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20. August 2011
Thomas Vorwerk
für satt.org


  Midnight in Paris (Woody Allen)
Midnight in Paris (Woody Allen)
Midnight in Paris (Woody Allen)
Bildmaterial © Concorde Filmverleih GmbH
Midnight in Paris (Woody Allen)
Midnight in Paris (Woody Allen)
Midnight in Paris (Woody Allen)


Midnight in Paris
(Woody Allen)

Spanien / USA 2011, Buch: Woody Allen, Kamera: Darius Khondji, Johanne Debas, Schnitt: Alisa Lepselter, Kostüme: Sonia Grande, mit Owen Wilson (Gil), Rachel McAdams (Inez), Marion Cotillard (Adriana), Kathy Bates (Gertrude Stein), Adrien Brody (Salvador Dalí), Kurt Fuller (John), Mimi Kennedy (Helen), Léa Seydoux (Gabrielle), Nina Arianda (Carol), Michael Sheen (Paul), Carla Bruni (Museum Guide), Alison Pill (Zelda Fitzgerald), Corey Stoll (Ernest Hemingway), Marcial Di Fonzo Bo (Pablo Picasso), Serge Bagdassarian (Detective Duluc), Gad Elmaleh (Detective Tisserant), Sonia Rolland (Joséphine Baker), Yves Heck (Cole Porter), Emmanuelle Uzan (Djuna Barnes), Tom Cordier (Man Ray), Adrien de Van (Luis Buñuel), David Lowe (T.S. Eliot), Yves-Antoine Spoto (Henri Matisse), Laurent Claret (Leo Stein), Thérèse Bourou-Rubinsztein (Alice B. Toklas), Vincent Menjou Cortes (Henri de Toulouse-Lautrec), Olivier Rabourdin (Paul Gauguin), François Rostain (Edgar Degas) 94 Min. / 100 Min., Kinostart: 18. August 2011

Unter den Berliner Filmkritikern (zumindest jenen, mit denen ich mich bei Pressevorführungen öfters unterhalte) scheint eine gewisse Grundablehnung gegenüber Woody Allen zu herrschen. Ich verfolge Woodys Karriere seit einem guten Vierteljahrhundert aufmerksam, bin mir zwar dessen bewusst, dass er seine besten Zeiten hinter sich hat, aber wie mitunter schon vor dem Film Gift und Galle gespuckt wird, erscheint mir doch sehr befremdlich.

In der ersten Viertelstunde von Midnight in Paris hatte ich dann aber das Gefühl, den vielleicht schlechtesten Allen-Film aller Zeiten zu sehen. Man beginnt mit der üblichen nostalgischen Musikeinspielung, doch statt der Vorspanntitel, sieht man kurze Einstellungen, die Paris zeigen. Das komplette Touristenprogramm, gefühlt ca. 60 Einstellungen, jeweils ziemlich gleichlang, der einzige Ansatz einer Narration ist es, wenn es zwischendurch mal regnet und dann Nacht wird. Das aber auch nicht 100%ig überzeugend. Dann folgen die Vorspanntitel, aber statt mit Musik mit einem Dialog unterlegt. Einerseits freut man sich ja, dass ein so alter Hund noch neue Tricks lernt, aber ich war angesichts der seltsamen Herangehensweise schon ein wenig angesäuert.

Das Hauptproblem war auch, dass die Dialoge (inzwischen sieht man die Sprechenden auch schon mal) so auffallend schlecht waren. Die beiden Verlobten Gil (Owen Wilson) und Inez (Rachel McAdams) haben offensichtlich recht unterschiedliche Lebenseinstellungen (Kurzzusammenfassung: er will statt seiner erfolgreichen Film-Drehbücher lieber ernsthafter Schriftsteller werden, sie will Shoppen gehen). Der Film dreht sich einige Zeit um die Zänkereien der beiden, um die politische zwischen dem liberalen Gill und der aus wohlhabendem, erzkonservativen Haus stammende Inez (bzw. deren Eltern, die vom Schwiegersohn nicht wirklich angetan sind). Dann kommt noch der Brite Paul (Michael Sheen) nebst Gattin dazu, und wenn Inez mal »wie nebenbei« erwähnt »I had such a crush on him« (zu College-Zeiten), dann hat man als Zuschauer das Gefühl, mindestens die nächste halbe Stunde des Films bereits zu kennen.

Doch dann landet Gil, dessen große Schriftsteller- und Künstleridole einst das Paris der Zwanziger Jahre bevölkerten, um Mitternacht justamente in dieser Gesellschaft, er fachsimpelt mit Hemingway, tanzt zu Cole Porter und verliebt sich recht schnell in Adriana (Marion Cotillard). Am nächsten Tag bzw. zur nächsten Mitternacht kann er sogar sein Romanmanuskript Gertrude Stein (Kathy Bates) zur Einsicht mitbringen und Allen nutzt diese seltsame Zeitreise-Geschichte für eine etwas andere (gefährdete) Liebesgeschichte. Hierbei profitiert Allen natürlich davon, dass der 1935 geborene sich für diese Zeit offensichtlich eher begeistern kann als für die Jetztzeit, zumindest in dieser Hinsicht ist Gil ein alter ego, und Allen schlägt aus der Prämisse auch großartiges Kapital, wenn er Gil etwa einem seiner neuen Freunde die Grundidee zum Würgeangel eingibt, Buñuel aber schlichtweg nicht kapieren will, was das soll und immer wieder nachhakt »Aber warum verlassen sie das Zimmer nicht?«.

Die Zeitreise-Geschichte (wenn man es so 1:1 interpretieren will) erinnert ein wenig an Allens The Purple Rose of Cairo, doch man merkt immerhin, dass Allen auch aktuelle Inspirationen in seiner Geschichte verarbeitet. Da die Zwanziger-Atmosphäre und die zweite Liebesgeschichte (mit Marion Cotillard) um einiges interessanter sind als die frühen Paris-Szenen, könnte also trotz meiner ursprünglichen Einwände ein mal wieder überdurchschnittlicher Allen daraus werden, doch auch wenn sich die schlechten Dialoge im Nachhinein als womöglich gewollt herausstellen (um den Kontrast zur interessanteren Welt der 1920er zu verdeutlichen), ist es leider so, dass es doch immer noch einige Details geben, die einen bitteren Nachgeschmack hinterlassen. Vieles an den Zwanzigern erscheint wie eine Nummernrevue, wie jenes Namedropping, das Allen längst nicht mehr so beherrscht wie zu seinen Glanzzeiten. Ein Kurzauftritt von Djuna Barnes führt dann zu einem lapidaren Kommentar wie »No wonder she wanted to lead«, und man hat dann die Möglichkeit, Woody Allens mitunter bedenkliche Altherrenpolitik mit seinen früheren Idealen zu vergleichen. Wo es in The Purple Rose of Cairo nämlich auch um sozialen Realismus ging, um prügelnde Ehemänner und wirtschaftliche Probleme, da ist Midnight in Paris vor allem ein leicht verdaulicher Film für Touristen, für Leute wie Inez und ihre Eltern. Leute, die sich mal nach Paris verirren, die wissen, dass Picasso und Dali Maler sind und im günstigsten Fall mal mitgekriegt haben, dass T.S. Eliot die Vorlage zum Musical Cats (das sie dreimal gesehen haben) schrieb, und die einfach ein bisschen unterhalten werden wollen. Dass Allen im Alter womöglich wieder ein neues Publikum für sich entdecken kann, mag man als Erfolg werten - oder als Ausverkauf.

Vor seinem womöglich in München spielenden Film (er hat »ernsthaftes« Interesse bekundet, und München ist bereit zu finanzieren) habe ich ein wenig Angst, aber ich bin auch gespannt.