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Frank Willmann
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Dezember 2001
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daily satt
- daily willmann -


Freitag, der 14. Dezember 2001


OOOH!
Weimar, du Perle des thüringischen Ilmtals!
Wenn wunschlos und schwach der erschöpfte Reisende sich deinen Gestaden nähert, trübselig in der Seele und bar jeder Kraft, ja zum bloßen Opfer verkommen, so sich ein Kleinkind in den Weg stellte, ihm Beutel und Skalp zu nehmen, wenn ihm, der vor wenigen Stunden noch sorglos reiste, der Blumenduft gerochen und holder Maid Gestalt sehnend nachgeblickt, ihm, dem jeglicher Gedanke, der nicht groß und hehr, im grünenden Tann des Waldes scheint abhanden gekommen, naht der Fluch des Zweifels, der einen packt, wenn man das Ziel, das man gerade noch so nah vor Augen meinte, entfernter wirkt denn je, und er in kurzen Minuten mit einer eilig hingerauchten Zigarette höchstens lindern konnte diese Qualen, er vielleicht versucht in klugen und pfiffigen Reden, die jedem ehrlichen Dachdecker Haar und Hirn sträubten, die Dinge, welche ihn in diesen finstren Sog des Unmuts gezogen haben könnten, neu zu bedenken, sein rasendes Herz dabei ein unsichtbares Publikum zu gewinnen trachtet, welches ihn erhört, er, ins Reden kommend, über die jedem Menschen innewohnende Sehnsucht nach Lebensgrund und letzter Einsicht räsoniert, doch sich ob der Vergeblichkeit solch rhetorischer Spiegelfechtereien wieder trübt sein Blick, er stotternd, im Versuch den Ort zu fliehen, stolpert, droht zu fallen, schwankend mit den Armen rudert, und das letzte karge Licht der untergehenden Sonne ein Vorgefühl des Todes impliziert, dann, ja dann … eins-zwei-drei-vier … geschieht ein Wunder und mit einem Mal findet jene üble Vorstellung, die den Reisenden verstörte, ein erbarmungsvolles Ende, womöglich durch den Eingriff eines Schöpfers, der Blick sich klärt, der finstre Wald sich lichtet, als ihm, in der Hand ein kunstvolles Meterband, auf welchem die einzelnen Zahlen farbig ausgemalt, der hiesige Landvermesser, Hermundur Niedlich, entgegentritt und mit Halli und Hallo begrüßt.
"Ich komme vom Pazifikus", antwortet dann der Reisende, "und kämpfte tapfer Stund um Stund mich durch die weite Welt, auf der Suche nach den weihevollen Stätten, die der menschlichen Existenz ihren eigentlichen Sinn verleihen. Kultur, wie Kant sagt, ist der zweite Herzschlag meines Lebens."
"Dann sind sie hier richtig", erwidert der wohlgenährte Landvermesser, "denn ich vermesse das Areal des trefflichen Legefelder Treff-Hotels an der B-85!"
"Und dort", fügt er an, "mmmh, dort, in der milden Ebene, jenseits des schlechten Geschmacks, der Habgier, Unzucht und niedrigen Instinkte, liegt das Tor zum Zentrum der Kultur! Die Stadt Weimar! Oooh, Weimar, du Perle des thüringischen Ilmtales! Du Stadt, wo sich nicht nur Goeth und Schiller Gute Nacht sagten! Du Diadem, welches am Hals von Göttinnen erstrahlen würde, wie auch an dem von Mandy Poller oder sonstjeder! Du mit deinen weiten Plätzen, deinen großzügigen Alleen, deinen malerischen Gassen und Straßen, deinen Goethe-, Schiller-, Herder-, Wieland-, Cranach-, Thürk-, Wangenheim- und Anderson-Häusern! Du mit deinen hoch sich türmenden Wohnpalästen im Norden wie im Westen, Universitäten, Bibliotheken, Theatern, deinen grünen, roten, gelben Schlössern, Grüften, Gräbern. Weihevolle Stätte, umhaucht vom Geist der größten deutschen Denker, Dichter, Lichtgestalten! Ein Heil dir, du große kleine Stadt! Hier ist Eden! Hier ists gut sein!"

 
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