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24. August 2009
Philipp Rhensius
für satt.org

Bass Berlin Festival

BASS BERLIN FESTIVAL 2009

Auf den Spuren des Dub(step)

Der zweite Tag des Berliner Bass Berlin-Festivals versprach an diesem Donnerstagabend ein außergewöhnlich gutes wie interessantes Lineup. Neben den vermeintlichen Stars des Abends, dem Berliner Trio Moderat und dem englischen Dubstep-DJ Benga wurde vor allem den Freunden modernen und abstrakten Dubs mit Shackleton ein abwechslungsreiches Menü serviert.

Das Festival bewegte sich dabei auf den Spuren des Dub, der Musikrichtung, die in den 70er-Jahren auf Jamaika die gängigen Strukturen der Popmusik dekonstruierte und mithilfe des neuen, modularen Systems revolutionierte. Das konventionelle Songformat mit klarem Strophe-Refrain-Prinzip wurde damals aufgebrochen und das „Instrumental“, also die Dubversion eines Reggaesongs, welche bis in die Mitte der 70er-Jahre ein fast unbeachtetes Nischendasein fristete, wurde zum Garant für volle Tanzflächen auf den Soundclashs in Kingston. Das stundenlange Auflegen unzähliger Tunes ohne Unterbrechung und die gleichzeitige Bearbeitung der Musik mit Echo-und Hall-Effekten durch den „Selecta“, was auf Patois DJ bedeutet, wurde zum Vorläufer von Technopartys oder anderen Veranstaltungen, auf denen sich das Publikum durch die endlos scheinende Aneinanderreihung repetitiver Musik in einen ekstatischen Zustand versetzen kann.

Entlang vier Clubnächten im Berliner Club Maria am Ostbahnhof sollten die Pfade der unterschiedlichsten Ausprägungen dieses Genres beschritten werden. Während der Mittwochabend mit den Wighnomy Brothers eher technoid geprägt war, stand der Donnerstag ganz im Zeichen des modernen Dubstep. Freitags ging es ein Stück weiter zurück in die Geschichte und neben den vermeintlichen Dubsteppionieren Horsepower Productions wurde ein Protagonist der zweiten Welle der englischen Exiljamaikaner eingeladen. Mad Professor heizte mit seinem virtuosen Livemixing dem Publikum ein, bevor schließlich am Samstagabend die legendären Mouse on Mars eine schweißtreibende Liveperformance hinlegten.

Moderat @ Maria am Ostbahnhof (Foto: Dirk Mathesius/ Red Bull Photofiles)
Moderat @ Maria am Ostbahnhof
(Foto: Dirk Mathesius/ Red Bull Photofiles)
Moderat(e) Blicke auf die DJs (Foto: Dirk Mathesius/ Red Bull Photofiles)
Moderat(e) Blicke auf die DJs
(Foto: Dirk Mathesius/ Red Bull Photofiles)

Einer der modernen Protagonisten dieser fast 40 Jahre alten Dubkultur passt dabei eigentlich fast gar nicht in die Tradition, denn statt der Effektbearbeitung von fremden Tunes remixt er lieber sich selbst. Es handelt sich um den britischen Wahlberliner Shackleton, der mit seinem bis vor kurzem existierenden Label Skull-Disco nach wenigen Jahren zumindest im Underground fast schon Kultstatus erreicht hat. Bevor man aber in den Genuss seines Liveauftritts kommen konnte, verkürzten sich Viele das Warten mit dem gegen 1 Uhr gestarteten DJ-Set von Moderat, eine Kooperation aus den aus Berlin stammenden Modeselektor und Apparat, die sich zusammenschlossen, um gemeinsam ein Album mit einer einzigartigen Mischung aus modernen, tieffrequentigen Electrosounds und melancholischem Gesang zu produzieren.
Schon nach kurzer Zeit ist die Tanzfläche zum ersten Mal an diesem Abend gefüllt und das internationale Publikum bekommt eine angenehm abwechslungsreiche Mahlzeit aus Techno, House und Dubstep serviert, bei der unter anderem auch der aktuelle Shed-Remix von Martyn nicht wegzudenken war.

   Shackleton
Shackleton

 Shackleton
Erste Skull-Disco-Single

Das in Techno- und House-Kreisen ungewöhnliche und kaum existente Ignorieren der Genregrenzen und der musikalische Eklektizismus waren paradigmatisch für den Abend, der vor allem im Zeichen von Dubstep stand, das noch neue, in London aus Garage, Jungle, 2 Step und Drum & Bass entstandene Genre, welches mittlerweile von nicht Wenigen für die vielfältigen, unterschiedlichen Einflüsse und den durchdringenden Subbässen geschätzt wird.
Einen ersten Eindruck dieser Musik erhielt man etwa eine Stunde später im benachbarten Josef, dem kleinen Bruder der Maria, in dem statt Technoeuphorie eine eher entspannte Stimmung herrschte. Die Atmosphäre war durch eine eindringliche Intimität bestimmt, wobei das etwas steif wirkende Publikum während der letzten Minuten des Sets vom Berliner Dubstep- DJ Maxximus immer mehr auftaute und teilweise in Bewegung kam. Kurz vor Ende trat dann schließlich der überaus sympathisch wirkende Shackleton auf die Bühne, der in den nächsten anderthalb Stunden die immer zahlreicher werdenden Anwesenden in den Bann seines Livesets ziehen sollte. Auch wenn sein Label Skull Disco nicht mehr existiert, der Name könnte die Musik nicht besser beschreiben: Mit der kalten, stark verhallten Percussion, die auf eine fast durchgehend unstetige Bassdrum traf und den plötzlich aus der ständig präsenten Basswand ausbrechenden glasklaren Tamburin-Samples, welche mit klirrenden Höhen die technischen Möglichkeiten des Stereopanoramas auszureizen schienen, konnten die Anwesenden endlich den dunklen und morbiden Soundtrack für tanzende Skelette live miterleben, auch wenn der Sound insgesamt etwas mehr Brillanz vertragen hätte.
Der englische Künstler kreierte fast minütlich ein neues Sounduniversum, was nicht selten so klang wie die apokalyptische Einebnung jeglicher Harmoniestrukturen in der Musik. Polyrhythmen, die aus dem Zusammenspiel der organischen Trommelsamples und den mantra-artigen Vocalschnipseln entstehen und dabei immer wieder durch die Weiten eines Delays geschickt werden, waren schon immer die zuverlässigsten Erkennungsmerkmale des Sounds des britischen Produzenten. Viele der Tracks, unter denen auch einiges neues Material war, wurden neu kontextualisiert und geremixt. Immer wieder ließen sich in den neuen Tracks kurze und veränderte Beat- und Vocalfragmente aus älteren Produktionen ausmachen. So tauchte der Satz „Death is not final“ des gleichnamigen Tracks immer wieder im neuen Gewand auf, ganz im Sinne der ständigen mit Soundfragmenten arbeitenden Tradition der Dubkünstler. Die konzentrierte und enthusiastische Liveperformance von Shackleton schien dabei mit der beharrlichen Detailarbeit in der Produktion seiner epischen Tracks einherzugehen. Bereits nach wenigen Minuten brachte der Engländer nicht nur sein Publikum zum Schwitzen. Die abstrakte Musik, die fast durchgehend eine gerade Bassdrum sowie einen für Dubstep charakteristischen Half-Time-Beat verweigerte, erschwerte das Tanzen einerseits, erleichterte aber andererseits umso mehr eine immersive Versenkung in die Weiten der Musik, weshalb viele Leute eher mit sich selbst und der immensen psychoakustischen Wirkung des meditativen Sounds beschäftigt waren als mit dem im Clubkontext üblicheren Miteinandertanzen. Das Setup war dabei simpel gehalten. Lediglich ein Notebook und ein MIDI- Controller wurden verwendet. Ein würdiger Beifall der wenigen, aber durchweg begeisterten Personen beendete die etwa anderthalbstündige Performance des Wahlberliners.

Benga Benga
Benga und seine basssüchtigen Jünger (Fotos: Dirk Mathesius/ Red Bull Photofiles)

Während man soeben eine der ungewöhnlichsten und abstraktesten Formen des jungen Genres erleben konnte, so ließ sich die stilistische Vielfalt von Dubstep am Besten im benachbarten Club beobachten, wo bereits seit einer Stunde Benga auflegte, der aufgrund seiner Popularität als Aushängeschild des Genres gilt. Der Gegensatz zu vorhin konnte nicht größer sein: Die Tanzfläche war voll mit wild tanzenden Menschen, die versuchten, mit den teilweise sehr schnell und virtuos gemixten Tracks mitzuhalten. Keiner schien den tiefen Subbässen und den energetischen Synthesizermelodien zu entkommen. Benga feierte dabei durchgehend und ließ während seines Sets Triumphschreie zwischen den Übergängen der Tracks los. Überraschend waren vor allem die kleinen musikalischen Exkurse, die im Laufe des Sets immer wieder vorkamen. Ein alter, an Tempo deutlich beschleunigender Jungle-Tune fand genauso radikal Eingang ins Set wie eine oftmals nur sekundenlang angespielte 4-to-the-floor-Bassdrum.

Die eklektische Mischung der Tracks kam bei allen sichtlich gut an und zeigt, wie unverkrampft ein kleines Nischengenre aus der elektronischen Musik mit dem ständigen Aufbrechen stilistischer Grenzen umgehen kann. Genau das ist auch die Stärke von Dubstep, sich stets die Türen zu allen Seiten hin offen zuhalten und gleichzeitig aber nie den kleinsten gemeinsamen Nenner, den Bass, aus den Augen zu verlieren. Auch wenn das Set von Benga ganz im Gegensatz zu Künstlern wie Shackleton schon fast als eine Art Dubstep für den großen Floor bezeichnet werden kann, möchte ich an dieser Stelle keine Debatte über die fortschreitende Kommerzialisierung des Genres vorantreiben, wie es bereits einige pessimistische Autoren mit dem Hinweis auf den vermeintlichen Untergang von Drum & Bass in den 90er-Jahren prophezeien. Vielmehr kann sich mit den Auftritten der jungen wie etablierten Künstler an diesem Wochenende doch eher der Eindruck durchsetzen, dass erstens das Potential von Dubstep mit seinen erfrischenden, innovativen und polyrhythmischen Beats noch längst nicht ausgeschöpft ist und, zweitens, dass die unerschöpflichen Wege des Dub, die vor ca. vierzig Jahren in Jamaika ihren Anfang nahmen, noch lange nicht durchwandert sind.