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6. Mai 2009
Thomas Vorwerk
für satt.org


Cinemania-Logo 62:
Filmischer Frühlings-Quark


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Worst of 2009
(Stand: 24. April 2009)

In den letzten Monaten gab es aufgrund der Berlinale wieder mehrfach Cinemania-Ausgaben, aber zum Zusammenfassen der schlechteren Jahresproduktionen wurde Cinemania in letzter Zeit sehr viel seltener benutzt als noch vor Jahren. Doch dann kam der April 2009, der schlechteste Filmmonat seit langer Zeit, und ich konnte es einfach nicht mehr mit meinem Gewissen vereinbaren, gewissen Machwerken die “Deluxe”-Behandlung mit Bildmaterial etc. zukommen zu lassen, denn was in diesem Cinemania folgt, ist wirklich größtenteils ärgerlich, aber mindestens grottenschlecht, wie man auch an einer Auflistung der (bisher) schlechtesten Filme dieses Jahres gut absehen kann:

  1. The Tale of Despereaux
    (Sam Fell, Rob Stevenhagen)
  2. Der Entsorgte Vater
    (Douglas Wolfsperger)
  3. Hannah Montana
    (Peter Chelsom)
  4. Winnetoons
    (Gert Ludewig)
  5. The Spirit
    (Frank Miller)
  6. Twilight
    (Catherine Hardwicke)
  7. Religulous
    (Larry Charles)
  8. Race to Witch Mountain
    (Andy Fickman)
  9. Transporter 3
    (Olivier Megaton)
  10. Knowing
    (Alex Proyas)

Knowing
Die Zukunft endet jetzt
(Alex Proyas)

USA / UK 2009, Originaltitel: Knowing, Buch: Ryne Douglas Pearson, Juliet Snowden, Stiles White, Kamera: Simon Duggan, Schnitt: Richard Learoyd, Musik: Marco Beltrami, Production Design: Steven Jones-Evans, Art Direction: Sam Lennox, mit Nicolas Cage (John Koestler), Chandler Canterbury (Caleb Koestler), Rose Byrne (Diana Wayland), Lara Robinson (Lucinda Embry / Abby Wayland), D.G. Maloney (The Stranger), Nadia Townsend (Grace Koestler), Alan Hopgood (Rev. Koestler), Adrienne Pickering (Allison), Joshua Long (Younger Caleb), Danielle Carter (Miss Taylor, 1959), Alethea McGrath (Miss Taylor, 2009), David Lennie (Principal Clark, 1959), Tamara Donnellan (Lucinda's Mother), Travis Waite (Lucinda's Father), Ben Mendelsohn (Phil Beckman), 121 Min., Kinostart: 9. April 2009

Alex Proyas ist ein visionärer und sehr visueller Regisseur, das hat er durch Filme wie The Crow, Dark City und meinethalben auch I, Robot bewiesen. Und auch in Knowing gibt es einige beeindruckende Szenen (eine Traumvision und zwei Katastrophen). Außerdem gehört einiges an Mut dazu, einen Film wie diesen zu drehen. Soweit das Positive.

Ryne Douglas Pearson, der Autor der Romanvorlage zum Puzzle-Film Mercury Rising (1998, mit Bruce Willis), hatte auch die Idee zu diesem Film. Kurz zusammengefasst: Unter seltsamen Umständen schreibt ein kleines Mädchen viele Zahlen auf einen Zettel. Dieser Zettel wandert mit vielen optimistisch-futuristischen Wachsmalbildern 1959 in eine "Zeitkapsel". Erst 50 Jahre später lassen die Betreiber einer Schule diese Visionen der Zukunft den Kindern der Jetztzeit zukommen. (Der Film legt Wert darauf, dass er in einer schwammig als "Present Day" umschriebenen Zeit spielt, obwohl exakte Daten erschließbar sind). Hierbei bekommt der kleine Caleb den Zettel mit den Zahlen, und sein Vater (Nicolas Cage), ein Astrophysiker, entdeckt zufällig, dass die Zahlen Katastrophen mit vielen Menschenopfern umschreiben, darunter etwa den Anschlag auf das World Trade Center oder das Unglück, bei dem Calebs Mutter umkam.

Dieses Zahlenpuzzle beschäftigt Nicolas Cage und den Zuschauer etwa zwei Drittel des Films, aber außerdem hört Caleb noch über sein Hörgerät seltsame Geräusche und mysteriöse Fremde tauchen immer wieder im Umfeld der Kleinstfamilie auf. Die Atmosphäre des Films lässt sich durchaus mit einem Film von M. Night Shymalan, Final Destination oder Donnie Darko vergleichen, doch benimmt sich der in früheren Filmen durchaus auch sehr düstere Proyas gegen Ende plötzlich, als sei er Steven Spielberg. Und ich meine das im extrem negativen Sinn! Unzählige Zufälle, eine vorherbestimmte düstere Zukunft, Science-Fiction-Elemente - all dies hätte ich bereitwillig geschluckt, wenn die Story nur den ursprünglichen Drive behalten hätte. Doch mit jeder Minute wird der Streifen verquaster, die Inszenierung lehnt sich plötzlich in Horrorfilmchen wie The Ring an, unerklärte Phänomen reihen sich aneinander, man ahnt Geister, Zeitreisende, was weiß ich - doch die Auflösung ist noch viel blödsinniger, und am Schluss gibt es nicht nur eine Familienzusammenführung, die noch überflüssiger und peinlicher als in Spielbergs War of the Worlds ist, nein, man macht es ganz wie Spielberg und bastelt an ein durchaus passables Schlussbild (Nicolas Cage bricht auf dem Kieselfeld zusammen, Fade-Out) noch drei bis vier Enden ran, und jedes davon ist dümmer als das zuvor.

Wer allen Ernstes jetzt noch in diesen Film gehen will, sollte die folgenden Spoiler lieber nicht lesen. Quasi-religiöse engelsähnliche Außerirdische, direkt mit dem Ufo (Mischung aus Close Encounters of the Third Kind und dem Cinderella-Schloss) in ein neues Paradies, und dann rennen die weißgewandeten bunny huggers zum Baum der Erkenntnis. Als Prequel von Race to Witch Mountain (man beachte die tierlieben kindähnlichen Aliens!) würde der Film mit einigen Veränderungen noch am ehesten funktionieren. Das Ende des Films ist so unerträglich ärgerlich, das man alle früheren guten Ansätze des Films augenblicklich vergisst. Die großartig inszenierten Katastrophen, den manchmal sehr geschickten Musikeinsatz (man vergleiche auch thematisch mit Barry Lyndon: Am Ende sind alle gleich!), den Übergang vom Waldbrand zum Kronleuchter aus Elchgeweih, den schockierenden Story-Twist zwanzig Minuten vor Schluss. Wird alles am Schluss zunichte gemacht, denn dieser zersetzt noch stärker alles zuvor dagewesene als beispielsweise die CGI-Schlussklopperei bei The Incredible Hulk (und die war in Sachen Idiotie und inszenatorischer Hilflosigkeit schon außergewöhnlich).

Was einem wirklich das Gefühl gibt, dass die Menschheit den Untergang verdient hat, sind die US-Kinocharts, wo hintereinander Filme wie Race to Witch Mountain, Knowing oder Monsters vs. Aliens die Spitzenposition einnehmen. Ich habe es inzwischen auch fast aufgegeben, zu versuchen, die Menschheit vor solchen Filmen zu warnen. Das ist so, als wenn man vor den Gefahren der Atomenergie oder der globalen Erwärmung warnt: Ganz wenige hören zu, aber das Gros der Lemminge läuft auf die Klippe zu. Oder eben in die falschen Kinos, wo immerhin der Weltuntergang immer wieder Thema ist, das im realen Leben verdrängt wird. Wobei mir einfällt (und jetzt bricht das Gebäude der unangebrachten Vergleiche langsam so zusammen wie der Film), dass Hollywood im Grunde genommen wie eine Bundestagswahl funktioniert: Wenn alle in den falschen Film rennen, kriegt man zirka vier Jahre lang den selben Mist vorgesetzt (Sequels und Nachahmer) ... Demokratie und Kapitalismus sind eben nur solange fair, wie die Stimmen oder das Geld nicht an den falschen Adressaten gehen. Und hier ist jeder selbst angesprochen. Vielleicht mal vier Monate in keinen gehypeten Blockbuster-Mist gehen, sondern Franzosen, Independent und Dokumentationen schauen. Wenn das eine Mehrheit der Kinobesucher durchhalten könnte ("Stell Dir vor, der neue Harry Potter läuft an, und keiner geht hin!"), dann könnte man auch etwas verändern. Aber als Prediger und Meinungsbilder bin ich einfach nicht geeignet.

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Die Jagd zum
magischen Berg
(Andy Fickman)

Originaltitel: Race to Witch Mountain, USA 2009, Buch: Matt Lopez, Mark Bomback, Lit. Vorlage: Alexander Key, Kamera: Greg Gardiner, Schnitt: David Rennie, Musik: Trevor Rabin, mit Dwayne Johnson (Jack Bruno), AnnaSophia Robb (Sara), Alexander Ludwig (Seth), Carla Gugino (Dr. Alex Friedman), Ciarán Hinds (Burke), Tom Everett Scott (Matheson), Christopher Marquette (Pope), Billy Brown (Carson), Garry Marshall (Dr. Donald Harlan), Kim Richards (Tina), Iake Eissinmann (Sheriff Antony), Tom Woodruff, jr. (Siphon), Cheech Marin (Eddie), Buck (Junkyard), Kinostart: 9. April 2009

Bei Disney (Abteilung “Real”-Filme) hat man in den letzten Jahren häufig in der eigenen Studio-Geschichte nach Stoff für Remakes gesucht (finde das Standardwerk von Leonard Maltin gerade nicht, aber aus dem Kopf fallen mir ein: Flubber, Herbie, Shaggy Dog, Freaky Friday), und auch diesmal ist man im unerschöpflichen Fundus der 1970er fündig geworden. Dass sowohl Escape to Witch Mountain (1975) als auch das Sequel Return from Witch Mountain (1978) es nicht in die deutschen Kinos geschafft haben, ändert ja nichts daran, dass es sich hier um “Disney classics” (Presseheft) handelt.

Und so folgt hier das Remake, diesmal die Geschichte eines Taxifahrers (wohl so nicht im Originalfilm, aber man hat sich wohl auch mehr auf die Buchvorlage gestützt) und zweier Teenager, die eigentlich Aliens sind, und wie es sich gehört, verbeugt man sich vor dem Original. Die Darsteller der beiden Teenager, die damals Tia und Tony hießen, sind wieder dabei, und sie spielen diesmal zwei Figuren namens Tina (Kellnerin) und Antony (Sheriff), die offenbar im Nest Stony Creek (spielte auch schon im Originalfilm eine Rolle) hängengeblieben sind, und den Kids jeweils positive Dienste erweisen. Ferner spielt Cheech Marin einen Mechaniker namens Eddie, dieser Name ist wohl ein Verweis auf das Äquivalent von Dwayne Johnson in den ursprünglichen zwei Filmen.

Soweit zum halbwegs Positiven und den Dingen, bei denen man sich ansatzweise Mühe gegeben hat (auf diverse Rollennamen, die offensichtliche Ehrerweisungen sind, werde ich an dieser Stelle nicht weiter eingehen, dafür ist die Auswahl zu beliebig, vom Auftauchen nahezu aller Produzenten als Kleinstfiguren mal ganz abgesehen). Die bisherigen Verdienste des Regisseurs mit dem aparten Namen Andy Fickman erschöpfen sich darin, dass er in Roswell (New Mexico) geboren ist und bereits einmal mit Dwayne Johnson den familientauglichen Film The Game Plan (kenne nur den Trailer, offenbar eine Variation ähnlicher Filme mit Schwarzenegger oder Vin Diesel, wo sich der Actionstar als Babysitter bewähren muss) gedreht hat.

Und so macht der Regisseur es auch gleich von der ersten Minute an klar, dass sich sein Talent darin erschöpft, den Zuschauer mit oberflächlichen Reizen zu bombardieren. Es gibt gleich einen (im negativen Wortsinn) nervenzerfetzenden Vorspann mit allerlei nichtssagenden Informationen, einen Ufo-Absturz, und nachdem dann für geschätzte sechs Sekunden der unerträgliche Musikteppich abbricht, sieht man Dwayne Johnson als Taxifahrer in Las Vegas (zunächst auch wieder mit nervtötendem Soundtrack), der zunächst zwei Stormtrooper zum Planet Hollywood fährt (halbwegs funktionierender Gag), bevor er dann eine Astrophysikerin (Carla Gugino) zur selben UFO-Convention fährt, die dann wenig überraschend in der zweiten Hälfte des Films wieder auftaucht.

Die im Trailer überpräsenten Kids (man muss ja für das Zielpublikum markieren, dass dies ein Film für Kinder sein soll) tauchen im Film erst relativ spät auf, und während sie zunächst distanziert und mit kinderuntypischem Vokabular auffallen ("currency exchange sufficient?"), werden sie im Verlauf des Films immer kindlicher. Ihre außerordentlichen Fähigkeiten (Sara: Telekinese, Pyrokinese, Telepathie; Seth: kann seine molekulare Dichte variieren: also durch Wände gehen oder auch mit einem Auto kollidieren, das danach nur noch Schrottwert hat) ändern nicht im Geringsten etwas daran, dass sie offenbar auf den Schutz von Erwachsenen (im Film sind insbesondere Taxifahrer und Kellnerinnen als Elternersatz prädestiniert) angewiesen sind, und nachdem sie Menschen gegenüber zunächst misstrauisch sind, öffnen sich die kleinen Herzen schnell für einen Streuneköter (der natürlich mit den Aliens kommunizieren kann) und schließlich auch für den rauhbeinigen Taxifahrer (bei der unerträglich gefühlsduseligen, aber wenig überzeugenden Abschlussumarmung kommt einem die Galle hoch).

Die Story ist zwar ganz auf Action zugeschnitten, aber weder ist der Predator-Verschnitt (gespielt vom Predator-erfahrenen Tom Woodruff, jr.) besonders bedrohlich, noch gibt es den ganzen Film lang die geringste Konsequenz all der Autoverfolgungsjagden, Schießereien und einer Kollision zwischen UFO und Zug, bei der zwar Zug und UFO in ihre Bestandteile zerlegt werden, sämtliches Fuhrpersonal aber überlebt (wie extra betont wird). Und so stellt sich bereits nach etwa einer Viertelstunde Langeweile ein, und der Film gefällt sich vor allem darin, dass man nach einem sehr schwachen Beginn immer noch dümmer wird. Insbesondere, was die Montage von Tag- und Nachtaufnahmen angeht, stellt sich während des Films viel Verwirrung ein, die nicht gänzlich durch die Besonderheiten von Las Vegas erklärt werden kann. Und wenn man für einen schwachen Gag gegen Ende alle Wahrscheinlichkeit in der Zeitkonstruktion über Bord wirft (Fahrzeugwechsel Taxi / Trailer), ist man als Zuschauer schon so abgestumpft, dass man nur noch darauf hofft, dass das Ganze bald zuende ist. Da bekommt der müde Scherz mit "Are we there yet?" durchaus eine tragische Note.

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Religulous
(Larry Charles)

USA 2008, Buch: Bill Maher, Kamera: Anthony Hardwick, Schnitt: Jeff Groth, Christian Kinnard, Jeffrey M. Werner, mit Bill Maher, Julie Maher, Kathy Maher, Dr. Dean Hamer, Geert Wilders, Propa-Gandhi, Jose Luis De Jesus Miranda, Mark Pryor, Reginald Foster, Jerry Cummings, George Coyne, Andrew Newberg, Francis Collins, Ken Ham, John Westcott, Yisroel Dovid Weiss, Ray Suarez, Steve Burg, Larry Charles u. v. a., 101 Min., Kinostart: 2. April 2009

Ich will kurz vorwegschicken, dass ich in meinem Facebook-Porträt unter "religiöse Ansichten" stehen habe "Die Kirche ist zum Austreten da".

Der amerikanische Fernsehmoderator Bill Maher hat gemeinsam mit dem Borat-Regisseur Larry Charles diverse Gläubige unterschiedlichster Religionen interviewt, um, so formulierte es Maher bei der Oscar-Verleihung, "die Wahrheit zu zeigen und für mehr Menschlichkeit zu sorgen". Nein, so kann man das nicht stehen lassen.

Der vermeintliche Dokumentarfilm versucht, wie schon das bemühte Wortspiel im Titel unterstreicht, die Lächerlichkeit eigentlich sämtlicher Religionen herauszuarbeiten. Während es zu Beginn des Films noch einige interessante Informationen gibt (beispielsweise, wie hoch der Prozentsatz der ungläubigen US-Amerikaner ist, die aber in keinster Weise irgendwie "organisiert" sind), erschöpft sich der Film sehr schnell in einer selbstgefälligen Weise, die mit dem Genre Dokumentarfilm oft erstaunlich wenig zu tun hat. So schneidet man von den Statements der Interviewten immer wieder zu passenden (oder eher unpassenden) Stellen aus diversen Bibelverfilmungen, Planet of the Apes, oder auch mal zu Autounfällen und Nuklearexplosionen. Wenn jemand davon spricht, dass er nach dem Tod in eine bessere Welt kommt, rät Maher schon mal, er solle doch Selbstmord begehen, um die Doppelmoral vorzuführen, ist ihm keine Pointe zu flach, wie scheinheilig der Film dabei aber selbst ist, wird versucht, unter den Teppich zu fegen. So wird ein "Ex-Schwuler", der nach seiner religiösen Erleuchtung auch andere "auf den rechten Pfad" bringen will, wegen seiner plötzlichen Homophobie angeklagt, aber die Filmemacher scheinen es nicht einmal zu merken, wie unangebracht es ist, gleich im Anschluss selbst schwulenfeindliche Witze einzustreuen.

Was bei Borat so hervorragend funktioniert, ist hier oft peinlich, denn Maher stellt sich ja nicht absichtlich dumm, er kommt nur oft so rüber. Wenn die Gesprächspartner sich selbst diskreditieren, großartig. Wenn nicht, konfrontiert man sie mit Provokationen und wenn das auch noch nicht den gewünschten Effekt bringt, macht man sich dann halt hinter ihrem Rücken, beispielsweise über das Hilfsmittel der Filmmontage, über sie lustig. Besonders hat Maher es auf Turbanträger abgesehen, und er schreckt auch nicht davor zurück, bei einem während eines Interview klingelnden Handy durch Untertitel anzudeuten, der (keines Vergehens überführte) Handybesitzer schreibe gerade eine SMS, die Terrorakte befehlige. Das soll witzig sein, ist aber nur extrem ärgerlich und hat nun wirklich nichts mehr mit einer "Dokumentation" zu tun. Man kennt diesen polemischen und selbstgefälligen Stil ja von Michael Moore, aber Maher ist noch um Klassen penetranter, ungerechter und dümmer. Um seine Thesen zu unterstreichen, benutzt er bevorzugt Bildmaterial, das Figuren des öffentlichen Gespötts wie Britney Spears, John Travolta, Michael Jackson oder Tom Cruise zeigt, nur um dann im nächsten Augenblick ein Interview an der Stelle zu führen, wo Theo van Gogh ermordet wurde. Das funktioniert einfach gar nicht, durch den Kontrast einiger durchaus vertretbarer Ansätze mit andererseits völlig absurden Vorwürfen und Praktiken macht Maher nur eines klar: wie lächerlich er und sein Film selbst sind. Um vor Augen zu führen, wie (und wie schlecht) dieser Film ist, muss man sich nur einmal vorstellen, jemand wie Stefan Raab hätte sich vorgenommen, den Bundestag zu demontieren, indem er Politiker interviewt, diese zwischendurch mal fragen würde "Haben sie heute eigentlich schon geschissen?", und dann die Aufnahmen der Politiker mit Teletubbies oder ähnlichem gegeneinanderschneidet. Das ist alles gar nicht mal so weit hergeholt, aber Raab wäre immerhin schlau genug, so etwas entweder als völlige Witznummer anzugehen oder halbwegs "ernsthaft". Dieser gesunde Menschenverstand fehlt Religulous, und man hat das völlig absurde Gefühl, die Filmemacher sind auch noch stolz darauf.

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WinneToons
Die Legende vom
Schatz im Silbersee
(Gert Ludewig)

Deutschland / Belgien / Phillipinen 2009, Buch: Jeffrey Scott, Lee Maddux, Figuren: Karl May, Schnitt: Lothar Werthschulte, Musik: Adrian Askew, Songs: Texas Lightning, mit den deutschen Stimmen von Jannik Schümann (Bobby), Christian Tramitz (Old Shatterhand), Sascha Draeger (Winnetou), Cosma Shiva Hagen (Nscho-tschi), Thomas Fritsch (Colonel Brinkley), Eckart Dux (Sam Hawkens), Jan-David Rönfeldt (Jake), Jörg Gillner (Tante Droll), Michael Grimm (Hobble Frank), Ursula Sieg (Waisenhausleiterin), Henry König (Black Hawk), 75 Min., Kinostart: 16. April 2009

Vor etwa fünf Jahren lief auf ARD und Kika die 26teilige Zeichentrickserie WinneToons, zu der jetzt dieser Langfilm (75 Min.) nachgereicht wird. Im Interview betont Regisseur Gert Ludewig unter anderem, dass man für die 13 Filmstunden der Fernsehserie zwei Jahre Produktionszeit benötigte, sich aber für den Film allein dreieinhalb Jahre Zeit ließ. Wenn man dies dem Produkt nur ansehen würde ...

Für die große Leinwand hat man sich auf einen der bekanntesten Romane Karl Mays gestützt und angeblich für die "akribisch recherchierten Hintergründe" viel intensiver um die Details gekümmert. Dummerweise kann der Zuschauer auf der Kinoleinwand diese Details aber auch entsprechend genau studieren und sich dann darüber wundern, dass beispielsweise die Gefährte, die eine Stadtansicht bevölkern, nicht einmal in der Lage sind, sich in einer geraden Linie zu bewegen.

Doch die Animationsqualität ist noch das geringste Problem des Films. Bereits beim Vorspann (den man übrigens größtenteils beim Abspann noch einmal verwendet hat) fällt auf, dass zunächst acht Produzenten genannt werden, dann vier prominente Sprecher und schließlich zwei Autoren. Nun bin ich kein Verfechter der Hollywood-Praxis, ein halbes Dutzend Schreiberlinge über ein Drehbuch herfallen zu lassen, aber bei der Legende vom Schatz im Silbersee merkt man schon beim Titelschriftzug, dass man sich vor allem darauf konzentriert hat, wild etwas zusammenzuklauen. So gibt es einen Prolog, der die Westernhelden fast wie Archäologen im Gefolge von Indiana Jones erscheinen lassen, und weil der Regisseur der Ansicht ist, dass Winnetou und Old Shatterhand als "edle und unantastbare Helden" "keinen Ansatz im Sinne einer dramaturgisch/psychologisch reizvollen Entwicklung" bieten, erfand man den Burschen Bobby, eine Art Westentaschen-Oliver Twist, der aber auch ein recht blütenreiner (jugendlicher) Held ist, und in Sachen Entwicklung einzig vom Stadtkind zum Westerner einige Erfahrungen sammelt. Oder, wie der Regisseur es formuliert, "eine Menge richtig aufregender Abenteuer" besonders für "die größeren Kinder ab sechs Jahren", aber auch für Jugendliche und die ganze Familie, schon aufgrund der "vielen Zitate aus der Filmgeschichte". Übersetzt heißt das: Sam Hawkens darf auch mal "Wenn ich mich nicht irre" sagen, einer der Bösewichte sieht aus wie eine Mischung aus Klaus Kinski und den Hyänen aus The Lion King, man springt mal wie in Butch Cassidy and the Sundance Kid von einer Klippe und die Sequenz mit dem Verbleib des Schatzes, an die sich wohl jeder lebhaft aus der Harald-Reinl-Verfilmung erinnern wird, wird hier wie die "Bernhard und Bianca"-Version eines Indiana-Jones-Films aufbereitet. Ich kann jedoch attestieren, dass nichts davon den Film für ein erwachsenes Publikum auch nur ansatzweise erträglich macht.

Dem "Kindgerechten" entspricht man beispielsweise mit tierischen Sidekicks der jugendlichen Helden. Waisenjunge Bobby rennt mit seiner Ratte namens "Winchester" durchs Bild, die beispielsweise einer Waisenhausleiterin unter den Rock und dann auf die Brust springt, was wohl witzig sein soll und die Verwerflichkeit der (aus nachvollziehbaren Gründen in Panik verfallenden) Dame demonstrieren soll. Und Winnetous kleine Schwester Nscho-tschi, die für einen feministisch angehauchten Generationskonflikt herhalten muss, hat gleich zwei tierische Begleiter: den Kojoten "Fast Food" und das Stinktier "Misty". Warum die junge Apachen-Kriegerin, die einen Bären beispielsweise ehrfürchtig "Große Kralle" nennt, ihren Zelttieren solch blödsinnige, extrem amerikanische und zumindest in einem Fall anachronistische Namen gegeben hat, wird nicht erklärt. Ebensowenig, wie erklärt wird, warum das Stinktier bei einer Stampede so schnell ist wie Old Shatterhands Pferd. Ebenfalls kindgerecht im ärgerlichsten Sinne ist der Gebrauch von Schusswaffen. Es wird zwar etwa soviel Munition verbraucht wie in einer Folge A-Team und Knocking on Heaven's Door zusammen, Schusswunden gibt es aber keine, und die einzigen erwähnenswerten Verletzungen (abgesehen von der Abrechnung mit den Oberschurken) entstehen durch die doch erstaunlich bissige Ratte.

Angereichert wird das Ganze dann noch durch Songs von Texas Lightning (eine dem Autor der Vorlage angemessen originäre Musikwahl) und Dialoge, die man sich auf der Zunge zergehen lassen kann:

"Den werde ich umbringen, bis er tot ist."

oder, noch "witziger":

"Shatterhand, du warst noch so feucht hinter den Ohren, da hätte man mit dem Kanu durchfahren können."

Was soll man dem noch hinzufügen?

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Hannah Montana
Der Film
(Peter Chelsom)

Originaltitel: Hannah Montana - The Movie, USA 2009, Buch: Dan Berendsen, Figuren: Michael Poryes, Rich Correll, Barry O’Brien, Kamera: David Hennings, Schnitt: David Moritz, Virginia Katz, Musik: John Debney, mit Miley Cyrus (Miley Stewart / Hannah Montana), Billy Ray Cyrus (Robby Ray Stewart), Emily Osment (Lilly Truscott), Lucas Till (Travis Brody), Jason Earles (Jackson Stewart), Margo Martindale (Grandma Ruby), Vanessa Williams (Vita), Peter Gunn (Oswald Granger), Mitchel Musso (Oliver Oken), Moises Arias (Rico), Melora Hardin (Lorelai), Jared Carter (Derrick), Barry Bostwick (Mr. Bradley), Beau Billingslea (Mayor), Katrina Hagger Smith (Mayor’s Wife), Tyra Banks (Herself), Taylor Swift (Herself), Rascal Flatts (Themselves), 102 Min., Kinostart: 1. Juni 2009

Was hat ein Erwachsener in einem Film wie Hannah Montana - The Movie zu suchen? Das habe ich mich auch gefragt. Aus unerfindlichen Gründen dachte ich beim Regisseur Peter Chelsom an dessen Frühwerk Funny Bones, und bildete mir ein, dass so ein Name für Qualität steht. Doch nachdem Chelsom bereits mit Auftragsarbeiten wie Serendipity und Shall we Dance? demonstrierte, dass er auch massenkompatiblen Plüsch kreieren konnte, hat er sich mit Hannah Montana wohl das Nonplusultra an nichtssagendem Popcornkino für Elfjährige ausgesucht. Mit Elfjährigen kenne ich mich aus, beim elften Geburtstag meiner Nichte durfte ich erleben, wie diese ohne Rücksicht auf Verstand und Gesundheit auf ein CD-Geschenk reagierte - ganz ähnlich wie der Bürgermeister in Hannah Montana, nachdem ein Wiesel in seiner Hose landete. Und wenn man sprichwörtliche Hummeln in der Hose hat, kann man vielleicht nicht ganz so objektiv auf einen solchen Film reagieren - sprich: wenn man schon bei den zwölf neuen Hannah- und Miley-Songs etwa so hysterisch reagiert wie die jungen Damen bei einem Elvis- oder Beatles-Konzert, fällt einem vielleicht gar nicht auf, wie erschreckend blöd und unkomisch dieser Film ist.

“Now a film about Hannah Montana is going to have certain elements - shopping, partying, music - but we really worked hard to incorporate a lot of substance in it”. Wenn der Regisseur persönlich das Element der Musik schon indirekt als insubstantiell abqualifiziert, dann hat der Film wirklich ein Problem.

Kommen wir kurz zurück zu meiner Nichte. Inwiefern sie auf Hannah Montana steht, habe ich nie eruiert, aber ich weiß, wie wichtig ihr die ebenfalls von Disney stammende Serie Hotel Zack & Cody (keine Garantie für Rechtschriebung) ist, und davon habe ich mal einige Brocken miterleben dürfen. Nein “dürfen” ist nicht das richtige Wort, das hört sich so positiv, fast dankbar an. Das Genre der “Kid Sitcom” zeichnet sich durch völlig überzeichnete Figuren und plumpen Humor aus. Wer Nonstop Nonsens als albern bezeichnet, sollte sich mal die Brüder Zack und Cody anschauen, die mich irgendwie an einen adrett gescheitelten Calvin (der aus dem Comicstrip) mit Zuckerschock oder Koffein-Überdosis erinnern. Allerdings mit kompletter Aussparung des perfiden Witzes eines Bill Watterson, sondern stundenlang weichgespült auf Kinderhumor und zufällig reinschauende Eltern, die zwar den Kopf schütteln, aber zufrieden sind, dass kein Kind durch ein Disneyfilmchen irgendwie mit der Realität konfrontiert wird. Und so ähnlich läuft das auch im Hannah Montana-Film, wo die Hauptfigur zwar irgendwie an Britney Spears erinnert, aber eben ohne bauchfreie Hemdchen und Piercings.

Nach einer bereits völlig bescheuerten Einstellung des Parkplatzes eines Konzertsaals, auf dem sämtliche Autos rot oder farblos sind, um zur Farbdramaturgie der größtenteils pinktragenden Fans zu passen, kommt der erste “quirlige” Gag, der Hannah und ihre beste Freundin auf einem motorisierten Gefährt plaziert (“You are the only popstar I know who can’t get into her own concert”), mit dem sie durch einen Schlauchgang fahren - und alle Passanten müssen zur Seite springen. Dadurch war ich schon früh auf ein gewisses Humor-Niveau (oder auch: das komplette Fehlen eines solchen) vorbereitet, doch leider änderte sich daran im Verlauf des Filmes rein gar nichts, und ich bin ausnahsweise nicht einmal stolz darauf, dass ich bis zuletzt sitzenblieb, denn dass dies einer der bisher schlechtesten Film des Jahres ist, war schon recht früh absehbar.

Der Drehbuchautor wurde übrigens auch wegen seiner “Erfahrung mit der Materie” engagiert, er war zuvor “head writer” bei Sabrina, the Teenage Witch und probierte sich an allerhand TV-Filmen für Kindern wie Sabrina goes to Rome, Sabrina Down Under oder Halloweentown High (wo ich tatsächlich mal zufällig reingezappt habe, sogar die Hauptdarstellerin - allerdings einige Jahre später - kannte, und es nicht länger als eine Viertelstunde ertragen habe).

Noch relativ am Anfang des Films gibt es mal eine halbwegs interessante, weil bei ernsthafter Betrachtung völlig widersinnige Szenenfolge, wenn vom Hannah-Montana-Konzert die Kamera sozusagen in eine dort aufgestellte Leinwand, wodurch ein Strandvideo zu den (realitätsfernen) Aufnahmen davon wird, ehe die Geschichte einfach am Strand weitererzählt wird. Das sind schon halsbrecherische erzählerische Kapriolen, doch vom Publikum wird nicht im geringsten erwartet, dies zu hinterfragen, es geht einfach um eine flüssige Erzählstruktur, die Eckpfosten der Prämisse der TV-Serie werden schnell geliefert, und schon kann man sich auf die erste richtige Szene konzentrieren, Zickenterror im Schuhgeschäft mit Gaststar Tyra Banks.

Außerdem wird hier einer der zwei relativ wirkungslosen “Bösewichte” eingeführt, ein Fotoreporter, der hinter Hannahs Geheimnis kommen will. Später folgt dann noch (in Disney-Filmen seit den 1970ern bewährt) ein reicher Schnösel, der rücksichtslos irgendwo seine Mall hinbauen will, weshalb Hannah bzw. Miley ein Fundraiser-Konzert geben muss, und damit ist auch bereits der komplette Film erzählt.

Außer des Hauptgags, dass Hannah als Miley wieder im Kuhkaff ihrer Kindheit landet, wo mit Margo Martindale als Großmutter die einzige ernstzunehmende Schauspielerin auftaucht. Und natürlich Mileys Schwarm aus dem Sandkasten, der halbwüchsige keimfreie Cowboy Travis (Lucas Till), der fortan immer schwiegersohntauglich in die Kamera lächeln darf, bis man es wirklich nicht mehr ertragen kann.

Und jetzt folgt eine ganze Menge von “witzigen” Situationen, die größtenteils um Mileys Doppelleben als Hannah kreisen, aber auch zerdetschte Eier, das Austauschen einer milden gegen eine feurige Barbecue-Sauce, oder das Herunterfallen von Böschungen (!) oder Gebissenwerden von Alligatoren (!!) ist offenbar zum Totlachen.

Die Moral des Film erschöpft sich lange Zeit in Aussagen wie “Ich sollte dir die Wahrheit sagen. Die Wahrheit ist [neue, absurdere Lüge]”, und drei der Scherze, die (leider) das Rückgrat dieses Films sind, will ich noch kurz nacherzählen (man möge sich vorstellen, diese Aufzählung würde kein Ende finde - so ähnlich ist es, wenn man im Kino sitzt).

  1. Hannah hatte gerade ihrer Großmutter einen mit Elvis Presley verzierten Porzellanteller für deren Sammlung geschenkt, als sie die durch hinderliche Umstände die komplette, adrett auf einem eigens hergerichteten Schrank ausgestellte Sammlung zerstört. Als letztes natürlich das Schmuckstück der Sammlung, den Elvis (und ich muss zugeben, ausnahmsweise ist hier das Timing relativ gut gelungen, Mr. Chelsom hat also noch nicht alles verlernt).
  2. Nachdem mehrfach darum gebeten wurde “Don’t squish the sqashes!” (übersetzt: Lass die Kürbisse in Frieden), wird dann in der Nähe des Kürbisfeldes (natürlich sind diese für die nächste Landwirtschafts-Schau gedacht) eine Leiter aufgebaut, und es weiß eigentlich jeder, was als nächstes passiert (ähnlich wie bei den Szenen mit Hühnereiern oder dem Wiesel), doch die Art und Weise wie dann jemand am Schluss der Szene einen absolut riesigen Kürbis über den Kopf gestülpt trägt, ist so unendlich blöd (und vom Gewicht eines Kürbisses her völlig unmöglich), dass es fast (aber nur fast) schon wieder witzig ist. Es ist aber zu blöd, dass man darüber lachen möchte.
  3. Während Hannah beim wichtigen Hummer-Essen mit dem Bürgermeister zugegen sein soll (das Hummeressen an sich ist ja schon so was von -gääähn- witzig), hat Miley ein Date mit ihrem Travis, und so muss sie geschätzte sechsmal ihre komplette Kleidung wechseln, trifft dabei immer wieder auf einen kleinen Fan, der so langsam hinter ihr Geheimnis kommt ... und jedesmal hat sie irgendeine Kleinigkeit beim Umziehen übersehen. Damit sich diese recht flache Witz noch steigern kann, trägt sie schließlich sogar das Hummerlätzchen an der falschen Stelle, wie ein Paradebeispiel dafür, dass in diesem Film für einen noch so geringen Scherz sämtliche Wahrscheinlichkeit und Glaubwürdigkeit außer acht gelassen wird, weil man sich viel zu sicher ist, dass die Aufmerksamkeitsspanne nebst Kurzzeitgedächtnis von Elfjährigen eben kaum 11 Sekunden beträgt. Jeder Person, die nicht schon völlig im Hannah-Montana-Wahn ist und sich ein klitzeklein bisschen auf die eigene Intelligenz einbildet (und das umschließt auch Kinofreunde unter 11), kann ich nur eindrücklich vor diesem Film warnen.

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Der Entsorgte Vater
(Douglas Wolfsperger)

Deutschland 2009, Buch: Douglas Wolfsperger, Kamera: Tanja Trentmann, Inigo Westmeier, Schnitt: Bernd Euscher, Musik: Konstantin Gropper, 86 Min., Kinostart: 11. Juni 2009

Neben Religulous klar der ärgerlichste Film des Jahres, der sich “Dokumentarfilm” nennt.

Schon bevor ich ein Bild dieses Films gesehen hatte, war meine Haltung recht skeptisch, denn dass der Regisseur Douglas Wolfsperger, dem per Gerichtsentscheid verboten wird, seine (ca. 4jährige) Tochter zu sehen, einen Film über dieses Thema dreht, wirkt schon mal nicht unbedingt - äh - “objektiv”. Und dass er diesen Film “Der Entsorgte Vater” (das absurderweise großgeschriebene Adjektiv habe ich so aus dem Filmvorspann übernommen), drängt den Vater natürlich gleich in eine passive Opferrolle, in etwas, das wie eine Flasche oder Batterie, nachdem der Inhalt oder “Saft” entnommen wurde, entsorgt wird.

Naja, aber es hätte ja dennoch ein informativer Film werden können, der das Problem auch von mehreren Seiten beleuchtet. So bildete ich mir zumindest ein. Zwar werden neben fünf Männern auch eine Frau befragt, doch in keinem Fall zwei Seiten desselben Konflikts. Auch geht es in diesem Film nicht um die Seite des Kindes oder um die gesetzlichen Hintergründe. Nein, mit Ausnahme der einen (aus seiner Sicht geschickt ausgewählten) Frau geht es nur um die “armen” Männer, und irgendwann gibt es auch mal eine Statistik, die dem Zuschauer vor Augen führen soll, wie weitreichend das Problem ist:

Von 1,7 Millionen Kindern, die getrennte bzw. geschiedene Eltern haben, sehen 80% ihre Väter nicht mehr oder nur noch selten.

Das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen. Und dann hinterfragen. Was bedeutet eigentlich “nur noch selten”? Wenn das Kind bei der Mutter lebt, ist sowas wie jedes Wochenende oder jedes zweite Wochenende wahrscheinlich ganz normal (zumindest ist es so bei meinem Bruder), und verglichen mit einer “normalen” Familiensituation ist dies wahrscheinlich schon “selten”. Doch genauso könnte man bei dieser Statistik, die nicht im geringsten irgendwie aufgeschlüsselt wird und offensichtlich mit der Zahl “1,7 Millionen” immens Eindruck schinden will, mal nachfragen, bei wievielen dieser Kinder der Vater von sich aus das Kind nicht sehen will und insbesondere kein besonderes Interesse zeigt, Unterhalt oder Alimente zu zahlen. Das ist eben das Problem mit Statistiken: sie können so gut wie alles beweisen, solange man sie geschickt frisiert.

Der Film Der Entsorgte Vater hingegen beweist so gar nichts. Außer vielleicht die Engstirnigkeit und das Unvermögen seines Regisseurs, der erst von Berlin nach Karlsruhe fährt und dann bei der Nachbarin seiner Exfrau nachfragt, ob er die Tochter sehen könne. Und dann seine Ohnmacht herausschreit, bevor er auf einen harmlosen Brückenpfeiler einschlägt. Der mit dem Hinweis auf das Schild “Fußgängerzone” (zeigt im blauen Kreis eine weibliche Person mit Kind) auf vermeintliche gesellschaftliche Missstände hinweist. Der einen seiner Protagonisten bevorzugt ausdrucksarm in einer Tram sitzend zeigt, wozu dessen Kommentare aus dem Off eingesprochen werden. darauf vertrauend, dass der Zuschauer nicht hinterfragt, warum ausgerechnet die Person, die in Interviews gerne unpassende Sätze wie “Männer sind primitiv aber glücklich” einfließen lässt, somit indirekt durch die Montage ganz gezielt zum Sprachrohr seiner Aussage macht.

Viel interessanter als der komplette Film ist hier, was alles herausgeschnitten wurde, welche anderen Interviewpartner als ungeeignet nicht zu Wort kommen. Dass der eine der Väter mal (womöglich unschuldig, Urteil wurde später revidiert) wegen Kindesbelästigung verurteilt wurde, dass der Regisseur selbst zugibt, dass er seine Exfrau “sehr verletzt” haben muss, und dass der Realschullehrer immer mit Kreissäge zu sehen ist, sind noch die kleinen Details, die am ehesten gegen die von vornherein geplante Aussage des Films entgegenwirken. Denn dieser Film ist kein Dokumentarfilm im Sinne, wie ich dieses Wort verstehe, er ist schlichtweg Propaganda. Und dabei nicht besonders gut gemachte Propaganda.

Wolfsperger gibt sich gegen Ende gänzlich der Lächerlichkeit preis, wenn er sagt “Es sind absurde Wege, die man gehen muss, um seinem Kind nahe zu sein”, bevor er sich einen falschen Schnurrbart anklebt, und eine Schule oder einen Kindergarten betritt, wo er dann suggeriert, dass seine Tochter hinter dem auf einer Parkbank sitzenden Fremden spielt und auch mal zu ihm hinschaut. Ungeachtete dessen, wie blöd diese ganze Maskerade-Nummer schon ist, sehen diese (übrigens schwarz-weißen) Bilder auch ziemlich inszeniert aus (Kameraperspektive im Flur, Drehgenehmigung im realen Fall extrem unwahrscheinlich). Und dieses “Inszenierte” macht den Film besonders ärgerlich. Die Plüschtiere auf dem Sofa, die eine Mutter beim Musizieren mit der Tochter - natürlich perfekt ausgeleuchtet, aber man sieht nur eine Kerze auf dem Klavier. Oder der traurige Vater, der aus dem Fenster schaut, auf dem noch einige Leuchtsterne kleben. Das hat nichts mit Dokumentarfilm zu tun, und auch wenn ich zuwenig über Herrn Wolfspergers Qualitäten als Vater weiß, eines ist klar: das Filmemachen sollte man ihm vorerst verbieten!

Es gibt noch viele Dinge, die mir an diesem Film sauer aufgestoßen sind, doch er ist es einfach nicht wert, diese alle aufzuführen.

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Despereaux
der kleine Mäuseheld
(Sam Fell, Rob[ert] Stevenhagen)

Originaltitel: The Tale of Despereaux – Der kleine Mäuseheld, Buch: Gary Ross, Lit. Vorlage: Kate DiCamillo, Kamera: Brad Blackbourn, Schnitt: Mark Solomon, Musik: William Ross, mit den Original- / deutschen Stimmen von Matthew Broderick / Uwe Büschken (Despereaux), Dustin Hoffman / Uli Krohm (Roscuro), Emma Watson / Maria Koschny (Prinzessin Pea), Tracey Ullman / Almut Zydra (Miggery Sow), Kevin Kline / Alex Malzacher (Andre), William H. Macy / Joachim Tennstedt (Lester), Stanley Tucci / Lutz Mackensy (Boldo), Ciarán Hinds / Thomas Petruo (Botticelli), Robbie Coltrane / Detlev Bierstedt (Gregory), Tony Hale / Olaf Reichmann (Furlough), Frances Conroy / Denise Gorzellany (Antoinette), Frank Langella / Christian Rode (Bürgermeister), Richard Jenkins / Hans-Werner Bussinger (Schuldirektor), Christopher Lloyd / Hasso Zorn (Hovis), Sigourney Weaver / Karin Buchholz (Erzählerin), 94 Min., Kinostart: 19. März 2009

Als ich Anfang des Jahres erstmals das Plakat für diesen Film sah, auf dem auch die erstaunlichen Originalsprecher aufgelistet waren, kam schnell eine gewisse Vorfreude auf - auch wenn mir die Macher hinter diesem Computer-Animationsfilm zu jenem Zeitpunkt nichts sagten. Als sich herausstellte, dass die Pressevorführung mal wieder in der deutschen Synchronfassung sein würde, war einer der entscheidenden Vorteile des Films zwar somit zunichte gemacht, aber ich blieb trotzdem guter Dinge. Doch als dann die Stimme einer Erzählerin den ersten Satz verlauten ließ, stellte sich sehr schnell eine üble Vorahnung ein. “Es war einmal eine tapfere, kleine Maus, die Ehre und Gerechtigkeit liebte und immer die Wahrheit sagte.” Erinnert mich in der Langweiligkeit der Figurenzeichnung an Micky Maus, doch das sollte nicht die einzige “Anlehnung” an den reichhaltigen Schatz von Mäuse-Animationen bleiben. Denn in dem Film, der auf einem mit einem Kinderbuchpreis ausgezeichneten Roman von Kate DiCamillo (Winn-Dixie) basiert, gibt es zum Beispiel:

Einen Küchenchef, der eine dschinnartige geheime Unterstützung hat, und Probleme dadurch bekommt, dass eine sich als Gourmet verstehende Ratte in Küche und Suppe auftaucht (vgl. Ratatouille)

Die Ratte verschwindet dann in der Kanalisation, wo eine ganze Rattenzivilisation aus Dreck und Müll aufgebaut hat, und sich im Gegensatz zum feinen Neuzugang von Abfall ernährt (vgl. Flushed Away und Ratatouille)

Doch mit den Anleihen bei Mäuse- und Rattenfilmen reicht es noch nicht, es gibt auch zwei menschliche Figuren namens Miggery Sow und Gregory, die sich nicht nur im Namen und Aussehen ähneln (und später als Blutsverwandte herausstellen), sondern auch auf Anhieb an Fiona und Shrek erinnern.

Und als vierten Subplot (auf die Titelfigur komme ich noch zu sprechen) gibt es noch eine Prinzessin namens “Pea” (oh, welch Einfallsreichtum!), die von Emma “Hermione” Watson gesprochen wird, aber an keine andere Prinzessin erinnert, weil sie so immens farblos bleibt.

Im Königreich Dor wurde nach jenem Vorfall mit der Ratte Roscoro (im Original Dustin Hoffman), bei dem die Königin sogar verstarb (berühmte letzte Worte: “Da ist eine Ratte in meiner Suppe ... und ich habe sie gegessen!”) fortan vom König Suppe verboten, und Ratten ebenfalls. Die erstaunlich überflüssige und nervende Erzählerin (Sigourney Weaver) erklärt uns dann, dass es das biologische Gleichgewicht stören kann, wenn man etwas verbietet, was zur Natur gehört (hier ist allen Ernstes eher die Suppe als die Ratten gemeint), und - siehe da - wie auf Bestellung hört es dann auch auf, im Königreich zu regnen (Abschlussklausur für Leistungskurs Biologie oder Erdkunde: “Stellen sie die kausalen Zusammenhänge heraus, die zu einem solchen Unglück führen können. Warum können gegen Ende des Films die Dunstschwaden aus der Suppenküche den Niederschlag wieder so schnell normalisieren?”). (Vgl. auch Bee Movie)

Während Roscoro nun kurzfristig aus der Geschichte verschwindet, weil er in ein tiefes Loch gefallen war, wird nun der heldenhafte kleine Despereaux (Matthew Broderick) geboren, der wider die Natur der Mäuse so gar nicht furchtsam ist (eine der wenigen guten Ideen des Films - wahrscheinlich aus dem Buch übernommen - baut auf dem Satz “Bist Du ein Mensch oder eine Maus?” auf, der hier die Vorzeichen umtauscht), und deshalb nach einigen Umerziehungsversuchen, bei denen er auch noch Menschenbücher zu lesen beginnt und die Prinzessin anspricht, ebenfalls ins Exil geschickt, steigt somit von der “Mäusewelt” in die “Rattenwelt” (das Konzept der drei Welten ist etwa so überzeugend, als wenn man ein gemeinsames Sequel von A Shark Tale und Cars produziert), trifft dort natürlich auf Roscuro, und zusammen wollen die beiden sich als Helden und Gentlemen beweisen und das Königreich retten.

Dummerweise hat Prinzessin Pea aber immer noch eine ausgeprägte Abneigung gegen Ratten (was auch damit zusammenhängen könnte, dass sie die am Tod ihrer Mutter nicht völlig unschuldige Ratte Roscoro wiedererkennt), und so geht einiges schief, Roscoro tritt zwischendurch zur dunklen Seite über, überredet das Hausmädchen Miggery, die Prinzessin zu entführen, und diese landet gefesselt auf dem Boden einer Ratten-Arena, wo sie dann vom hungrigen Rattenvolk abgenagt werden soll. Sicher eine Vorstellung, die man seinen Kindern nicht vorenthalten sollte, Willard läuft heutzutage ja viel zu selten im Kino.

War bisher schon alles ziemlich blödsinnig, legt der Film jetzt noch einiges drauf, denn Despereaux gelingt es nur, den Gemüsegeist (vermutlich in Anlehnung an Guiseppe Arcimboldo “Boldo” genannt) auf seine Seite zu bekommen, und gemeinsam versuchen sie, die Prinzessin zu retten, was schließlich durch idiotische Details gelingt, und die penetrante Erzählerin (deren blödeste Sprüche ich leider nicht schnell genug mitgeschrieben habe) zum Satz verleitet “War das alles nur ein Zufall oder war es vielleicht Glück?”

Das einzige Glück in diesem Film besteht darin, dass er nach 94 Minuten endlich zuende ist. Die Geschichte ist unendlich blödsinnig, durchtränkt von moralinsaurem Geschwafel um “Ehre”, “Trauer”, “Verzeihen”, “Freundschaft” und was nicht alles für abstrakte Begriffe, die aber allesamt nie wirklich vorgeführt werden. In den verschiedenen Gesellschaftssystemen von Mensch, Maus und Ratte kann man tiefergehende Aussagen erahnen, aber die Motivationen von Figuren wie dem Rattenführer Botticelli, dem menschlichen König oder dem Wächter Gregory bleiben durchweg undurchsichtig. Die Animation ist lieblos, man möge darauf achten, wie geschickt man Schwierigkeiten wie Haare umgangen hat oder bevorzugt leicht zu animierende Ritterrüstungen einsetzt. Die Musik ist (ebenfalls lieb- und ideenlos) aus der jüngeren Filmgeschichte zusammengeklaut, dauernd glaubt man, Themen aus Indiana Jones oder Star Wars wiederzuerkennen, die aber alle so weit umgeschrieben wurden, dass es keine Klagen wegen Urheberrechtsverletzungen gibt.

Und im Pressematerial darf man dann folgende Sätze lesen:

Dieses wunderbare, märchenhafte Abenteuer setzt neue Maßstäbe für den Animationsfilm
Als Inspiration dienten [...] Produktionsdesigner Tomov Gemälde der holländischen Schule wie etwa von Vermeer und Brueghel
[Produzent Gary Ross] sprach die tiefgehende Menschlichkeit der Story an; und die Tatsache, dass sie die kindlichen Leser mit Respekt behandelt und deren Intelligenz und Einsichtsfähigkeit fordert
“Hier steckt viel mehr psychologische Wahrheit drin als im Durchschnitts-Trickfilm”
Und wie im Roman spricht auch hier die Erzählerin das Publikum direkt an, ganz als ob er sich mit ihr unterhielte, und zieht den Zuschauer so noch stärker in den Bann der Geschichte von Despereaux

Da merkt man doch gleich, dass das Pressematerial zu Despereaux nicht die Eigenschaften der Hauptfigur teilt. Ganz wie die Erzählerin wiederhole ich es vorsichtshalber noch mal: “Es war einmal eine tapfere, kleine Maus, die Ehre und Gerechtigkeit liebte und immer die Wahrheit sagte.”

Man ist übrigens auch noch stolz darauf, dass der Film “nur” 60 Millionen Dollar gekostet hat. Liebe Leser, seien sie tapfer, und meiden sie diesen Film im Namen der Gerechtigkeit!



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