danny), Louis C.K. (Al), Martin Cantu (Ginger's Boss), Tammy Blanchard (Jane), Joy Carlin (Woman on Plane), 98 Min., Kinostart: 7. November 2013

An diesem Text wurde weitaus länger gebastelt, als der entsprechende Film es gerechtfertigen würde. Hoffentlich merkt man dies zumindest beim Lesen.

Dies ist die Geschichte von drei Personen, die überfordert sind.

Die erste Person ist Jasmine (Cate Blanchett), einst eine New Yorker Society-Dame, nun getrennt und mittellos, zur Untermiete bei ihrer Schwester Ginger (Sally Hawkins) in San Francisco, und damit überfordert, einen Job, eine Lebensperspektive oder einen neuen – adäquaten! – Partner aufzutreiben und zu halten.

Die zweite Person ist der Regisseur Woody Allen, einst einer der weltweit wichtigsten und geschätztesten Filmemacher, ein treffsicherer Komiker und ein Füllhorn großartiger Ideen. Einst.

Die dritte Person ist der Kritiker, der diese Zeilen schreibt, und der gerne eine schlüssige Beweisführung aufbauen würde, die zweifelsfrei erklärt, wie überfordert Woody Allen inzwischen durch seinen Job – bzw. seine zwei Jobs, Drehbuchautor und Regisseur – ist. Der nachfolgende Versuch einer Struktur beweist immerhin, dass der Kritiker überfordert ist. QED.

Indizienbeweis 1: Woody Allens letzter Film To Rome with Love – Weit entfernt davon, die Talente eines Filmemachers zu demonstrieren.

Einspruch: Vergangene Verbrechen, die bereits verurteilt werden, sollten nicht erneut gegen den Angeklagten verwendet werden.

Indizienbeweis 2: Die vielfältigen Parallelen seines neuen Films zu A Streetcar named Desire (dt.: Endstation Sehnsucht) zeugen nicht davon, dass Allen auch bei seinem ca. 42sten, zumeist im Einjahrestakt erstellten Spielfilm noch voller sprudelnder Ideen steckt. Grund genug für Allen, diesen Einfluss in mehreren Interviews herunterzuspielen. Dass Cate Blanchett die Rolle der Blanche Dubois vor kurzem auf der Theaterbühne spielte, habe er nicht aktiv mitverfolgt, die Wahl des Spielorts San Francisco ist eher zufällig, weil er sich nicht vorstellen konnte, für Dreharbeiten in Pittsburgh oder Texas übernachten zu müssen, usw.

Indizienbeweis 2b (keine neuen Ideen und überfordert dabei, diese umzusetzen): Die bei Tennessee Williams schockierende und traumatisierende Vergewaltigung der Blanche Dubois erfährt bei Allen ein fernes Echo: ein linkischer Zahnarzt (Michael Stuhlbarg) macht Jasmine, die weder an dem Job noch an ihrem Boss interessiert ist, »Avancen« (dieser Euphemismus ist dem Presseheft – einem Dokument der Verteigung – entnommen). Allen inszeniert dies wie eine Boulevardkomödie.

Entlastungszeugin der Verteidigung: Cate Blanchett. Es ist vor allem ihr Verdienst, dass man Jasmine gleichzeitig verdammen kann, mit ihr mitfühlt und dann auch noch über sie lachen darf. Selbst, wenn man darüber lacht, wie sie pausenlos Hochprozentiges und Tabletten in sich hineinschüttet, oder gar darüber, wie der Zahnarzt ihr gegenüber handgreiflich wird: Irgendwie schafft es Cate als Jasmine, immer eine gewisse Würde auszustrahlen, die es überhaupt möglich macht, diesen Film zu ertragen.

Möglichkeit der Beweisführung: Woody Allen hat es verlernt, etwas anderes als Komödien zu drehen.

Was dagegen spricht: Die Geschworenen sind allesamt befangen, weil sie zu den Leuten gehören, die sich Filme von Woody Allen anschauen oder zumindest Texte lesen, die sich mit seinen Filmen auseinandersetzen. Sie werden einwenden, dass die Geschichte von Blue Jasmine doch trotz der witzigen Szenen immens tragisch sei. Es geht um eine Frau, die alles verloren hat, insbesondere auch ihr Realitätsbewusstsein, die zwischen ihrer ernüchternden Gegenwart und der prachtvollen Vergangenheit hin und her stolpert, die sich bei jedem Anlass in Flashbacks verliert und bei der Rückkehr auf den Boden der Realität oft noch in Selbstgesprächen weiterspielt, was inzwischen unwiederbringlich scheint. Daran ändern doch ein paar Scherze nichts. Mehrfach schon hat Woody zu beweisen versucht, wie Komödie und Tragik zusammenhängen (vgl. etwa Melinda and Melinda). Und dieser Konflikt macht ja auch einen Teil des seltsamen Reizes des Films aus, dem sich selbst der Kritiker als Kläger nicht verschließen kann.

Alternative Möglichkeit der Beweisführung: Woody Allen ist schludrig geworden in der Ausfüllung seines Jobs. Siehe auch Zahnarzt-Szene, Stichwort: für jede Situation gibt es eine Pointe.

Teil dieser Beweisführung: Allen ist ungeeignet, Einblicke in die Mittel- oder Unterschicht zu liefern.

Hier folgt erneut der Umweg, darauf hinzuweisen, dass dies einst durchaus anders war. Der entscheidende Unterschied: Wenn Allen zuvor von der Unterschicht berichtete, war dies jeweils in einem historischen, zumeist autobiographisch angehauchten Kontext geschehen. Paradebeispiel: die zahlreichen Darstellungen der harten Kindheit(en), die die von Allen gespielten Figuren in seinen Filmen der ersten zwei Jahrzehnte seines Regieschaffens durchlitten. Zumindest etwas extrapoliert davon: die späteren »historischen« Arbeiterschicksale wie in The Purple Rose of Cairo oder Radio Days.

Im krassen Kontrast dazu: Allens Versuche, die zeitgenössische Unter- oder Mittelschicht zu porträtieren. Bei Match Point rettet er sich dadurch, dass sein Protagonist diese Gefilde sehr schnell verlässt. In Blue Jasmine hingegen ist Schwester Ginger eine getrennt lebende Mutter zweier Söhne, die als Kassiererin arbeitet (dass Jasmine selbst eigentlich auch mittellos ist, wird im Film zu einem Running Gag der Selbstverleugnung, wir sehen davon ab, dies in die Beweisführung aufzunehmen). Allen ist offensichtlich überfordert, dies entweder in die Inszenierung einfließen zu lassen (man merkt es höchstens an den Typen, mit denen Ginger sich so abgibt) oder auch im Drehbuch in angemessener Weise zu reflektieren.

Meine Lieblingsszene ist die, wo wir Ginger tatsächlich einmal an ihrem Arbeitsplatz sehen, sie gerade eine kleine Schlange von zahlungswilligen Kunden betreut, und hierbei von ihrem Freund Chili (Bobby Cannavale) in ein persönliches Gespräch verwickelt wird. Ginger schnappt sich kurzerhand einige leere Kartons und verschwindet in der Gemüseabteilung, wo sie weiter mit Chili diskutiert. Ihre Kunden lässt sie dabei ohne die geringste Erklärung an der Kasse stehen. Ihr Boss, der dies mitverfolgt, zetert zwar zunächst ein wenig, scheint dann aber vor allem damit beschäftigt, den weinerlichen Chili zu trösten. Das bringt zwar einen Lacher, aber so funktioniert die Arbeitswelt einfach nicht, sowohl Gingers Verhalten als auch das ihres Bosses entsprechen gänzlich den Motivationen des Drehbuchs.

Diese Schludrigkeit durchzieht erneut Film. Die Beweisführung wird aber dadurch sabotiert, dass dies manchmal tatsächlich zum Vorteil des Films geschieht. So unglaublich dies erscheinen mag. Blue Jasmine arbeitet wie gesagt mit zwei Zeitebenen. Da ist zum einen das New Yorker Society-Leben, das Jasmine in Flashbacks erlebt, zum anderen ist da die Gegenwart in San Francisco. Wo andere Filmemacher sich die Mühe gemacht hätten, die Zeitebenen durch Frisuren, Kleidung oder ähnliches (ich hasse mich dafür, aber ich habe mir im Film tatsächlich das Farbschema eines Peter Andrews gewünscht) erfahrbar zu machen, schmeißt Allen seine Zuschauer einfach ins kalte Wasser. Wer New Yorker Wohnungen und Straßenzüge in San Francisco nicht aus eigenen Reiseerfahrungen bestens kennt, könnte zu Beginn des Films reichlich verwirrt werden. Und das Infame daran ist: man kann durchaus annehmen, dass dies sogar gewollt ist, weil der Zuschauer deshalb ähnlich überfordert ist wie Jasmine. Und interessant wird das Phänomen dadurch, dass sich die Verwirrung beim Zuschauer langsam legt, er aber so geschult um so deutlicher die Verwirrung Jasmines erkennt. Und deshalb stärker mit ihr mitfühlt. Was man somit für den Angeklagten auslegen könnte. Die Schludrigkeit hat Methode.

Vermutlich liegt es an jedem Betrachter selbst, doch durch die Brille des Kritikers ist ein Allen-Film inzwischen nur noch ein Flickenteppich, bei dem die klaffenden Löcher weitaus stärker auffallen als das womöglich durchdachte Gesamtdesign.

Da gibt es etwa jene Rezeptionsnische der Zahnarztpraxis, bei der man beobachten kann, wie liebevoll die Ausstatterinnen dies wie einen wirklichen Arbeitsplatz erscheinen lassen. Doch die Patientengespräche, die Allen der überforderten Rezeptionistin Jasmine in den Mund legt, zeugen nur von einer gewissen Hilflosigkeit (Allens), die er vor allem durch jahrzehntelange Routine kompensiert. Wobei man aber auch entdecken kann, wie sich der Wortwitz des Komikers zunehmend abnutzt (vgl. Vorwerk gegen Allen 2011 – aka Midnight in Paris – und 2012). So will Jasmine, die sich immer für etwas besseres hält, studieren, und dazu in ein Gespräch verwickelt:

»What do you want to be?«
»An anthropologist.«
»You mean digging up old fossils?«
»That's an archaeologist!«
Was haben wir gelacht (okay, zugegeben, Sarkasmus ist hier unangebracht, ich bitte um Entschuldigung, euer Ehren!) Das ist jetzt Erbsenzählerei, aber jemand, der Fossilien ausgräbt, ist natürlich eher ein Paläontologe. Doch selbst, wenn man Allen jetzt diesen kleinen Fehler vorhalten würde, so könnte er (oder seine Verteidigung) sich herausreden, dass dies ein Fehler seiner Figur Jasmine sei.

Und deshalb sehe ich mich auch außerstande, Allen zu überführen. In dubio pro reo. Vielleicht ist ja die Bank am Schluss tatsächlich ein augenzwinkernder Kommentar auf Forrest Gump, vielleicht jongliert Allen hier willentlich mit Stilelementen aus Two and a Half Men und den Romanen von Bret Easton Ellis. Ich glaube es nicht, nicht einmal ansatzweise, und ich befürchte, sein nächster Film wird noch schlimmer, aber es ist wohl so, dass wir damit leben müssen, dass dieser Wiederholungstäter im nächsten Jahr wieder zuschlagen wird. Mir sind die Hände gebunden, aber ich habe euch gewarnt.

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  Goodbye Morocco (Nadir Moknèche)

Vorführtermin bei der Französischen Filmwoche 2013:
  • Dienstag, 10. Dezember, 16 Uhr im Institut français



Goodbye Morocco
(Nadir Moknèche)

Frankreich / Belgien 2012, Buch: Nadir Moknèche, Kamera: Hélène Louvart, Schnitt: Stéphanie Mahet, Olivier Gourlay, Musik: Pierre Bastaroli, mit Lubna Azabal (Dounia), Rasha Bukvic (Dimitri), Faouzi Bensaïdi (Ali), Grégory Gadebois (Fersen), Anne Coesens (Isabelle), Ralph Amoussou (Gabriel), Abbes Zahmani (Mourad), Malika El-Omari (Dounias Mutter), Boubker Rafik (Saïd), Abdelfattah Sail (Omar), Mohamed Choubi (Kommissar), Saïd Aamoum (2. Polizist), Fall Baucaline (Ibrahim), Dalil Ziad (Jawad), Fatima Chiguere (Alis Mutter), Tanita Tikaram (Sängerin im Restaurant), 102 Min.

Zunächst einmal muss ich vorwegschicken, dass dieser Film in der Pressevorführung die bisher schlechteste Projektion ertragen musste, die mir in diesem Jahr untergekommen ist. Vom pixeligen Bild bis zu den ruckeligen Bewegungen wirkte das auf mich eher wie eine avi-Datei als wie ein Film, den man einem Kinopublikum vorsetzen darf. Nicht nur wegen des fehlenden Respekts des Publikums gegenüber (waren in meinem Fall ja nur Pressemokel*), sondern auch den Filmemachern gegenüber. In einer perfekten Welt würde ich jetzt davon ausgehen, dass dies bei der Festival-Vorführung natürlich komplett anders sein wird, aber da man den Film nur ein einziges Mal zeigt, und zwar an einem Dienstag nachmittag im Institut français (ich bin mir nicht sicher, ob das überhaupt ein Kino ist), befürchte ich fast, dass auch das vereinzelt auftauchende zahlende Publikum dieselbe Kopie vorgesetzt bekommt.


*Die schönste Stelle des Films war übrigens folgender Dialog:
»And who are you?«
»A journalist.«
»Pleased to meet you. Move along!«

Die Grundbedingungen, um ein wenig die Werbetrommel für das Festival zu rollen, könnten also besser sein. Vielleicht scrollt man lieber etwas nach oben und liest meinen Lobgesang auf Guillaume Gallienne.

Die Filmhandlung wiederzugeben stellt sich auch als problematisch da, wenn man die Erzählung nicht ihrer etwas vertrackten Chronologie berauben will. Zunächst sieht man die Marokkanerin Dounia (Lubna Azabel, in Incendies durchaus positiv aufgefallen) des Nachts mit wenig mehr als einem Slip in ihrer Wohnung, während ihr Freund Dimitri nebenan schläft und sie ein etwas geheimnisvolles Telefongespräch führt. Der Mann am anderen Ende heißt Ali und wenn dies die Verfilmung eines Romans von James M. Cain wäre, würde er von Jack Nicholson gespielt werden. Der Deckel passt aber nicht ganz. Auf imdb wird der Film sogar als »neo noir« eingestuft, und im Verlauf des Films treffen durchaus einige typische Elemente des Film noir ein: Eine femme fatale, mindestens zwei Liebesdreiecke, ein Reichtum verheißendes Artefakt und eine zu beseitigende Leiche. Doch bis es soweit ist, wird die Uhr sozusagen zweimal zurückgedreht, und man erfährt nach und nach, warum Dounia zu Beginn des Films ziemlich fertig mit den Nerven ist, was es mit dem teuren Grabdeckel von bei Bauarbeiten zufällig entdeckten christlichen Katakomben auf sich hat, und wer hier alles wen hinters Licht führen will.

Dabei ist der Film in den ersten zwei Dritteln eher eine Sozialstudie um ein Multikulti-Migranten-Potpourri. Ohne zwei offenbar gut informierte Inhaltsangaben im Netz hätte ich vermutlich nicht exakt auseinanderdividiert, dass etwa Dimitri ein im Balkan geborener Spanier ist (oder ein Franco-Serbe, je nach Quelle). Die konkreten Zusammenhänge bleiben bei diesem Film manchmal etwas diffus, so hat Dounia etwa einen Sohn mit einem früheren Mann, den sie nur selten sehen darf und deshalb am liebsten kidnappen würde (immerhin würde das den Wünschen des Kindes entsprechen, aber um das Land zu verlassen, braucht man Geld und/oder Verbindungen). Den Kindsvater sieht man zu Beginn des Films mal kurz und bei einer Szene zum Schluss wird auch mal vom »Vater« gesprochen, während der Junge in ein Auto springt. Aber eine klare Inszenierung ist etwas anderes. Vielleicht sind das ja auch gewollte Referenzen an Howard Hawks' The Big Sleep, wo bei einer Rückfrage bekanntlich weder der Drehbuchautor noch Raymond Chandler, der Autor der Vorlage, festmachen konnte, wer jetzt für den Tod einer bestimmten Figur verantwortlich war. Ähnlich verhält es in Goodbye Morocco etwa mit einem LKW nebst Fahrer, der an einem bestimmten Punkt mal in die Geschichte eingeführt wird, damit die Schuldigen und Mitschuldigen davon unterrichtet werden können, dass die Leiche eines Migranten an das Ufer geschwemmt wurde (vermutlich die unzureichend entfernte Leiche). Doch dann werden Fahrer und LKW noch einige Male erwähnt und man lässt es einfach dabei bewenden, dass sich vermutlich niemand im Publikum für solche Details interessiert, wo es doch Ehedramen, Seitensprünge, Korruption und eine würdevolle Beisetzung trotz homophober Gesetzeslage gibt, die man im Auge behalten soll. Der Film versucht einfach zu viel gleichzeitig, und die ganze Krimikiste kommt etwa im letzten Drittel auch ein wenig überraschend. Vor allem, als dann einer der Protagonisten scheinbar den Body Count in kürzester Zeit hochtreiben will. Ich fühlte mich plötzlich in einen der dreckigeren Filme der Coen-Brothers (Blood Simple, Fargo oder No Country for Old Men) versetzt, wo auch einige Menschen für schnöden Mammon um die Ecke gebracht werden müssen und der Geldkoffer (oder hier der Grabdeckel, der übrigens eine Frauenfigur zeigt, deren Körperhaltung einem desinteressierten Achselzucken entspricht) steht dann am Ende an irgendeiner Stelle, wo er keiner der handelnden Figuren etwas nützt.

Für dezidierte Freunde des unnötig komplizierten Multi-Kulti-Kinos mag dies eine Offenbarung sein, doch obwohl ich eigentlich ein Faible für absurd veränderte hard-boiled-detective-plots habe (Brick, The Big Lebowski, Imperial Bedrooms), konnte mich der Film mit keinem seiner vielen Ansätze erreichen.

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  Alois Nebel (Tomás Lunák)


Alois Nebel
(Tomás Lunák)

Tschechien / Deutschland 2011, Buch: Jaroslav Rudis, Jaromir 99, Design: Jaromir 99, Kamera: Jan Baset Stritezky, Schnitt: Petr Riha, Musik: Petr Kruzik, Ondrej Jezek, mit den Originalstimmen und vermutlich rotoskopierten Ähnlichkeiten von Miroslav Krobot (Alois Nebel), Marie Ludvikova (Kveta), Leos Noha (Wachek), Karel Roden (der Stumme), Alois Svehlik (der alte Wachek), Tereza Voriskova (Dorothe), Jan Sedal (Barmann), Jiri Strebel (russischer Offizier), Marek Daniel (Psychiater), Klara Meliskova (Krankenschwester), Krystof Plasil (junger Alois Nebel), David Svehlik (Alois' Vater), Marek Matejka (Dorothes Ehemann), 84 Min., Kinostart: 12. Dezember 2013

Diese Kritik beginne ich mit einer Entschuldigung. Die Stabangaben entbehren größtenteils der typisch tschechischen Sonderzeichen. Sorry.

Der Presse wurde der Film in einer größtenteils deutschsprachigen Fassung mit ein wenig untertiteltem Tschechisch vorgeführt. Ob dies eine Synchronfassung oder die von den Machern so erstellte Fassung für einen größeren Markt ist (das passiert im Bereich Animation schon mal), entzieht sich meiner Kenntnis. Fakt ist: durch den weiträumigen Verzicht auf Untertitel konnte ich mich bei der Sichtung ganz auf die visuellen Aspekte des Films konzentrieren (was sich nicht unbedingt positiv auswirkt). Dennoch war es durch das sprachliche Verständnis (deutsch ist meine Muttersprache) leider nicht gegeben, dass ich der Handlung des Films besser folgen konnte. Das Presseheft absolviert einen guten Job, einem nach dem Film all jenes zu erklären, was man nicht verstanden hat. Allerdings wird ein Großteil des Publikums dieses Presseheft nicht zur Hand haben und ich sehe es auch nicht als meinen Job an, dem Publikum einen Film zu erklären, den ich selbst nicht verstanden habe. Dies als Warnung. Übrigens hat es verständnistechnisch auch nicht eben geholfen, wenn in einer Geschichte, in der vermutlich 10% der Personen deutsch sprechen (genau weiß ich es nicht), in der deutschen Filmfassung ca. 85% der Leute deutsch sprechen. Das ist so, als wenn man François Ozons Swimming Pool in der deutschen Synchro schaut und sich die ganze Zeit fragt, ob jetzt wohl gerade Ludivine Sagnier Englisch spricht oder Charlotte Rampling Französisch. Mitunter ist so etwas nämlich durchaus wichtig.

Nach diesen einleitenden, durchaus rücksichtslos wirkenden Worten eine ansatzweise Inhaltsangabe. Alois Nebel (der deutschklingende Nachname hat eine tiefempfundene Verbundenheit zu regionalen klimatischen Verhältnissen) ist »Fahrdienstleiter« eines kleinen Bahnhofs an der Grenze zwischen Polen und der CSSR. Es ist Herbst 1989 (what else?). Sein nicht sehr sympathischer Kollege will ihn rausmobben, Alois landet zunächst in einem Sanatorium, wo er auf den mysteriösen »Stummen« (nein, kein Indianer) trifft, der dann türmt. Alois wird schließlich entlassen, fährt zum Prager Hauptbahnhof (mittlerweile ist Nachwendenzeit) und verliebt sich dort in eine robuste Toilettenfrau namens Kveta. Dabei geht aber einiges schief.

Quer durch die gesamte Geschichte gibt es seltsame »Visionen«, »Alpträume« oder »Flashbacks« (hier bleibt selbst das Presseheft vage), die Geschehnisse aus dem zweiten Weltkrieg (Alois ist noch ein kleines Kind) und der folgenden russischen Besetzung zeigen. Das sind größtenteils die Details der Geschichte, die ich ziemlich sicher verstand, was darüber hinausgeht, nimmt entweder das Ende des Films vorweg oder stützt sich auf eher vage Annahmen, die das Studium des Presseheftes zwar größtenteils bestätigte, aber es spricht einfach nicht für einen Film, wenn man sich danach mit seinem Sitznachbar unterhält allenfalls eine vage Idee hat, worum es jetzt eben gegangen sein soll.

Stattdessen komme ich jetzt zur Animation. Alois Nebel ist eine Comicverfilmung, was für den Stil des Films sehr wichtig ist, denn offensichtlich hat man sich bemüht, mithilfe rotoskopierter – und schwarzweißer – Bilder den Zeichnungen der »Graphic Novel« nahezukommen. Da ich den Comic nicht kenne (eine weitere Rechercheleistung, die man im Normalfall einem Kinozuschauer nicht abverlangen kann, das Werk sollte für sich selbst stehen können), habe ich nur eine vage Idee, wie der Comic aussehen könnte. Vermutlich ist er nicht sehr bunt.

Die Animation erinnert an Waltz with Bashir oder die beiden Animationsausflüge von Richard Linklater, kommt aber rein technisch auch an diese Vorbilder nicht heran. Man arbeitet viel mit Lichteffekten (gerade bei den Übergängen zu den »Visionen«) und Rauch, was aber eher aufgesetzt wirkt. Vereinzelt gibt es Szenen, die an die Multiplankamera in Disneys Bambi erinnern (der Wald ist hier der verbindende Tatort), doch da man sich auf Schwarzweiß-Effekte und wenige Graustufen beschränkt, wird das Potential hier etwas verschenkt. Ein Raumgefühl stellt sich fast nie ein, was aber auch am Ton liegt.

Komplett nicht gewöhnen konnte ich mich an die dargestellten Figuren. Ihre Augen und Zähne sind offenbar haargenau nachgezeichnet aus Aufnahmen mit Schauspielern, aber Faltenwürfe oder Hälse wurden lieber einfach gehalten. Deshalb laufen die meisten Figuren mit teilweise starren Gesichtern wie Wackeldackel durchs Bild. Alois' Kollege Wachek hat einen Stoppelbart, auf den man nie sehen sollte, die Toilettendame hat eine Frisur, die wie ein Plastikdeckel aussieht. Dann gibt es immer wieder Widersprüche zwischen starren Hintergründen (teilweise Fotos nachempfunden, teilweise eher freie Graphiken) und Bildelementen wie Rauch oder Wasser, die komplett fremdartig wirken (was durch die teilweise schlimme Pixelisierung der Projektion noch schlimmer wird). Und weil ich ein hinterhältiger Mensch bin, schaue ich bei der Mauer des Sanatoriums genau hin und sehe, das Teile hier von copy/paste zeugen, ähnlich wie an einer anderen Stelle reichlich deckungsgleiche Laternen hintereinander hängen. Animation sollte zum genauen Hinschauen und Staunen verleiten, nicht zum Lieber-Wegschauen und Ärgern.

Während des Films (ich wusste zu diesem Zeitpunkt noch nicht, dass dies eine Comicverfilmung ist) fragte ich mich mehrfach, warum wir nicht lieber »echte« Menschen sehen, denn man hat das Gefühl, dass die Darsteller von insbesondere Alois und Kveta durchaus schauspielerische Leistungen und detaillierte Mimik bieten, doch als Zuschauer sieht man davon nur wenig. Bei Waltz with Bashir überbrückt die Animation das riesige Budget der Kriegsszenen, bei den Linklater-Filmen verliert man sich in der Animation und zumindest bei A Scanner Darkly ist die Animation ja auch thematisch passende Verfremdung. Das alles fehlt hier total, mit Ausnahme der Lichteffekte und der Elektroschocktherapie hätte ich alles lieber »in echt« gesehen, und da es laut Stabangaben eine Kostümdesignerin, eine Bühnenmalerin und einen Ausstatter gab, scheint man ja auch nicht immer nur allein auf einer Green-Screen-Bühne herumgestanden zu haben. In den Bereichen Animation und Comic-Verfilmung (beides persönliche Steckenpferde) das enttäuschendste und überflüssigste in diesem Jahr. Und bei diesen Bereichen heißt das schon was.

Was genau in Cinemania 105 folgen wird, steht noch in den Sternen. Le Week-end von Roger Michell (Start am 30. Januar 2014) ist bisher der einzige Kandidat.