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8. Juni 2010
Robert Mießner
für satt.org

  Foto © Joe Baiza
Foto © Joe Baiza





LIVE IN BERLIN:
Saccharine Trust und The Universal Congress Of feat. Joe Baiza, Jack Brewer, Steve Gaeta und Steve Moss: Mittwoch, 09. Juni 2010, King Kong Klub, Brunnenstrasse 173, 10119 Berlin-Mitte



Jenseits der Orthodoxie

Man kann die Abenteuergeschichte von Punk, Hardcore und Independent als eine der Musiker, der Designer und ganz allgemein der enthusiastischen Querköpfe schreiben. Oder als eine der Labels: Westdeutschland hatte ZickZack, England Rough Trade und Factory (und viele mehr). Die USA hatten SST Records. Nostalgie und Punk, das verbietet sich eigentlich von selbst, aber es gab mal eine Zeit, da konnte man in den Plattenladen seines Vertrauens gehen, sich ein halbes Dutzend der Alben mit dem Corporate-Identity-Logo auf dem Backcover aussuchen und hatte hinterher Musik gehört, die oft weit jenseits der Punkorthodoxie spielte. SST, gegründet 1978 in Long Beach, California von Greg Ginn, um seine Band Black Flag herauszubringen, verlegten Hardcore (Black Flag) Doom Metal (St. Vitus), Noise (Sonic Youth) und noch mehr Noise (Elliott Sharp). SST-Alben waren exquisit und verwegen gestaltet: Man denke an Raymond Pettibons Cover für Black Flags »Slip It In« (1984) oder an Lung Leg aus Richard Kerns »Submit To Me« auf Sonic Youths »Evol« (1986). Faszinierend sind die Tier-Mensch-Hybriden, die sich auf »The Second Factionalization« (1986) von der October Faction versammeln. Das Cover ist von Joe Baiza, der mit Saccharine Trust und dem Universal Congress Of in Berlin gerade eine vollgepackte Deutschlandtour beendet.

Saccharine Trust, Kurt Cobain hatte ihr Debüt »Paganicons« in seiner Top 50, und mehr noch der Universal Congress Of, gehörten zur Jazzfraktion bei SST. Akademisches und Geschmäcklerisches waren (und sind) ihnen fremd, obwohl sie natürlich wissen, woher ihre Musik kommt. Einen deutlichen Hinweis gab der Universal Congress Of auf »This Is Mecolodics«. Das 1988 erschienene Album, produziert von Vitus Mataré (St. Vitus), zitiert im Titel und auf dem Cover einen Klassiker des beherzten Schrägklangs: »This Is Our Music« (1960) vom Ornette Coleman Quartet. »Mecolodics« ist natürlich ein Verweis auf Colemans »Harmolodics«, Baiza sollte eine seiner späteren Bands Mecolodiacs nennen. Dann ist da »Law Years«, ihre Version des Coleman-Tracks auf »Science Fiction« (1972).

The Ornette Coleman Quartet: This Is Our Musics The Universal Congress Of: This Is Melodics

Millionär wird man mit dieser Musik nicht, obwohl Saccharine Trust und der Universal Congress Of treue Fans und Freunde haben: Saccharine Trust wurden anlässlich des diesjährig von Pavement kuratierten »All Tomorrows Parties«-Festivals für Anfang Mai nach England eingeladen. Die letzte Saccharine Trust-Deutschlandtour 1996 war ein Erfolg, überschattet allerdings von einem Neonazi-Überfall in Berlin, bei dem Joe Baiza mit einem Baseballschläger die Hand zertrümmert wurde. Künstler wie Tocotronic, Blumfeld, Mouse On Mars, Flowerpornoes, Bernadette La Hengst und viele andere gaben daraufhin Soli-Konzerte. Universal Congress Of-Drummer Jason Kahn hatte sich da bereits mit Birger Löhl von Hannovers Geteilten Köpfen zum Duo Cut zusammengetan. Ihr Konzert Mitte der Neunziger im Berliner Schokoladen war nichts weniger als berauschend. Saccharine Trust nahmen 2001 mit »The Great One Is Dead« noch ein neues Album für Hazelwood Vinyl Plastics auf. Die Kritiker waren begeistert. Wenn die beiden Legenden am Mittwoch im Berliner King Kong Klub auftreten, werden sie ihr zwanzigstes Konzert in zweieinhalb Wochen geben. Nicht schlecht für Leute, die auch nicht mehr die Jüngsten sind. Nostalgisch muss man dabei nicht werden: Den Plattenladen des Vertrauens gibt es immer noch und Alben wie »Damaged« und »A Love Supreme« funktionieren genau wie gestern. Am besten übrigens hintereinander.


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