Anzeige:
Sofie Lichtenstein: Bügeln. Protokolle über geschlechtliche Handlungen




11. Januar 2018
Thomas Vorwerk
für satt.org


  The Commuter (Jaume Collet-Serra)


The Commuter
(Jaume Collet-Serra)

Frankreich / UK / USA 2018, Buch: Byron Willinger, Philip de Blasi, Kamera: Paul Cameron, Schnitt: Nicholas De Toth, Musik: Roque Baños, mit Liam Neeson (Michael MacCauley), Vera Farmiga (Joanna), Patrick Wilson (Murphy), Elizabeth McGovern (Karen MacCauley), Sam Neill (Captain Hawthorne), Jonathan Banks (»Old Friend« Walt), Shazad Latif (Broker Vince), Lee Nicholas Harris (Commuter with Celphone), Roland Møller (Jackson), Florence Pugh (Gwen), Killian Scott (Dylan), Ella-Rae Smith (Sofia), Colin McFarlane (Conductor Sam), Adam Nagaitis (Young Conductor Jimmy), Dean-Charles Chapman (Danny MacCauley), Kingsley Ben-Adir (Special Agent Garcia), Kobna Holdbrook-Smith, Damson Idris (Oliver & Denys, Agents in Cold Spring) Letitia Wright (), Clara Lago (Eva), Andy Nyman (Tony), Alana Maria (Officer Jones), 105 Min., Kinostart: 11. Januar 2018

Ich mag den aus Katalonien stammenden US-Action-Regisseur Jaume Collet-Serra irgendwie. Am liebsten habe ich seine Version des House of Wax, weil er aus einem uralten Konzept (Vincent Price und 50er-Jahre-3D-Effekte) einen teilweise richtig fiesen Slasher machte, der dann aber gegen Schluss auf klassische Weise mit dem Prinzip poetic justice spielt. Sein Hai-Horrorfilm The Shallows biedert sich zwar ebenfalls beim Mainstream-Publikum an, bietet aber für ein überschaubares Budget wirkliche Schauwerte und ist spannend und einfach nicht so doof wie andere Horrorfilme, denen ein übergreifendes Marketing wichtiger ist als das Pochen auf die alte Publikumsnische.

Mit Liam Neeson hat er jetzt schon zum dritten Mal zusammengearbeitet, und aus dem für mich nach wie vor befremdlichen Konzept, Neeson als Actionstar zu akzeptieren, hat er noch die besten Filme gebastelt. Da ich die 96 Hours-Filme nicht gesehen habe, stützt sich diese Aussage aber hauptsächlich auf das A-Team, der nun auch wirklich trotz der ganzen Kohle, die man da reingesteckt hat, unterirdisch war.

Nach Unknown (»deutscher« Titel: Unknown Identity), der vor allem dort enttäuschte, wo mal wieder eine absurde Topographie Berlins erschaffen wurde, folgte mit Non-Stop ein technologisch aufgemotzter Flugzeug-Thriller (mit Handys, Textnachrichten und dergleichen spielt Collet-Serra in allen seinen späteren Filmen gerne herum), und der neue Film The Commuter greift dieses Sujet eigentlich 1:1 wieder auf, nur dass die Geschichte diesmal in einer Pendler-Schnellbahn spielt.

The Commuter (Jaume Collet-Serra)

© StudioCanal GmbH

Bevor die eigentliche Story aber überhaupt anfängt, beginnt der Film fast wie high concept art. Ein bisschen wie in Groundhog Day weckt ein Radiowecker unseren Helden, und durch drei geringfügig unterschiedliche Variationen seines Alltagstrotts lernt man nicht nur seine Frau (lange nicht gesehen: Elizabeth McGovern) und den fast erwachsenen Sohn kennen, sondern erfährt auch (wenn man aufmerksam zuschaut) einiges darüber, wie sich die Familie in den Jahren verändert hat. Das Prinzip dieser nicht gerade kurzen Montagesequenz, die zwischen (mindestens) drei Zeitschienen immer wieder hin- und herspringt, wird dem Publikum aber nicht etwa erklärt, und dürfte auch so manchen Zuschauer etwas überfordern. Da es aber um keine superwichtigen Inhalte geht (das Klischee des an der Alltagsroutine gescheiterten Ex-Helden, der sich die Liebe seiner Familie neu erkämpfen muss, hat nicht nur Bruce Willis diverse Male durchexerziert), ist die Anfangssequenz einfach nur ein kleines narratives Experiment, das der Film sich »gönnt« - und das mich als unerwartetes Schmankerl gleich ein wenig verzückte.

Der Ex-Profiler und -Cop Michael (Neeson) arbeitet seit einiger Zeit für eine Versicherung, wird aber fünf Jahre vor Renteneintritt ausgebootet und bekommt als Abfindung nur (tragische Ironie) eine Versicherungspolice. Und das gerade, wo der Sohn ein teures Studium beginnen will, für dass sein Vater sogar die Pendelfahrten aus den Suburbs nach Manhattan für ein »angewandtes« eigenes Literaturstudium verwendete, um dem Knaben etwas unter die Arme zu greifen (wer detektivisches Gespür hat, ist wohl auch gut in Textinterpretation, den Sohn lässt das Ganze aber nicht unbedingt sympathisch erscheinen).

The Commuter (Jaume Collet-Serra)

© StudioCanal GmbH

Nach einem kurzen Treffen mit seinem Ex-Kollegen (Patrick Wilson) und -Chef (Sam Neill) aus der Polizeizeit (kristallklar, dass die später noch eine Rolle spielen werden) setzt Michael sich in seinen »Stammzug«, wo er über die Jahre viele der zur selben Zeit die Reise antretenden Mitfahrern und Mitfahrerinnen schon ganz gut kennengelernt hat.

Nun nimmt die mysteriös auftretende Vera Farmiga (die solche Zugfilme wohl mag, siehe Source Code) den Kontakt auf, und bietet ihm einen seltsamen Auftrag an: Er soll eine Person ausfindig machen, über die man eigentlich nur weiß, wann sie aussteigen wird und dass sie diesen Zug eben nicht regelmäßig nutzt (sondern vermutlich noch nie darin gesessen hat). Warum diese Person gesucht wird, wird Michael auch nicht erklärt. Anfangs nimmt man an, es könne sich um einen Terroristen handeln, aber nach und nach wird deutlich, dass die Kriminellen eher Farmiga und ihre Hintermänner sind. Spätestens, als Michael (Regelbruch!) einem vertrauten Mitfahrer versucht, eine Botschaft unterzuschieben, woraufhin dieser mit einer beängstigenden Nonchalance nach dem Verlassen des Zuges vor einen Bus geschubst wird. Dass Michael dies aus dem Zugfenster mitverfolgen kann, strapaziert die Glaubwürdigkeit der Filmhandlung schon deutlich, aber daraus wird noch ein umfassenderes Problem des Films.

The Commuter (Jaume Collet-Serra)

© StudioCanal GmbH

Obwohl die anfängliche Entscheidung, für die wundervolle Rettung aus seinen Finanzproblemen einen fragwürdigen Job zu übernehmen, von Anfang an nicht so ganz zum Konzept eines Filmhelden dieser Couleur passt, ist die erste Hälfte des Films durchaus ansprechend. Es gibt zwar eine Spur zu viele Action-Twists durch Verdächtige, die ganz eindeutig keine normalen Mitreisenden sind, aber wie man eine größere Zahl von Reisenden kennenlernt, die alle aus unterschiedlichsten Gründen seltsam agieren, ist sehr unterhaltsam. Da wünscht man sich einen Screener, um auf einige dieser Nebenfiguren detaillierter einzugehen, aber im Gegentum ist es so, dass selbst das offizielle Fotomaterial für die Presse fast nur aus Bildern von Liam Neeson und seinen bekanntesten Mitspielern besteht (also Farmiga, Wilson, Neill).

Das große Problem solcher Filme ist natürlich, dass der Held nicht nur überleben sollte und seine (meistens in irgendeiner Form bedrohten) Familienmitglieder und andere Unschuldige retten soll - nein, nebenbei muss man noch alle Hintergründe der kriminellen Machenschaften erklären (was durch die ganzen Finten und Wendungen auch nicht einfacher wird). Und am Schluss erwartet das Publikum einen Endkampf mit dem (prominenten) Oberfiesling. Ob Speed, Die Hard, Phone Booth, The Taking of Pelham 123, so läuft die Kiste. Und dadurch, dass es schon zahlreiche solcher Filme gab, wird die Aufgabe, dies zur allgemeinen Befriedigung zuende zu erzählen, nicht einfacher.

In diesem Fall ist es zudem so, dass man sich (leichter Spoiler) für den Schluss des Films dafür entschieden hat, dass der Zug auf spektakuläre Weise zum Stoppen gebracht werden muss (auch, damit einige nur indirekt mit den Vorgängen verwickelte Drahtzieher die Chance haben, Michael selbst zur Strecke zu bringen - oder vielleicht auch nicht).

The Commuter (Jaume Collet-Serra)

© StudioCanal GmbH

Es ist eine große Aufgabe, so ein Finale spannend und mit einem gewissen Realitätsanspruch zu Ende zu bringen. Mir fällt kein Beispiel ein, das mich so wirklich in jeder Hinsicht überzeugt hat, und The Commuter ist jetzt auch nicht der Film, der das von sich behaupten kann. Inmitten all der vergleichbaren Streifen befindet man sich aber im guten Mittelfeld.

Ein zusätzlicher Makel besteht darin, dass die Zielperson einen »Tarnnamen« trägt, der natürlich etwas mit Literatur zu tun hat: »Prynne«. Ich habe mir nebenbei das Hirn zermartert, woher ich diesen Namen kenne, und habe es auch kurz vor der Auflösung herausbekommen - auch, wenn ich nur mit 80%iger Sicherheit drauf gewettet hätte und ich auch annahm, dass es sich um einen Vornamen handelte. Aber das zugehörige Buch habe ich auch nie zuende gelesen - und letztlich verrät dieser Name auch ein bisschen was über die Zielperson, weshalb der ganze Tarnname auch nicht die beste Drehbuchidee war - aber vermutlich muss man die Person irgendwie »greifbar« für den Zuschauer machen.

Erst nach dem Film ist mir übrigens aufgefallen, dass die Zielperson ja auch einen Ticken doof sein muss, wenn man, obwohl man weiß, dass man in Gefahr geraten könnte, ein Ticket für den notwendigen Halt zieht, das man dann für jedermann sichtlich am Sitz anbringt. Da blecht man halt 60 Cent mehr, steigt einfach vorher aus und dreht Liam Neeson oder wer sonst noch hinter einem her ist, eine lange Nase. Aber The Commuter ist einer dieser Filme, die nicht besser werden, je länger man über Details nachdenkt. Also, wer einfach nur einen unterhaltsamen Abend möchte: gönnt euch den Streifen. Wer indes eine Dochterarbeit darüber schreiben will, inwiefern dies ein Remake von L'année dernière à Marienbad sein könnte: Sucht euch lieber ein anderes Thema und einen anderen Film.