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Sofie Lichtenstein: Bügeln. Protokolle über geschlechtliche Handlungen




7. September 2009
Christina Mohr
und Thomas Backs
für satt.org

Short Cuts-Logo
September 2009, erster Teil


  Cornershop: Judy sucks a lemon for breakfast
Cornershop:
Judy sucks a lemon
for breakfast

Second Motion/ Cargo Records
» cornershop.com
» myspace


Cornershop: Judy sucks a lemon for breakfast

Lange nichts mehr gehört von Cornershop, das letzte Album „Handcream for a generation” wurde vor sieben Jahren veröffentlicht. „Who put the band back on the road?” fragen Tinder Sjingh, Ben Ayres & Co dann auch mit dem Album-Opener „Who fingered Rock 'n' Roll”. Ein entspannt groovender Rocksong mit 70er-Jahre-Einschlag und Sitar-Klängen, mit dem wir gleich wieder mittendrin sind, in der bunten Cornershop-Welt, die manch einer in den letzten Jahren vielleicht ein wenig vergessen hat. Frisch, fröhlich und poppig ist diese Welt, sehr oft herrlich relaxt, wie eben beim Titelsong „Judy sucks a lemon for breakfast“, „Operation Push“ und dem Dylan-Cover „Mighty Quinn“. An den großen Cornershop-Hit und an „Lessons learnt from Rocky I to Rocky III“ wird mit diesen zwölf Tracks mehr als ein Mal augenzwinkernd erinnert. Zum Start in den Herbst bringt das eine Menge gute Laune. Erst recht mit dem abschließenden Gospelsong „The turned on truth (the truth is turned on)”. Der ist gleich 16 Minuten lang und groovt Hände klatschend entlang des alten „Brimful of Asha“-Riffs. (Thomas Backs)


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  Prefab Sprout: Let's Change the World With Music
Prefab Sprout:
Let's Change the
World With Music

Ministry of Sound / edel
» prefabsprout.com


Prefab Sprout: Let's Change the World With Music

Als Mitte des Jahres verkündet wurde, es gäbe bald ein neues Album von Prefab Sprout, reagierten Fans und KritikerInnen freudig erregt – wie kann das sein, hatten sich PS nicht vor einigen Jahren gütlich getrennt? Des Rätsels Lösung: „Let's Change the World With Music“ ist nicht wirklich neu, sondern lagerte seit 1992 in Mastermind Paddy McAloons Nachtschränkchen. Die Songs entstanden nach dem 1990'er-Album „Jordan: The Comeback“, doch McAloon befand die Aufnahmen nicht für gut genug, um sie als eigenständige Platte zu veröffentlichen. Das ist natürlich stark übertrieben von Mr. McAloon, denn „Let's Change...“ reiht sich ohne Qualitätsbruch in die an Perlen ohnehin reiche Prefab Sprout-Discographie. Die Songs wurden im Studio nachbearbeitet, was McAloon zu der Bemerkung hinriss, „Let's Change...“ sei sozusagen ein Technoalbum. Natürlich haben die alten neuen Songs mit Techno nichts zu tun, sondern klingen genauso aus der Zeit gefallen, wie Prefab Sprout schon immer klangen. Fast alle Lieder handeln von Musik, eine Meta-Musik-Platte also; mit rührender Ernsthaftigkeit will McAloon mit Musik nicht nur die Welt ändern, für ihn ist sie auch „a princess / I'm just a boy in rags“, beschwört die schützende Kraft des Gospels und will den neuen Mozart treffen. Wie auf allen Prefab Sprout-Platten wird hier musikalische Magie, was bei jeder anderen Band unweigerlich zu Kitsch gerinnen würde: Geigenteppiche, Refrains wie „God Watch Over You“, schwelgerische Arrangements, sweet soul music von (neuerdings) bärtigen Bleichgesichtern.


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  Funny van Dannen: Saharasand
Funny van Dannen:
Saharasand

JKP/Warner
» funny-van-dannen.de


Funny van Dannen: Saharasand

„Saharasand“ ist Funny van Dannens elftes Album und enthält 21 neue Lieder – so viel zu den harten Fakten. Wie immer ist das durchgängige Thema „das Leben. Da gibt es keine Einschränkungen“ (Zitat FvD). Der neue Songreigen wird mit der „Katzenpissepistole“ eröffnet, mit der Funny auf Hedge Fonds-Manager, Charityladies und andere Pestilenzen schießen will und gleich klarmacht, auf wessen Seite er – wie immer - steht: auf der Seite der Verlierer, der Zu-kurz-gekommenen, auch wenn er selbst längst in Berlin-Dahlem wohnt. Mit gewohnt lakonischem Leiern erzählt van Dannen Geschichten aus Berlin und anderswo, über kaputtgegangene Liebe („Simpsons-Plakat“, „Wenn Liebe sich nicht mehr lohnt“), kommentiert die Finanzkrise („Aktienpaket“), oder fragt wie die BILD-Zeitung, was gefährlicher sei („Saharasand oder rassistische Polizisten“). Manchmal fängt er zu phantasieren an: In „Pflanzendisco“ und „Auch nur ein Tier“ geht es wie in seinen Büchern märchenhaft und absurd zu, mit „29 Marienkäfer“ hat van Dannen seinen Jonathan Richman-Moment. Songs wie „Innehalten“, „Jugendstil“ und „Sozialismus“ sind eindeutig auf die Livesituation hin geschrieben, man kann das Publikum schon mitsingen hören: „Scheiß-Jugendstil, Scheiß-Jugendstil...“ Musikalisch tut sich auf „Saharasand“ wie immer nicht viel: ein Mann, eine Gitarre, mal Kinderlied für Erwachsene, mal an eine Volksweise angelehnt, mal low-low-lowest-fi-Punk, ab und zu jemand als Gaststimme im Hintergrund. Man wünscht sich, Funny van Dannen würde sich und seinem Publikum ein wenig kompositorische Abwechslung gönnen, damit die skurrilen Texte nicht in Gleichstrom/Gleichstrom vorbeiplätschern. Aber für seinen anhaltenden Erfolg spielt das wohl keine Rolle.

Saharasand Tour 2009:
23.09. Bielefeld / Kamp, 24.09. Köln / Gloria, 25.09. Hamburg / Fabrik, 26.09. Berlin / Astra - ausverkauft! Zusatzkonzert am 20.12.!, 08.10. München / Muffathalle, 09.10. Jena / Kassablanca, 10.10. Dortmund / FZW, 11.10. Münster / Jovel, 22.10. Regensburg / Kulturspeicher, 23.10. Lindau / Club Vaudeville, 24.10. Ulm / Roxy, 25.10. Freiburg / Jazzhaus, 12.11. Hannover / Pavillon, 13.11. Bremen / Schlachthof, 14.11. Kiel / Pumpe, 25.11. Karlsruhe / Tollhaus, 26.11. Erlangen / E-Werk, 27.11. A-Innsbruck / Weekender, 28.11. A-Wien / Arena, 03.12. Dresden / Alter Schlachthof, 04.12. Leipzig / Schaubühne, 05.12. Düsseldorf / Zakk, 06.12. Frankfurt / Mousonturm, 17.12. Osnabrück / Rosenhof, 18.12. Fulda / KuZ Kreuz, 19.12. Stuttgart / LKA Longhorn, 12. Berlin / Astra


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  Jamie T.: Kings and Queens
Jamie T.: Kings and Queens
Virgin UK/EMI
» jamie-t.com
» myspace


Jamie T.: Kings and Queens

Vor zwei Jahren machte der damals 21-jährige Jamie Treays aus Wimbledon/GB mit seinem im Jugendzimmer zusammengebastelten Album „Panic Prevention“ Furore: Hip Hop- und Punkeinflüsse, Skits und Samples, dazu Texte mitten aus dem Leben. Häufig wird Jamie T. wegen des heftigen britischen Akzents mit Mike Skinner alias The Streets verglichen, was beide vermutlich nicht stören, aber auch nicht interessieren wird. Jamie T. ist sowieso ein ziemlich cleveres und abgeklärtes Kerlchen: weil er weiß, wie unerbittlich auf das „schwierige zweite Album“ geguckt wird, erklärte er im Vorfeld zur Veröffentlichung von „Kings and Queens“, dass er damit gleich seine dritte Platte gemacht habe – die zweite fällt ganz einfach aus. Gelungen ist das Album allemal ganz famos, Jamie T. erzählt von nervigen Saufkumpanen und leichtsinnig aufs Spiel gesetzter Liebe („... this happens when you fuck around...“), vom britischen Überwachungskamerawahn und Prügeln im Pub. Die Hip Hop-Elemente sind weniger geworden, dafür ist „Kings and Queens“ wesentlich songlastiger als „Panic Prevention“: mit „Jilly Armeen“ und „Emily's Heart“ befinden sich sogar zwei sensible Balladen auf der Platte, bei „Spider's Web“ spielt er auf einer Ukulele, das punkig-ausgelassene „Sticks'n'Stones“ wird von Hip Hop-Rock-Crossover abgelöst („The Man's Machine“). Jamie T. findet es verlogen, wenn man so tut, als habe man keine Vorbilder oder Einflüsse. Also gut, Jamies Vorbilder sind ganz sicher The Clash, The Jam und – oh ja, Bob Dylan. Große Storyteller mit Talent für große Musik. So wie Jamie T.


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  Boxhamsters: Brut Imperial
Boxhamsters: Brut Imperial
Unter Schafen/Alive
» boxhamsters.net
» unterschafen.de

Hamster live:
Jena, Rosenkeller: 11.9.09, Leipzig, Moritzbastei: 12.9.09, Magdeburg, Sackfabrik: 25.9.09, Rostock, Mau Club: 26.9.09, Wiesbaden, Schlachthof: 9.10.09, Saarbrücken, Kleiner Klub Garage: 30.10.09, Freiburg, Walfisch: 31.10.09, Köln, Gebäude 9: 28.11.09, Nürnberg, Roter Salon: 11.12.09, Marburg, KFZ: 19.12.09


Boxhamsters: Brut Imperial

Auf die enorme Bedeutung der Gießener Band Boxhamsters für den deutschen Punkrock seit 1988 haben wir bei satt.org schon mehrfach hingewiesen und auch unseren Unmut darüber kundgetan, dass die Lorbeeren in Form von fetten Chartserfolgen andere ernten – z.B. offensichtliche Epigonen wie ausgerechnet Tomte. Umso schöner, dass es die Boxies immer noch gibt und sich Co, Niels, Philipp und Ulf von widrigen Umständen wie dem Bankrott ihrer letzten Plattenfirma L'Age D'Or, die kurz nach Veröffentlichung des Hamster-Lado-Debüts „Demut & Elite“ aufgeben musste, nicht davon abhalten ließen, ein neues Album aufzunehmen. „Brut Imperial“ erscheint bei Unter Schafen Records, wie immer unter der produzierenden Regie von Olaf Opal. Die zehn neuen Tracks klingen abwechslungsreicher als frühere Platten: natürlich regieren noch immer die von Hüsker Dü, EA 80 und Sonic Youth geprägten Gitarrenparts, wechselt sich Highspeed-Punkrock mit melancholischen langsameren Stücken ab, noch immer tauchen in Martin Coburgers unvergleichlichen, wütend-leidenschaftlich-romantischen Texten „rothaarige Mädchen“ auf und alte Zeiten werden beschworen (z.B. in „1982“: „so kann das sein, dass ich mal selber 17 war...“). Aber es gibt auch viel Neues, das wilde Banjo in „Schluchtenflitzer“ zum Beispiel, oder das grandiose Duett „Flöz & Pökel“ mit Eva Briegel von Juli (kommt ja schließlich auch aus Gießen, bzw. Langgöns) und der für Hamster-Verhältnisse schwer experimentelle Track „Lochfraß“, der durch Cos Sprechgesang glatt an die Goldenen Zitronen erinnert.


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  Wild Beasts: Two Dancers
Wild Beasts: Two Dancers
Domino
» wild-beasts.co.uk
» myspace


Wild Beasts: Two Dancers

In diesem von musikalischen Höhepunkten noch nicht allzu verwöhnten Jahr sorgen die britischen Wild Beasts mit ihrem zweiten Album für ein spätsommerliches Highlight: tönte ihr Debüt „Limbo, Panto“ von 2008 in den Ohren vieler zu ungestüm und aufgesetzt theatralisch, läuft die Band um Sänger Hayden Thorpe und Bassist/Sänger Tom Fleming mit „Two Dancers“ zur Höchstform auf (obwohl, man weiß ja nicht, was von Wild Beasts noch kommt). Raffinierte Wechselspiele aus Elektro- und Gitarrenpop, dynamische Dancegrooves mit Verweisen auf die Achtziger, dazu elegante Balladen, exquisit arrangiert: Erotic Downbeat Music, so nennt das Quartett seine Musik selbst. Die Stimmen von Thorpe (hysterisch, exaltiert) und Fleming (gesetzt, croonermäßig) umkreisen sich, spielen miteinander; Thorpe mit Antony Hegarty und Bronski Beats Jimi Somerville zu vergleichen, scheint unvermeidlich, ist auch gar nicht falsch, schränkt aber das Hörerlebnis natürlich ziemlich ein. „Hooting & Howling“, „All the King's Men“, „We Still Got the Taste Dancin' On Our Tongues“ und der zweiteilige Titeltrack sind verführerisch-entrückte Ohrwürmer (sorry für das abgeschmackte Wort), die sich festsetzen, supermelodiös, glammy und verschwenderisch mit ihren Gaben um sich werfend. Wild Beasts verbinden Intellektualität mit Hedonismus, Kopf mit Körper, Sex mit – ja, womit, gibt es einen Gegenpol zu Sex? Hier werden im Darkroom schmutzige Sachen gemacht, nachdem man vorher in der Bibliothek an der Dissertation gearbeitet hat.


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  Leonard Cohen: Greatest Hits
Leonard Cohen:
Greatest Hits

Columbia/SonyBMG
» leonardcohen.com


Zahlenlastiger Extratipp: Leonard Cohen: Greatest Hits

Am 21.9. feiert Leonard Cohen seinen 75. Geburtstag – rechtzeitig zu diesem Anlass erscheint eine neue Greatest Hits-CD, bzw. eine Sammlung von siebzehn Liedern, die das Label für seine wichtigsten hält. Darunter sind natürlich „So Long, Marianne“, „Bird on the Wire“, „Suzanne“, „First We Take Manhattan“, „I'm Your Man“, „Dance Me to the End of Love“ und „Chelsea Hotel No. 2“, mit dem Cohen seiner Beziehung zu Janis Joplin ein Denkmal setzte. Dass Cohen auch nach über 40-jähriger Karriere nichts von seiner Anziehungskraft eingebüßt hat, konnte man im vergangenen Jahr beobachten: seine erste Tournee seit fünfzehn Jahren führte ihn durch 84 Länder und zog mehr als 700.000 Besucher an, Live-DVD und -CD verkauften sich gigantisch – fast scheint es, als liefe der kanadische Singer-/Songwriter, Poet, Dichter, Schriftsteller und Zen-Mönch erst im fortgeschrittenen Alter zur Bestform auf, als würden seine Lieder, die von anderen MusikerInnen insgesamt weit über 1000-mal gecovert wurden, erst jetzt so richtig „passen“. Das ist der Vorteil, wenn man – wie Cohen – auch als junger Mann nie wirklich jugendlich klang: man altert besser, würdiger oder authentischer, nennt es, wie Ihr wollt. Die CD wird komplettiert durch ein 16-seitiges Booklet mit den Texten aller enthaltenen Songs und einigen Fotos.


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