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Sofie Lichtenstein: Bügeln. Protokolle über geschlechtliche Handlungen




15. August 2012
Thomas Vorwerk
für satt.org

Cinemania-Logo 82:
Von Rom nach Süddeutschland:
Hotel Mama, Küche Papa.


Jeff, der noch zu Hause lebt

Jeff, der noch zu Hause lebt
(Jay & Mark Duplass)

USA 2011, Originaltitel: Jeff, Who Lives at Home, Buch: Jay & Mark Duplass, Kamera: Jas Shelton, Schnitt: Jay Deuby, Musik: Michael Andrews, mit Jason Segel (Jeff), Ed Helms (Pat), Susan Sarandon (Sharon), Judy Greer (Linda), Rae Dawn Chong (Carol), Steve Zissis (Steve), Evan Ross (Kevin), John Neisler (Kevin Kandy Employee), 83 Min., Kinostart: 9. August 2012

Derzeit ist aus Hollywood-Sicht die Komödie das wirtschaftlichste aller Genres. Wenn eine Gruppe junger Menschen vor dem Multiplex steht, und die momentanen Blockbuster jeweils bereits von einem oder dem anderen aus der Gruppe gesehen wurden, hat man die besten Chancen, wenn man sich auf eine Komödie einigt, bei der einem vom Plakat ein bekanntes Gesicht entgegengrinst. Und mit »bekanntes Gesicht« meine ich durchaus auch eher unbekannte Gesichter wie Jon Heder, Nick Swardson, Jonah Hill oder hier Ed Helms. Irgendjemand in der Gruppe erinnert sich dann daran, diesen oder jenen bereits in jenem Film gesehen zu haben, von dem die anderen zumindest mal gehört haben (was mitunter sogar besser ist als ein »echter« Komödienstar wie Eddie Murphy oder Robin Williams, der aber schon bei Teilen der Gruppe auf Ablehnung stößt). Und solange der Film ausreichend Lacher suggeriert, wird man das gemeinsame Kino-Erlebnis auch positiv abspeichern und beim nächsten Mal vielleicht ein weiteres Nebendarstellergesicht als Qualitätsgarant interpretieren. Bereits etwas ältere Darsteller (wie hier Susan Sarandon), gutaussehende Frauen (Judy Greer) oder Fernsehgesichter (Jason Segel) stören auch jeweils nicht, und wenn man dann noch eine Judd-Apatow-Connection oder ein sonstiges »Von den Machern von« vorweisen kann, ist das Budget schnell wieder eingespielt, und manchmal können sich daraus große Erfolgsgeschichten wie bei Bridesmaids entwickeln.

Bei den Regisseuren ist man aufgrund der überschaubaren finanziellen Risiken auch zu Experimenten bereit. Wer mal eine erfolgreiche Komödie gedreht hat, muss mindestens zwei Totalflops nachliefern, ehe die Credibility verloren ist. Und Independent-Regisseure, die unter anderen Umständen nach fünf Festival-Jahrgängen aufgegeben hätten, können mit Komödien eine erfolgreiche zweite Karriere erleben, wie etwa David Gordon Green (erst George Washington oder Snow Angels, dann Pineapple Express und Your Highness). In diese Kategorie gehören auch Jay und Mark Duplass, zwei Brüder, die sich zunächst mit Mumblecore-Filmen einen Namen machten und dann mit Cyrus quasi einen Übergang zu Komödien fanden, bei dem die früheren Vorlieben nicht plötzlich völlig verschwanden. Auch Jeff, Who Lives at Home hat noch Mumblecore-Elemente und wirkt teilweise fast esoterisch für eine Komödie, doch das Comedy-Timing ist präzise, selbst, wenn man sich auch mal im Understatement übt, statt Schenkelklopfer auf Schenkelklopfer folgen zu lassen.

Der Umgang mit Komödien ist in den letzten zehn bis 15 Jahren experimenteller und präziser geworden. Teilweise läuft das ähnlich wie bei Horrorfilmen. Wenn Meister des Fachs wie Hitchcock bei The Birds oder Spielberg bei Jaws die großen Splatter-Effekte ganz gezielt einsetzen und nach einer gelungen eingebrachten Blutkonserve zwanzig Minuten lang nur die Spannung aufrechterhalten (während die Zuschauer mit angehaltenem Atem den nächsten Angriff antizipieren), dann kann das auch in Komödien funktionieren, wo wahre Meister der Subtilität nach einer Szene, bei der sich das halbe Kino den Schlüpfer einnässt, über kleine präzise Momente, bei denen womöglich nur Teile des Publikums lachen, sich dieses aber nach und nach steigert (Napoleon Dynamite ist hier ein Paradebeispiel, auch wenn der Film sein wahres Potential bei vielen Zuschauern erst bei zweiten oder dritten Schauen entwickelt), dann können sich die Zuschauer nach dem Kinobesuch vielleicht nicht an 50 großartige Lacher zum Wiedererzählen erinnern, aber das Gefühl, wie sich das Lachen langsam steigert, quasi aus den Zuschauern herausbricht, ohne dass ein nachzuvollziehender Grund klar wird – dieses Gefühl nimmt man mit sich und wird es in Zukunft mit diesem Film (und evtl. seinen Darstellern) konnotieren.

Jeff, Who Lives at Home ist gar nicht so ein Komödienmeisterwerk, wie ich es eben beschrieben habe, aber der Film arbeitet mit subtilem Understatement und einigen eindeutigeren Komödienmomenten in einer sehr interessanten Weise. Man kennt das ja aus den Laurel-and-Hardy-Klassikern, wo beispielsweise die lustvolle Zerstörung mit einer Kleinigkeit beginnen kann und dann ganze Häuser im verlangsamten Tit-for-Tat »vernichtet« werden.

In Jeff, Who Lives at Home kauft sich der von Eheproblemen verfolgte Bruder Jeffs, Pat (Ed Helms), einen in seiner finanziellen Situation komplett unangemessenen Porsche, und wer schon mal ein paar Komödien gesehen hat, weiß, dass das Luxusgefährt Gefahr läuft, beschädigt zu werden. Die Art und Weise, wie die Duplass-Brüder dies ausspielen, ist schon recht großartig, insbesondere, weil es sich hierbei um einen echten Money-Shot handelt, der das Budget, auf das man den Film bis zu diesem Zeitpunkt geschätzt hätte, quasi in Sekundenbruchteilen verdoppelt scheint. Nun hatte ich nach Cyrus und der ersten Viertelstunde von Jeff so meine Vermutungen, mit was für einem Budget der Film arbeiten würde (sehr viel geringer als bei Pineapple Express und Your Highness), und es hat mich verzückt, wie die Budgetfrage hier sehr ähnlich gehandelt wurde wie Splattereffekte und Schenkelklopfer in anderen Filmen. Es gab sozusagen starke Synergien (zumindest, wenn man einen geschrotteten Porsche als etwas ähnliches wie einen Splatter-Effekt auffasst).

Doch der Film hat darüber hinaus noch viele Dinge, die für ihn sprechen. Einerseits geht es (wie in Mumblecore-Filmen) um durchaus realistische Probleme (auch, was die Größe der Probleme angeht), andererseits spielen die Regisseure auch mit quasi kosmischen Themen. Jeff (Jason Segel, mit eindrucksvollem Verzicht auf die übliche Star-Verschönerung), der in fortgeschrittenem Alter in »Hotel Mama« herumlungert, soll eigentlich nur (als mütterliches Ultimatum) eine Schranktür reparieren (ein überschaubares Problem), doch der Film macht es von vornherein klar, dass Jeff an dieser Aufgabe wahrscheinlich scheitern wird. Denn für solche Kleinigkeiten (selbst, wenn sie sein Leben stark beeinflussen könnten) hat Jeff keine Zeit, er schaut auf das große Bild, den Masterplan, das Schicksal. Nun könnte er Sophokles, Chaucer oder Shakespeare analysieren, um sich tiefe Einsichten zu verschaffen, doch seine Blaupause ist M. Night Shyamalans Signs. Was es dem Zuschauer nicht unbedingt leichter macht, ihn ernst zu nehmen.

Doch der Masterplan, der Jeffs Leben vorantreibt, hat auch ganz konkrete eigene »Zeichen«. So nimmt Jeff einen Anruf an, bei dem der Gesprächspartner sich wohl verwählt hatte – und ist sich fortan sicher, dass der Name »Kevin« (so hieß der Anrufer) für ihn sehr wichtig ist. Das ist eines der prägenden Handlungselemente, und das humoristische Potential ist ebenso offensichtlich wie die Möglichkeit, dass Jeff sowohl bei seiner ursprünglichen Aufgabe (Schranktür reparieren) als auch bei der späteren Hilfestellung für seinen Bruder, der seiner womöglich fremdgehenden Frau (Judy Greer) hinterherspioniert, immer wieder auf »Ablenkungen« stößt wie den Herren, der mit seinen »Kevin Kandy« Truck Vending-Maschinen bestückt – und die Duplass-Brüder machen nicht nur das Schicksal an sich zum Komödienelement, ihr im Endeffekt erstaunlich durchstrukturiertes Drehbuch macht auch aus dieser harmlosen kleinen Komödie irgendwie mehr. Einen Kommentar auf das Leben, oder einen auf Hollywood? Da ich eher weniger über die Geschichte des Films ausplaudern möchte, will ich nur auf ein kleines Element hinweisen, dass schon bei Shyamalan eine große Rolle spielt: Wasser! Im Verlauf des Films spielt Wasser immer wieder eine Rolle, ob in einem Gespräch über die Beziehung zwischen Bruder Pat und Gattin Linda, wobei die Beziehung wie eine Blume »Wasser braucht«, oder in der Nebenhandlung um die Mutter der beiden Brüder (Susan Sarandon), die befürchtet, zu alt zu sein, um noch mal »unter einem Wasserfall geküsst zu werden«, dann aber doch einen geheimen Verehrer bekommt. Ich gehöre eigentlich zu den Leuten, die ein zu sehr am Reißbrett entworfenes Dramaturgie-Konzept als eher störend empfinden, und einen anderen Ausgang hätte ich mir bei dem Film durchaus auch gewünscht, aber alles in allem hat mich Jeff, Who lives at Home sehr positiv angesprochen, denn hier wird nicht nur ein ökonomisch gefahrloses Rezept (die Komödie) verwendet, sondern der Film macht auf experimentelle, mutige und persönliche Art weitaus mehr aus der Komödienprämisse, und sowohl ein Mainstreampublikum als auch Zuschauer, die etwas mehr erwarten als »bloße« Unterhaltung, könnten hier auf ihre Kosten kommen.

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To Rome with Love

To Rome with Love
(Woody Allen)

USA / Italien / Spanien 2012, Ital. Titel: A Roma con amor, Buch: Woody Allen, Kamera: Darius Khondji, Schnitt: Alisa Lepselter, mit Jesse Eisenberg (Jack), Alec Baldwin (John), Ellen Page (Monica), Greta Gerwig (Sally), Alison Pill (Hayley), Flavio Parenti (Michelangelo), Woody Allen (Jerry), Judy Davis (Phyllis), Alessandro Tiberi (Antonio), Roberto Benigni (Leopoldo), Sergio Solli (Leopoldo's Chauffeur), Fabio Armiliato (Giancarlo), Alessandra Mastronardi (Milly), Penélope Cruz (Anna), Ornella Muti (Pia Fusari), Antonio Albanese (Luca Salta), Riccardo Scarmarcio (Hoteldieb), Carol Alt (Carol), Pierluigi Marchionne (Traffic Policeman), Roberto Della Casa (Uncle Paolo), Ariella Reggio (Aunt Rita), Gustavo Frigerio (Uncle Sal), Simona Caparrini (Aunt Giovanna), Rosa Di Brigida (Rosa Di Brigida), Giuliano Gemma (Hotel Manager), 110 Min., Kinostart: 30. August 2012

Einiges an diesem Film ist bemerkenswert. Denn wo andere Filme sich gewissen Regeln fügen, schert sich dieser Film (bzw. Autor und Regisseur Woody Allen) nicht darum, der Zuschauer selbst kann die Regeln (oder Grundlinien des Films) ausfindig machen (wenn er will), aber manchmal bleiben sie auch recht vage.

Nachdem Midnight in Paris erstaunlicherweise der erfolgreichste Allen-Film aller Zeiten wurde, wirkt To Rome with Love auf den ersten Blick wie eine Fortführung des Erfolgsrezepts: Thema Nr. 1, die Liebe, dargeboten in einer europäischen Hauptstadt. Nach Vicky Cristina Barcelona (ich weiß, die Hauptstadt Spaniens ist Madrid, aber das sind Kleinigkeiten) und Paris ist die Stadt selbst auch zum drittenmal gleich Teil des Filmtitels (Manhattan, Manhattan Murder Stories, Bullets over Broadway, Broadway Danny Rose, Hollywood Ending und New York Stories mal alle nicht mitgezählt – auch, weil es größtenteils nur Stadtteile sind). Und wie schon in Barcelona und Paris funktioniert der Film natürlich auch wieder wie ein Werbefilm für die Tourismusabteilung – insbesondere auch für das amerikanische und Weltpublikum. Das ist soweit auch okay, wo wären wir ohne Filme wie Roman Holiday, Über den Dächern von Nizza oder Der weiße Hai in Venedig? Na gut, den letzten streichen wir lieber und nehmen dafür Visconti.

Zu Beginn des Films (es gibt eine seltsame Erzählerfigur, die nur zu Beginn und ganz am Schluss mal auftaucht, und noch überflüssiger wirkt als der Voice-Over-Kommentar in Vicky Cristina Barcelona) werden einige Figuren vorgestellt und man befürchtet einen Liebes-Episodenfilm wie Valentine's Day – doch die Liebe ist nicht das wichtigste Thema des Films, und er funktioniert ganz anders als andere Episodenfilme. Im Kino braucht man einige Zeit, um es zu realisieren, aber der Film dreht sich eigentlich um Fantasien. Der erfolgreiche Architekt John (Alec Baldwin) versetzt sich ähnlich wie in Midnight in Paris zurück in die Vergangenheit – und trifft sich selbst in jung (Jesse Eisenberg als Jack) zu Studienzeiten weiter, wobei er noch mal die Fehler seiner Jugend wiederholt bzw. seinem jüngeren alter ego mit gutgemeinten Ratschlägen zur Seite steht. Diese Episode bricht die meisten Regeln, denn einerseits ist die Zeitreise keine wirkliche »magische« Zeitreise (Handys!), andererseits ist sie aber auch nicht »realistisch« zu erklären, weil der alte John nur den Teil eines Nachmittags auf einer Bank verbringt, gleichzeitig aber mit dem jüngeren Jack einen Ausflug macht, der offensichtlich mehrere Tage dauert. Und mal stellt Jack seiner Freundin Sally (Greta Gerwig) John vor, dann wieder wirkt er wie der Bogart in Play it again, Sam – und immer, wenn man gerade denkt, es könnte doch Sinn machen, diskutiert John mit Monica (Ellen Page), obwohl es in den Szenen dieser Episode ausreichend Momente gibt, wo Johns Anwesenheit nicht erklärt werden kann – Zusammenfassung: eine Fantasie!

Die nächste Fantasie betrifft einen normalen Bürger (Roberto Benigni), der plötzlich (ohne Grund oder Talent) berühmt ist, von jedermann zu seinen Frühstücks- und Rasurmethoden interviewt wird, und trotz glücklicher Ehe auch noch von jungen, gutaussehenden Frauen umschwirrt wird.

Der Bestatter Giancarlo hingegen (Fabio Armiliato) hat keinerlei Bestrebungen, berühmt zu werden, aber der ehemalige Opernregisseur Jerry (Woody Allen), der Vater der potentiellen Braut Giancarlos Sohnes, hört Giancarlo in der Dusche trällern und steigert sich in die fixe Idee hinein, dieses Ausnahmetalent groß herauszubringen. Giancarlo sträubt sich lange Zeit, aber irgendwo tief in ihm drin sehnt er sich wohl auch nach Bestätigung. Und so geht es in dieser Episode gleich um zwei Fantasien, die womöglich gemeinsam einer Erfüllung entgegen gehen. Nur schade, dass Giancarlo nur unter der Dusche sein Gesangstalent entfaltet, weshalb sich diese Geschichte zwischenzeitig wie Chuck Jones' A Froggy Evening entwickelt.

Die letzten beiden, die sich zwei Fantasien hingeben, sind zwei Frischvermählte, die unterschiedlich aktiv noch einmal ein Abenteuer suchen, wobei er eine knallige Prostituierte (Penélope Cruz) statt der eher zurückhaltenden Gattin der Familie vorführt, und sie sich zunächst in Rom verirrt (ein Handlungsschema, in dem sich jeder Tourist wiederfinden kann), bevor sie dann in Filmdreharbeiten gerät, und von ihrem früheren Idol (wie George Clooney sieht der nicht aus) »ausgeführt« wird – mit offensichtlicher Absicht zu einem Schäferstündchen.

Diese zuletzt wiedergegebene der vier sich nie gegenseitig berührenden und parallel ablaufenden Episoden ist übrigens die einzige, die noch halbwegs realistisch daherkommt (na gut, es ist eine überdrehte Farce, aber es könnte ja sein ...) und die sich auch innerhalb eines Nachmittags abspielt. Die anderen drei Episoden umschreiben allesamt mehrere Tage, und Woody Allen fühlt sich nicht im geringsten irgendwie gefordert, diesen Widerspruch aufzuklären. Ganz im Gegenteil, in der Episode mit den Frischvermählten, die ja in ihrer Einheit von Zeit und Raum fast klassisch wirkt, demonstriert Allen dann bei einer Szene, in der fast alle Beteiligten im selben Restaurant auftauchen, dass er sich um Rauminszenierung auch keinen Deut schert, denn während der Gatte sich auf einem wackelnden Stuhl fast verrenkt, um hinter einer großen Säule seine Frau beim Flirten mit dem Filmstar zu beobachten, können die anwesenden Familienmitglieder (Onkel, Tante, Onkel, Tante) offenbar durch die Säule hindurchschauen, um ihm die neuesten Geschehnisse zu berichten. Erzählerische Ökonomie ist ein Ding, aber bei allem Respekt wirkt einiges an diesem Film eher nach Altersdemenz.

Immerhin ist Woody Allen sehr fürsorglich, was den Umgang mit seinen Kritikern angeht. So liefert er die Pointen für mögliche Verrisse gleich selbst. Der Architekt erklärt seinem jüngeren idealistischen Epigonen »There's a lot of dough in shopping malls«, analog zu Allens spätem Bekenntnis zu Erfolgsrezepten (übrigens auch bezeichnend, dass Woody diesmal zur Dauerbeschallung den Italo-Disco-Hit Amada mi, amore mio verwendet). Ellen Page als Monica wird innerhalb des Films dekonstruiert als Möchtegern-Intellektuelle, die von jedem Dichter eine Zeile auswendig gelernt hat und sich durch gezieltes Name-Dropping gescheiter darstellt als sie wirklich ist – ein Gefühl, das ich bei Allen auch zunehmend habe. Und den Höhepunkt markiert dann die Zeitungskritik zum »Comeback« des Opernregisseurs: »[the] imbecile should be taken out and beheaded«. Irgendwie doppelbödig retten kann Allen die Pointe dieser nur wegen der Todesstrafe überzogenen Selbstkritik damit, dass Jerry nicht einmal kapiert, was ein »imbecile« (oder das italienischsprachige Äquivalent) ist, und seine zumeist im Hintergrund agierende Frau (Judy Davis) rettet ihn durch eine Lüge vor der Beleidigung und lässt ihn im Glauben, er »sei seiner Zeit voraus«. Dass das (auf Allen bezogen) nicht stimmt, weiß Woody sicher. Aber er sollte durchaus mal einen Realitätsabgleich bei seinem versiegenden Talent vornehmen.

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Entre les Bras

Entre les Bras
3 Sterne. 2 Generationen. 1 Küche.
(Paul Lacoste)

Originaltitel: Entre les Bras, Frankreich 2012, Buch: Paul Lacoste, Kamera: Yvan Quehec, Schnitt: Anthony Brinig, mit Michel Bras, Sébastian Bras, 86 Min., Kinostart: 9. August 2012

Ich gebe mir immer Mühe, zwischen dem eigentlichen Film und dem, was Vermarktung und / oder deutscher Verleih daraus machen, dezidiert zu unterscheiden, und deshalb muss ich betonen, dass es nicht die Schuld des Films ist, dass der deutsche Zusatztitel »3 Sterne. 2 Generationen. 1 Küche« bei seinen drei Zahlenangaben immerhin zweimal danebenliegt. »1 Küche« mag man vielleicht noch durchgehen lassen, wenn man Küche nicht als Ort versteht, sondern als mit Kolonien versehenes Regime unter der Fuchtel eines Chefkochs, aber spätestens bei den »2 Generationen« geht es im Film eben nicht nur um den Drei-Sterne-Koch Michel Bras, der die »Befehlsgewalt« an seinen Sohn Sébastian übergibt, sondern auch um die Generation davor (und streng genommen auch um zwei weitere Küchen, in denen Michels Eltern tätig waren) und die folgende Generation (auch wenn der spielerische Umgang der Dreikäsehochs mit Kochmützen noch nicht ihren gesamten Karriereweg vorwegnimmt, wie es bei Michel noch stärker den Anschein hat).

Aber in Deutschland gestaltet man Filmtitel gerne überdeutlich, damit das Publikum sich zuvor nicht unnötig informieren muss, sondern gleich weiß, dass es sich bei Christine um das »Auto des Teufels« und bei Carrie um »des Satans jüngste Tochter« handelt. Ungeachtet des Wahrheitsgehalts solcher Titel.

Entre les Bras ist eine Doku, die eine klar abgesteckte Geschichte erzählen will. Für Kapriolen ist hier wenig Platz, vieles ist durchstrukturiert wie die Jahreszeiten, die die Geschichte begleiten. Vieles ist für meinen Geschmack viel zu durchstrukturiert. Da gibt es ein Winzerfest mit einer musikalischen Darbietung, die Kamera fährt / schwenkt die schunkelnden Reihen herab, und wie auf Befehl und musikalisch wie konzertiert gelangt die Kamera schließlich zu den Sterne-Köchen, die sich just in diesem Moment erheben und einen Gesangspart übernehmen. Mit Dokumentation hat das meines Erachtens etwa so wenig zu tun wie Die strengsten Eltern der Welt oder – um beim Thema zu bleiben – Rach der Restaurant-Tester.

Solche inszenatorischen »Sahnehäubchen« findet man mehrfach im Film. Der koch geht joggen und ruht sich ausgerechnet an der Stelle aus, wo die die Kamera schon aufgebaut ist und im Hintergrund das Restaurant malerisch auf dem Hügel liegt. Von da aus, kann man auch die zahlreichen Landschaftsaufnahmen einbringen, die den Streifen auf eine Lauflänge von 80 Minuten bringen. Mit den üblichen esoterischen Klischees: Jahreszeiten = Sonnenuntergang und -aufgang = Generationswechsel. Das macht aus dem Film ein kleines Ärgernis, wo doch die Geschichte durchaus Potential gehabt hätte. Offenbar verhält es sich so, dass die Anzahl der Küchenaufnahmen stark beschränkt war, Vater und Sohn keine Machtkämpfe vor laufender Kamera bieten und das Ganze somit erstaunlich harmlos und belanglos bleibt. Man bedient ein weitgefächertes Fernsehpublikum, es fehlt der Mut, eines der Unterthemen (Geschäftsführung, Milchhaut, Japan, Familiengeschichte, Ruhestand) etwas detaillierter zu erforschen, stattdessen wirkt Entre les Bras wie ein »Making of«, das nicht vorgibt, hinter die Kulissen eines Filmdrehs zu schauen, sondern hinter die Küchentüren – und das mit zu geringem Informationsgehalt und rein filmisch allenfalls kunstgewerblich.

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  Wer's glaubt, wird selig
Die Kirche bleibt im Dorf

Wer's glaubt, wird selig
(Marcus H. Rosenmüller)

Deutschland 2012, Buch: Jeremy Leven, Kamera: Stefan Biebl, Schnitt: Georg Söring, Musik: Gerd Baumann, mit Christian Ulmen (Georg), Maria Leuenberger (Emilie), Nikolaus Paryla (Papst Innozenz XIV), Lisa Maria Potthoff (Evi), Fahri Yardim (Pater Paolo Barsotti / Vincenzo Barsotti), Hannelore Elsner (Daisy), Simon Schwarz (Hartl, Polizist), Maximilian Schafroth (Pellhammer, Lehrer), Jürgen Tonkel (Hubert Möslang, Bestattungsunternehmer), Johannes Herrschmann (Karl-Heinz Gumberger, Supermarktbesitzer), Gerhard Wittmann (Pfarrer Felix), Billie Zöckler (Haushälterin Hildegard), Hubert Mulzer (Kardinal Santi), Franz Bauer (Sigi Fischer, Metzger), Max von Thun (Pornodarsteller), 105 Min., Kinostart: 16. August 2012

Die Kirche bleibt im Dorf
(Ulrike Grote)

Deutschland 2012, Buch: Ulrike Grote, Kamera: Robert Berghoff, Schnitt: Tina Freitag, Musik: Jörn Kux, mit Natalia Wörner (Maria Häberle), Karoline Eichhorn (Christine Häberle), Julia Nachtmann (Klara Häberle), Christian Pätzold (Gottfried Häberle), Elisabeth Schwarz (Elisabeth Rossbauer), Stephan Schad (Karl Rossbauer), Hans Löw (Peter Rossbauer), Gary Smith (Howard Jones), Peter Jordan (Dieter Osterloh), Dietz-Werner Steck (Harald Löffler), Rolf Schübel (Rolf Merz), Ulrich Gebauer (Pfarrer Schäuble), 95 Min., Kinostart: 23. August 2012

Marcus H. Rosenmüller ist seit seinem vielgelobten Regiedebüt Wer früher stirbt, ist länger tot einer der produktivsten deutschen Kinoregisseure, und dabei ganz auf seine bayrische Heimat eingeschossen. Beste Zeit, Beste Gegend, Räuber Kneißl, Die Perlmutterfarbe, Sommer in Orange, Sommer der Gaukler – man kann fast von einer Ein-Mann-Inflation bayrischer Filmthemen in den letzten fünf Jahren sprechen, und man muss Herrn Rosenmüller zugute halten, dass er nicht nur ein Spektrum unterschiedlicher komödiantischer Tonfälle abzustecken versucht – er schreckt auch vor historischen Stoffen nicht zurück.

Die in Pforzheim aufgewachsene Kinoregiedebütantin Ulrike Grote ist zwar zehn Jahre älter als Rosenmüller, hatte aber schon eine vom Theater kommende Schauspielkarriere, ehe sie 2004 mit der TV-Regie begann. Originalton: »Nichts gegen die Bayern und ihre wunderbaren Filme, aber es kann doch nicht sein, dass es nur bayerische Komödien gibt ...« Und somit legte sie eine schwäbische Komödie vor, bei der (kleine Warnung!) aber nur die englischsprachigen Dialoge untertitelt sind.

Aus unerklärlichen Gründen treten diese beiden Filme nun quasi in einem direkten Wettstreit ihren deutschen Kinostart an – wobei der etablierte Herr Rosenmüller den Constantin Filmverleih (und entsprechend mehr Geld für Werbung und Kopien) im Rücken hat, während die aufstrebende Kollegin vom sympathischen, aber vergleichsweise winzigen Camino Filmverleih unterstützt wird.

Als in Norddeutschland Aufgewachsener mit Wahlheimat Berlin kann ich über korrekte Dialekte oder zutreffendes Lokalkolorit wenig aussagen, aber da Wer's glaubt wird selig auch größtenteils Richtung Hochdeutsch tendiert, ist dies auch nicht das wichtigste Vergleichskriterium.

Beide Filme täuschen vor, jeweils ein ländliches Dörflein und insbesondere seine Einwohner zu beschreiben, doch in beiden Fällen begnügt man sich mit dem ortsansässigen Geistlichen, dem Bürgermeister und jeweils einer überschaubaren »Dorfauswahl«, die jeweils etwas ähnliches wie einen Gastwirt in den Mittelpunkt stellt. Bei Rosenmüller ist dies der (offensichtlich zugezogene) Georg (Christian Ulmen, aus meiner Sicht bereits ein triftiger Punkt gegen den Film), bei Kollegin Grote gibt es eine von drei Schwestern geführte Wirtschaft mit einem Patriarchen irgendwo im Hintergrund (ich musste gleich an King Lear denken, aber die Ähnlichkeit endet bei der ursprünglichen Figurenkonstellation). Nun habe ich im Bereich Provinz-Gastronomie durchaus Erfahrung, und die Art und Weise, wie der vermeintliche Broterwerb sich auf Hintergrund und dörfliche Anbindung (für das Drehbuch) beschränkt, ist in beiden Filmen recht ähnlich. Die Kirche bleibt im Dorf bekommt hier aber einen Minuspunkt, weil es hier erstaunlich auffällig ist, wie wirtschaftlich stabil das Gasthaus erscheint, obwohl hier offenbar niemals jemand ein dargebotenes Gericht auch nur ansatzweise zu Ende isst. Vermutlich wollte man Anschlussfehlern entgehen, indem man halbvolle Teller nutzte, die die Schauspieler nicht anrühren durften. Es gibt ja das Phänomen, dass so ziemlich jeder glaubt, er könne als Gastwirt erfolgreich sein – noch schlimmer sind Regisseure (und manchmal Schauspieler), die glauben, Gastwirtschaften nebst Personal und Führung darstellen zu können.

Beide Filme drehen sich laut Titel ja am religiöse Belange, sei es der Glaube oder die Kirche (auch, wenn es bei letzterem mehr um das Gebäude geht), und entweder die Figuren oder die Autoren zeigen in beiden Fällen besondere Kreativität, indem man jeweils bei einer Marienstatue »nachhelfen« will, um ein Wunder zu kreieren.

An dieser Stelle kurze Inhaltzusammenfassungen:
Wer's glaubt, wird selig: Durch Schneearmut steht der Skiort Hollerbach vor dem wirtschaftlichen Aus. Aus der unter abenteuerlichen Umständen verstorbenen Schwiegermutter Daisy (Hannelore Elsner) soll eine Heilige werden, um neue Touristenscharen anzulocken. Das Ganze erzählt der Ortswirt dem eigens angereisten Papst Innozenz XVI in einer integrierten Rahmenhandlung.
Die Kirche bleibt im Dorf: Die Ober- und Unterrieslinger stehen im dauerhaften Konflikt, personifiziert durch den Oberrieslinger Bürgermeister und seine drei Töchter sowie eine Unterrieslinger Schweinezüchterin mit ihrerseits zwei Söhnen. Dann kommt ein mysteriöser Amerikaner ins Dorf und will die (in Oberriesling stehende) Kirche kaufen, und man wundert sich als Zuschauer, warum der Ami wie Robert Redford aussieht und nicht wie Nicolas Cage, denn um die antike Kirche entbrennt sich eine Schnitzeljagd.

Zusammenfassung beider Filme: kleines Dorf, viel Liebe, wenig Geld, man braucht ein Wunder, hat aber nur einen Trauerfall – und durch außerdörfliche Prominenz soll die läppische Filmhandlung aufgewertet werden.

Der vermeintliche Schlagabtausch zwischen den beiden heimatlichen Komödien wirkt auf mich wie ein Boxkampf zwischen zwei schwachbrüstigen Asthmatikern. Der Kampf könnte im Doppel-Knock-Out enden, aber umso wichtiger ist da die Punktewertung. Die Schwaben sind generell sympathischer, haben das besser strukturierte (bzw. simplere) Drehbuch, zerfasern sich aber in zu vielen Liebes- (und anderen) Geschichten, die dann in Rekordzeit eine Auflösung finden. Das ist aber immer noch besser als die bayrische Variante, wo man wenig ambitioniert Handlungsstränge anreißt, sie dann aber später wie nebenbei einfach fallenlässt. Ob Papstbesuch, Hundeschicksal, Doppelrolle oder Wunderlösung: alles bleibt so unbefriedigend wie die berüchtigte Pornodarstellerin (Lisa-Maria Potthoff). Für die Schwaben zählt dann noch der manchmal fast unfreiwillig erscheinende Humor: Manches ist so blöd, dass man wider Willen darüber lacht, sei es das Sprachenwirrwarr (»Into the Gruft«), die spontane Kirchenverkleidung oder der berühmte Dichter Walter Strümpfelbach. Allerdings ist es aber auch auffällig, wie sich die Regie nur mit viel musikalischer Spachtelmasse und Animations-Zwischentiteln über die Zeit retten kann. Ich mag nicht entscheiden, welcher dieser Filme »besser« ist – oder auch nur »weniger schlecht« ... überflüssig sind sie beide – und wenn sie in der Lüneburger Heide oder in Ostfriesland spielen würden, würde ich dies genau so sehen.