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Sofie Lichtenstein: Bügeln. Protokolle über geschlechtliche Handlungen




15. Juli 2015
Thomas Vorwerk
für satt.org


  Am grünen Rand der Welt (Thomas Vinterberg)
Am grünen Rand der Welt (Thomas Vinterberg)
Bildmaterial © 2015 Twentieth Century Fox
Am grünen Rand der Welt (Thomas Vinterberg)
Am grünen Rand der Welt (Thomas Vinterberg)
Am grünen Rand der Welt (Thomas Vinterberg)
Am grünen Rand der Welt (Thomas Vinterberg)


Am grünen Rand der Welt
(Thomas Vinterberg)

Originaltitel: Far from the Madding Crowd, UK/USA 2015, Buch: David Nicholls, Lit. Vorlage: Thomas Hardy, Kamera: Charlotte Bruus Christensen, Schnitt: Claire Simpson, Musik: Craig Armstrong, Production Design: Kave Quinn, Supervising Art Director: Julia Castle, mit Carey Mulligan (Bathsheba Everdene), Matthias Schoenaerts (Gabriel Oak), Jessica Barden (Liddy), Michael Sheen (William Boldwood), Tom Sturridge (Sergeant Francis Troy), Juno Temple (Fanny Robbon), Bradley Hall (Joseph Poorgrass), Hilton McRae (Jacob Smallbury), Sparky (Old George), 119 Min., Kinostart: 16. Juli 2015

1870 in der britischen Countryside: Die Proto-Feministin Bathsheba Everdene etabliert sich nach einer Erbschaft als selbstständige Gutsherrin (»You have now a mistress, not a master!«) und sieht sich so gar nicht in der Rolle als »trophy wife« oder Anhängsel eines Mannes (»I don't want to be anyone's possession.«). Einzig bei einem Schäfer aus der Nachbarschaft (Matthias Schoenarts in seiner überzeugendsten Darstellung seit De rouille et d'os) hat es deutlich gefunkt, doch als der nach einer deutlichen Verschiebung der Klassenverhältnisse plötzlich unter ihr steht, würde diese ihre mühsamen Kampf, von den Männern ernstgenommen zu werden, vermutlich interminieren, und so kommt es hier nicht zur sich offensichtlich anbietenden Verbindung. Stattdessen taucht nach dem gesellschaftlich mehr als akzeptablen, etwas älteren und beinahe etwas unterwürfigen »Boldwood« (Michael Sheen) noch der impulsive und leidenschaftliche Sergeant Frank Troy (Tom Sturridge) auf, von dessen großer Liebe der Film zuvor wie nebenbei erzählt hat (eine für den Romanautor Thomas Hardy typisch tragische Verwechslungsgeschichte). Und der weiß Bathsheba exakt so feurig-körperlich zu umgarnen, wie es ihr bisher versagt geblieben war.

In etwa 80% der Romane Thomas Hardys (und das soll keineswegs abwertend klingen, Hardy ist für mich der größte englische Schriftsteller nach Chaucer und Shakespeare, gerade weil er nicht wie Dickens oder Austen dem Publikum exakt das gab, was es forderte) würde sich aus dieser Vorgeschichte eine Leidensgeschichte mit weiteren Unglücksmomenten entwickeln, die auch mal die zweite Hälfte des Romans umfassen kann. Die Geschichte des moralisch bis auf ein kleines Detail unfehlbaren »gefallenen Mädchens« wie in Tess of the D'Urbervilles oder The Mayor of Casterbridge (beide überzeugend mit Nastassja Kinski verfilmt – mit mehr als zwei Jahrzehnten dazwischen) war Hardys bevorzugtes Thema, mit dem er der viktorianischen Gesellschaft immer wieder die Ungerechtigkeit in der Behandlung der Geschlechter vorführte. Dass er ausgerechnet hier einer für sein Werk eher uncharakteristisch eigenständigen und finanziell gesichert wirkenden Frau noch eine »zweite Chance« gibt, an der viele seiner Protagonisten oft noch umso härter gescheitert wären, lässt Far From the Madding Crowd beinahe versöhnlich wirken, aber insbesondere in der Verfilmung durch den in Sachen Kostümfilmen und weiblicher Hauptfiguren nahezu unbeleckten Thomas Vinterberg (Festen, Dear Wendy) werden gerade die feministischen Aspekte noch subtil ausgearbeitet: die freundschaftliche Beraterfunktion der Dienerin Liddy (Jessica Barden, spielte auch schon in der Verfilmung von Posy Simmonds Comic Tamara Drewe mit, der einige Elemente des Hardy-Romans recht frei aufgriff), Bathshebas Auftritt an der »Weizenbörse« oder das unauffällige Verschwinden mehrerer Frauen bei einer Feier, als man fragwürdiges Liedgut (»Pretty Polly«) anstimmt.

Apropos Liedgut: Carey Mulligan, die schon mehrfach in ihrer Schauspielkarriere Gesangsauftritte hatte (Shame, Inside Llewyn Davis), bringt die Auffassung ihrer Figur in dem Song »Let no man steal your thyme« auch sehr dekorativ auf den Punkt.

Far from the Madding Crowd entspricht zwar voll und ganz dem Prinzip der beliebten BBC-Literaturverfilmungen, beschränkt sich dabei aber nicht auf opulente Landadelkostüme und prächtige Landschaftsaufnahmen, sondern erzählt die clever kondensierte Geschichte (der durch One Day zum Bestsellerautor avancierte David Nicholls hat ein gewisses Faible für solche Stoffe) im fast modern wirkenden Gewand, mit vielen teilweise herzzerreißenden Szenen, die in Erinnerung bleiben. Im günstigsten Fall könnte der Film sogar jungen Zuschauer(inne)n den Impuls geben, das Werk Thomas Hardys zu entdecken. Immerhin war Bathsheba Everdene auch die literarische Namenspatin der Heldin aus The Hunger Games.