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8. November 2017
Thomas Vorwerk
für satt.org


  Suburbicon (George Clooney)


Suburbicon
(George Clooney)

USA 2017, Buch: Joel & Ethan Coen, Grant Heslov, George Clooney, Kamera: Robert Elswit, Schnitt: Stephen Mirrione, Musik: Alexandre Desplat, Kostüme: Jenny Eagan, Production Design: James D. Bissell, Art Direction: Christa Munro, mit Matt Damon (Gardner Lodge), Julianne Moore (Margaret / Rose), Noah Jupe (Nicky Lodge), Gary Basaraba (Uncle Mitch), Oscar Isaac (Bud Cooper), Glenn Fleshler (Ira), Alex Hassell (Louis), Tony Espinosa (Andy Meyers), Karimah Westbrook (Mrs. Meyers), Leith Burke (Mr. Meyers), Jack Conley (Chief of Police Hightower), Richard Kind (John Sears), 105 Min., Kinostart: 9. November 2017

Beim Verfassen dieser Kritik erhielt ich unerwartete Hilfestellung durch das Presseheft.

Normalerweise funktioniert so ein Presseheft nach dem selben Prinzip wie die oft im Fernsehen als eigene redaktionelle Beiträge verkauften »Making-ofs«: man kehrt die besten Stellen des Films hervor, die beteiligten Filmemacher umschreiben in werbewirksamen Kurzzitaten, wie kreativ, freundlich und wohlriechend sämtliche Kollegen waren - und die Berichterstattung über Probleme während der Dreharbeiten wird nur dann nicht ausgespart, wenn Todesfälle prominenter Castmitglieder oder desaströse Naturkatastrophen davon zeugen, wie man durch kongeniale Zusammenarbeit sämtliche Hindernisse überwinden konnte.

Im Presseheft zu Suburbicon war dies ebenfalls die erklärte Herangehensweise, aber Regisseur George Clooney und Co-Autor Grant Heslov beschreiben hier auch (vermutlich aus reiner Unwissenheit), wie es dazu kam, dass sie den Film so umfassend in den Sand gesetzt haben (Textblöcke, die nicht direkt als Zitate ausgewiesen sind, wurden durch eckige Klammern markiert, die Abfolge der Zitate entspricht exakt dem Presseheft, ich kann aber keine Verantwortung dafür übernehmen, in welcher zeitlichen Abfolge Heslov und Clooney die Sätze gesagt haben):

Suburbicon (George Clooney)

© 2017 Concorde Filmverleih GmbH / Hilary Bronwyn Gayle

Grant Heslov:

George und ich arbeiteten an einem Drehbuch, das auf Ereignissen in der Siedlung Levittown in Pennsylvannia basierte [...] Er war auf eine Dokumentation aus dem Jahr 1957 mit dem Titel Crisis in Levittown gestoßen. Darin ging es um William und Daisy Meyers, die sich als erstes afroamerikanisches Paar in dem Vorort niederließen.

George Clooney:

Am Tag des Einzugs hielt der Postbote Mrs. Meyers für das Hausmädchen und fragte sie, ob Mrs. Meyers da sei. [...] Als sie ihm erklärte, dass sie die Herrin des Hauses sei, ging der Postbote, der sich nach dem legendären Nachrichterkurier 'der Paul Revere von Levittown' nannte, von Haus zu Haus und fragte alle: 'Habt ihr eure neuen Nachbarn schon getroffen?' Am gleichen Abend versammelten sich rund 500 Leute auf dem Rasen der Meyers, riefen rassistische Schimpfwörter, hängten die Südstaaten-Flagge auf und verbrannten auf dem Rasen der Nachbarn ein Kreuz.

[Während sie an der Levittown-Idee arbeiteten, erinnerte sich Clooney an ein Skript mit dem Titel Suburbicon, das ihm die Coen[-]Brüder 1999 geschickt hatten.]

George Clooney:

Das war ein komödiantischer Thriller, der wie Fargo [...] und Burn After Reading [...] von tollpatschigen Unglücksraben handelte, die fatale Fehlentscheidungen trafen. Wir wollten daraus etwas weniger komisches machen, das dafür viel wütender sein sollte. Mir schien die richtige Zeit für einen wütenden Film gekommen.

Grant Heslov:

George hatte zu dem Zeitpunkt die Idee, das Suburbicon-Drehbuch in Levittown anzusiedeln, und zwar genau in der Woche, in der die Meyers einzogen.

Und damit ist auch erklärt, warum Suburbicon so wirkt wie zwei unvereinbare Filmhälften, die unter einem gemeinsamen Titel mit heißer Nadel zusammengenäht wurde. Ohne Rücksicht auf Verluste.

Suburbicon (George Clooney)

© 2017 Concorde Filmverleih GmbH / Hilary Bronwyn Gayle

Der Film beginnt nach einer hübschen 1950er-Tapeten-Schau als Hintergrund für die Produktionsfirmen wie ein seltsam animiertes Märchenbuch à la Disney, in dem der Ort Suburbicon potentiellen Hausbesitzern nahegebracht wird. Dann folgt fast augenblicklich die Szene mit dem Postboten und der Nachbar der Meyers zur Linken arbeitet bereits an einem umfassenden Sichtschutz (vulgo Zaun), während für die 500 Komparsen in historisch korrekter Bekleidung offensichtlich das Budget nicht ausreichte.

Man lernt jetzt kurz die anderen Nachbarn kennen, die Familie Lodge, bei der die in einer Doppelrolle auftauchende Julianne Moore als im Rollstuhl sitzende blonde Familienmutter Rose und deren mit einer deutlich dunklereren Haarfarbe auftretende Margaret aufgrund einer fehlenden Erläuterung der Zusammenhänge den Fake-Eindruck des Märchenbuches fortsetzen. Als zentrales Element des Films wird der kleine Sohn der Lodges, Nicky (Noah Jupe), von seiner Mutter gebeten, doch mit dem neuen Nachbarskind Andy (Tony Espinosa) Baseball spielen zu gehen, was Clooney dafür nutzt, uns u.a. mit ähnlich dreckigen Hemden der Knaben vor Augen zu führen, wie ähnlich die beiden sich trotz unterschiedlicher Hautfarbe sind.

Alles wirkt wie der Anfang einer wunderbaren Freundschaft, aber als Zeichen der Clooney'schen Wut hören die Kids nachts parallel die selbe Gruselsendung im Radio, wobei Andy durch den (vorerst vage angedeuteten) Belagerungszustand seines Hauses den nötigen Background erfährt, während Nicky des Nachts vom Vater (Matt Damon) geweckt wird: »Nicky, you have to get up. There are men in the house. They're gonna take what they want and leave.«

Suburbicon (George Clooney)

© 2017 Concorde Filmverleih GmbH / Hilary Bronwyn Gayle

Zu diesem Zeitpunkt ging ich als Zuschauer natürlich davon aus, dass Ortsbewohner, die unzufrieden damit sind, dass Familie Lodge sich nicht an der konzertierten »Umzugsmotivation« für die neuen Nachbarn beteiligen, dazu bewegt werden sollen, ihren Standpunkt zu ändern. Mir fehlte hier die notwendige Information, dass der Film durch eine klare Zweiteilung strukturiert wird, die sogar so weit geht, dass zu einem späteren Zeitpunkt zur selben nächtlichen Zeit das Haus der Meyers in einem bürgerkriegähnlichen Zustand mit Polizeipräsenz involviert sein wird, während man sich nebenan auf menschenleererer Straße ohne unnötigen Lärm gegenseitig massakriert.

Man muss an dieser Stelle kurz erklären, dass das Haus der Lodges ein Eckhaus ist, wodurch dieser unrealistische Zustand zumindest ansatzweise erklärt wird. Doch schon anhand der Tonkulisse wird auch später immer wieder betont, dass hier zwar nebeneinander stehende Häuser beschrieben werden, diese sich aber handlungstechnisch (wenn man von den Szenen der Jungs und einer Einkaufsszene, bei der Margaret als Kassiererin dazu beiträgt, Mrs. Meyers zu brüskieren) komplett voneinander getrennt existieren. Daran ändern auch die Parallelmontagen zwischen den beiden Kids nicht das geringste.

Ich will nicht zu weit in der eigentlichen Handlung vorweggreifen, weil hier noch die interessantesten Aspekte des Films auftauchen werden, aber die Meyers-Filmhälfte und die Lodge-Filmhälfte passen so gar nicht zusammen.

Suburbicon (George Clooney)

© 2017 Concorde Filmverleih GmbH / Hilary Bronwyn Gayle

Der Meyers-Film ist zwar beseelt von der Wut, die der Regisseur »in dieser Zeit« verspürt, entwickelt aber so gut wie keinen wirklichen Plot. Der Lodge-Film, oder vielleicht klarer: der von Clooney übernommene Coen-Film (wobei hier noch erwähnt werden sollte, dass das Drehbuch schon einige Zeit umhergeisterte, ehe es bei Clooney ankam, und eher die Schaffensphase der Brüder repräsentierte, als sie etwa Crimewave schrieben) wirkt weniger wie Fargo mit seiner trotz allem humanistischen Botschaft und dem in seiner verzweifelten Fehlleitung dennoch zur Identifikation einladenden William H. Macy, sondern wie eine vermurkste siebte Staffel der Fernsehserie Fargo. Man sieht natürlich die typischen Coen-Elemente: nahezu unbekannte Charakterdarsteller, ein klassisches Schurkenpaar, eine wie für einen jüngeren John Goodman geschriebene Rolle (Uncle Mitch) und ein brillant aufspielender Oscar Isaac (Inside Llewyn Davis) als schmieriger Versicherungsinspektor. Aber die überzogene blutige Thrillerkomödie mit einem historischen Sittengemälde zu verknüpfen, bei dem man sogar die Namen der Figuren übernahm - das funktioniert so komplett und umfassend überhaupt nicht.

Die mehrfach wirklich schlimm eingesetzte Filmmusik, der synthetisch animierte Look und die irgendwie ziellose Regie sorgen dafür, dass aus einem Drehbuch, dem man auch ohne Hintergrundwissen (ich vor und während des Films) seine Probleme deutlich anmerkt, ein Film wurde, bei dem ich mitunter den Eindruck hatte, dass man besondere Anstrengungen unternahm, um das Publikum immer wieder vor den Kopf zu stoßen und zu erzürnen.

Das bei den Drehbuchautoren die Coens als erste genannt werden, erkläre ich mir dadurch, dass sie den Filmtitel vorgaben und ihr Teil des Films auch die größere Hälfte darstellt. Mein deutlicher Eindruck ist aber, dass Joel und Ethan hier entweder gar nicht gegengelesen haben, was Grant und George aus ihrem Drehbuch gemacht hatten - oder sie wussten nicht, wie sie dem beliebten Schauspieler, mit dem sie mehrfach zusammenarbeiteten, schonend beibringen konnten, dass er aus einem Projekt, das aus irgendwelchen Gründen jahrzehntelang nicht umgesetzt wurde, einen Rohrkrepierer gebastelt hat. Und in der anfänglich vielversprechenden Filmografie des Regisseurs Clooney ist Suburbicon nach Monuments Men der zweite Fehltritt in Folge. Auf mich wirkte der Film wie das Bestreben eines Stabhochspringers mit Bleischuhen, passgenau ein Fettnäpfchen zu treffen. Immerhin beeindruckend, wie das klingt und spritzt!