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Mascha Kurtz
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Juni 2002
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- daily kurtz -


Sonntag, der 2. Juni 2002


Stadt 2

Ich kenne die U-Bahn. Ich kenne den Weg zur U-Bahn. Ich kenne das Geräusch, mit dem die U-Bahn hält. Das pneumatische Zischen, mit dem sich die Türen öffnen. Wie die Leute sich hineindrängen, innehalten, einen Platz ins Auge fassen und sich darauf stürzen, damit kein anderer ihnen zuvorkommt. Ich sitze, am Fenster rauscht Dunkelheit vorbei. Manchmal eine Ahnung der Graffiti, die die Tunnelwände überziehen. Stumm sitzen die Fahrgäste. Manche lesen, die meisten starren vor sich hin ohne etwas zu sehen. Seit kurzem gibt es Fernseher in einigen Linien. Die Monitore hängen in jedem Wagen von der Decke. Das Programm läuft ohne Ton. Sie zeigen Kurznachrichten und Zeichentrickfilme, die unterbrochen werden, um die nächste Haltestelle anzukündigen. Ich kann nicht wegsehen.

Zu manchen Tageszeiten finde ich keinen Sitzplatz. Ich strecke mich nach den Haltegriffen, die an diesem Tag schon tausend andere angefasst haben. Die Griffe sind rutschig vom fremden Schweiss. Ich stehe zwischen anderen Leuten mit erhobenen Armen. Wir schwanken, unsere Körper stoßen zusammen, fremde Kleider reiben sich an mir. Wir konkurrieren um Raum wie Hühner in der Legebatterie. Die Station gleitet ins Fenster. Im Wagen bricht Durcheinander aus, eine Folge kurzer Körperkontakte, ein Stoßen, bis der Fuß den Bahnsteig berührt. Türen klappen zu, die Zurückgebliebenen werden fortgerissen.


 
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