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Frank Willmann
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Dezember 2001
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- daily willmann -


Samstag, der 15. Dezember 2001


Ortsschild WeimarJa, Weimar: ein Nest!

Zugeschissen mit Baustellen, die die Stadt binnen kürzester Zeit zum ersten Mickey-Mouse-Park des Ostens machen sollen. Häuser mit Fassaden, die aussehen, als hätte sich an ihnen ein Legoland-Designer ausgetobt. Mittendrin das hingerotzte Handelshaus, ein Horrorkabinett des Konsums: Klamotten, Klamotten, ein paar Lebensmittel, Klamotten, endlos vervielfältigt in Glas und Spiegeln. Der lächerliche Sparkassenturm, der in seiner protzigen Hässlichkeit Modernität mimen soll. Dazu das Schillerhaus, Goethes Gartenhaus, das Bauhaus: alles aufgemöbelte Kackbuden, gerade hoch genug gebaut, dass man nicht sieht, was hinter der Stadtgrenze liegt: die Welt vielleicht?

Weimar: ein Nest! Bevölkert von einer bornierten Bande von Wichtigtuern, die nichts wissen und nichts wissen wollen, von zugezogenen Kulturverwaltern mit dem passenden Geisteszuschnitt für diese Stadt: Kleinstgeister für die Kleinststadt an der Ilm! Der letzte Furz eines zweitklassigen Künstlers in den hiesigen Konservierungsanstalten wird munter beklatscht und die Kokelei einer Truppe Feuerwerker auf dem Markt wird zum Ereignis allerhöchster Bedeutung. Das Theater heißt natürlich nicht einfach nur Theater, sondern: Deutsches Nationaltheater. Wie auch jeder Kneipenvorsteher hier gar kein Kneipenvorsteher ist, sondern Caféhausbesitzer und ein äußerst kulturinteressierter Mensch. Und diese unsäglichen Panflötenorchester, die einem in der Fußgängerzone ständig ihre peruanischen Hochlandsweisen in die Ohren blasen und als Zeichen für die Weltoffenheit der Stadt herhalten müssen.

Weihmoor, Weihmoor, Gulldurmoor … Im Slalom werden die Touristenmeuten durch die Stadt getrieben, hin zu den Dichtergruften, wo ihnen Goethes letzter Federkiel, Schillers letzte Waschschüssel, der letzte Arschwisch des letzten Weimarer Nachtwächters vorgeführt werden. Oder gleich hin zu den Ramschständen, an denen sie sich wahlweise mit Souvenirs ausstatten: T-Shirts mit der Aufschrift: "Salve" (Heil! Heil: ja, wem auch immer!) und "Weimar 99 - Provinzstadt Europas" oder eine dieser fetttriefenden Thüringer Rostbratwürste ins Maul stopfen können.
Wenn die Läden geschlossen haben, dienen ein paar verirrte Studenten der Zwiebelzopfkunde dazu, die Straßen mit Menschen zu füllen: Ansonsten ist da nichts, was es zu sehen gäbe. Zu allem Überdruss ist die Stadt so klein, dass man zwangsläufig im Kreise geht und dabei immer und immer denselben Knallköpfen über den Weg läuft. Knallköpfe, die sich noch nicht einmal entblöden, das Gesöff namens Weimarer Pilsner" als Bier zu bezeichnen (im Gedenken an die gleichnamige Hunderasse und deren Ausscheidungen sollte es besser Weimaraner Piß" heißen). Und dabei über den einheimischen Fußballklub reden: ein Verein, der die Wurstseligkeit des Ortes zur Maxime erhoben hat: der SC 03, angelegentlich herumwurstelnd in der fünften Liga mit entsprechenden Vereinen wie Tiefenort oder Meuselwitz.

Weimar: ein Nest!

Und durch die Stadt plätschert grau dieser lächerliche Fluss, öd und dröge, nicht einmal tief genug, dass man hineinspringen könnte, ohne sich sämtliche Knochen zu brechen. Sogar die Flucht durch Selbstmord wird hier zum Problem …

Das ist Weimar: das Nest, das den Arsch der Welt mit ihrem Nabel verwechselt.

Und zuletzt: der Park. - Ach ja, der Park, sagt der Weimarer, der is doch schön. da müssense mal hingehn, der is doch schööön …

 
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