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10. November 2009
Thomas Backs
für satt.org

Songs from under the floorboards

Die Zeiten haben sich geändert: Zwischen Brett Anderson und Steven Patrick Morrissey gab es zu Beginn der 1990er Jahre eine Verbindung. Nach der Auflösung der Smiths gehörte eben deren Drummer Mike Joyce in den Anfangstagen zu Andersons Band Suede, mit deren frühen Alben eine Zeitrechnung begann, in der über lange Jahre viele Bands aus dem UK in der Schublade „Britpop“ landeten. „My insatiable one“, einer der frühen Songs aus der Feder von Brett Anderson und dessen kongenialen Partner Bernard Butler, gehörte 1992 für kurze Zeit zum Live-Set von Morrissey.

Als der klassische britische Gitarrenpop jener Tage den Mainstream erreicht hatte und die europäischen Charts bestimmte, da war bereits alles anders: Suede in Originalbesetzung waren längst Geschichte. Gitarrist Bernard Butler hatte sich noch während der Aufnahmen zum zweiten Album „Dog Man Star“ (1994) im Streit von Brett Anderson getrennt. Und Steven Patrick Morrissey? Der hatte England verlassen und war den Massen nicht cool genug für „Cool Britannia“. Mit dem kommerziellen Flop seines Albums „Southpaw Grammar“ (1995) erlebte der Ex-Smiths-Sänger eine bittere Enttäuschung. Gemessen am Erfolg ging es Brett Anderson auch ohne Bernard Butler gut: Das dritte Suede-Album „Coming up“ fand europaweit Millionen von Käufern. Für Morrissey lagen zwischen seinem besten Solo-Album „Vauxhall and I“ (1994) und der Rückkehr ins Rampenlicht dagegen zehn Jahre: Erst 2004, mit dem Longplayer „You are the quarry“ und Singles wie „Irish blood, English heart“, fand er viele alte Hörer zurück und begeisterte auch jüngere Musikliebhaber.

Zum Jahresende 2009 sind Anderson und Morrissey musikalisch weit voneinander entfernt. Von beiden erscheinen in diesen Tagen neue Tonträger.

  Brett Anderson: Slow Attack
Ear Music/ Edel Records
» brettanderson.co.uk
» myspace


Brett Anderson: Slow Attack

Brett Anderson ist mit seinem dritten und bisher besten Solo-Album dort angekommen, wo er hin wollte: die elf verträumten, manchmal auch traurigen Tracks auf „Slow Attack“ sind Andersons vielleicht endgültiger Abschied vom klassischen Pop-Song. Ein Weg, der mit „Wilderness“ (2008) bereits eingeschlagen wurde. Gemeinsam mit Produzent Leo Abrahams ist „Slow Attack“ zwischen Januar und Mai 2009 in London entstanden. Wenig überraschend, dass elektrische Gitarren bei spärlich mit Piano, Streichern und akustischen Gitarren instrumentierten Titeln wie „Wheatfields“ und „Frozen Roads“ einfach nicht mehr passen. Mark Hollis und die späten Talk Talk mit Alben wie „Spirit of Eden“ nennt Anderson genau wie den argentinischen Filmkomponisten Gustavo Santaolalla („The Motorcycle Diaries“) als Einflüsse. Die klassische Songstruktur Strophe – Refrain – Strophe – Refrain ist dann auch oft genug nicht mehr die, nach der sich Anderson gerichtet hat. Unverkennbar sind sie trotzdem, Titel wie „Ashes of Us“ und „Scarecrows and Lilacs“. Schließlich ist da immer noch Andersons markante, oft eindringliche Stimme, die aus den 1990ern und Chart-Singles wie „Animal Nitrate“ oder „Trash“ bekannt ist. Mitsing-Refrains, die sind heute allerdings eine Seltenheit. Ein Song wie „The Hunted“ (Refrain: „She is the hunter/ You are the hunted“) erinnert noch an das Songwriting jener Tage. Den Soundtrack für eine „New Generation“ wollte Brett Anderson 15 Jahre nach dem Album „Dog Man Star“ sicher auch nicht mehr schreiben. Filmmusik, die könnte dieses atmosphärisch sehr dichte, nicht selten dramatische Werk sein. Vielleicht ist damit Brett Andersons nächstes Ziel klar.

  Morrissey: Swords
Polydor/ Universal
» true-to-you.net


Morrissey: Swords

Morrissey hat auch in diesem Jahrzehnt den Weg verfolgt, einen Teil seiner besten Songs als B-Seiten zu veröffentlichen. Mehr noch als früher dürfte „Swords“ sich für viele Musikliebhaber nun also wie ein neues Morrissey-Album anhören. Schließlich sind Highlights wie „It`s hard to walk tall when you`re small“ oder „Teenage dad on his estate“ auch aufgrund der massiv gesunkenen Verkaufszahlen bisher wenigen bekannt. Musikalisch ist die Sammlung dieser 18 Songs nicht weit entfernt von Alben wie „You are the quarry“ und „Years of refusal“. Auch, weil die meisten von ihnen während der gleichen Zeit gemeinsam mit den Gitarristen Alain Whyte und Jesse Tobias geschrieben worden sind. Auffällig: Gerade textlich sind hier mit „Christian Dior“ (you wasted your life/ on grandeur and style/ and making the poor rich smile) und „Ganglord“ (they say „to protect and to serve“/ but what they really need to say is: „get back to the ghetto!“) scharfe Klingen versteckt. Morrisseys Live-Version von Bowies „Drive-in Saturday“ war ebenfalls eine schöne Überraschung. Fans, die seit 2004 alle Maxis und Singles gekauft haben, werden sich vor allem über die Abwesenheit zweier Songs wundern: Eine Live-Version von „I keep mine hidden“, dem letzten Song, den The Smiths jemals zusammen eingespielt haben. Und Morrisseys Studio-Version eines Songs, der ihn sicher sehr beeinflusst hat: Magazines „A song from under the floorboards“.