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15. März 2009
Wolfgang Buchholz
für satt.org

„Was ist heute noch eine Bank?“
oder „Bassisten werden immer selbstbewusster“

Bernadette La Hengst in Oelde-Stomberg, 5.3.09

Nach Erdmöbel und Bernd Begemann ist heuer das dritte Konzert im Rahmen der Ausstellung „Stadt.Land.Pop“ im Museum für Westfälische Literatur auf Haus Nottbeck in Oelde-Stomberg. Diesmal spielt Bernadette La Hengst. Aus Bad Salzuflen in Ost-Westfalen stammend, lebte sie viele Jahre in Hamburg und zog vor kurzem nach Berlin. Aus den späten 80ern datieren auch einige Exponate der Ausstellung, die dem Label „Fast Weltweit“ gewidmet sind, und die Videos, Musik und Texte von Künstlern wie Jochen Distelmeier, Frank Spilker, Bernd Begemann und eben Bernadette La Hengst aus dieser Zeit zeigen. Ein Besuch der Ausstellung lohnt sich also allemal.

Neben ihren Soloalben kann Bernadette La Hengst u.a. auf die Werke ihrer Band „Die Braut haut ins Auge“ zurückblicken, die eine der erfrischendsten und besten deutschen Popbands der 90er Jahre war. Von der damals dominierenden Gitarrenmusik haben sich ihre Soloplatten stärker in elektronische Gefilde mit Disco- und Funk-Einflüssen entwickelt. Bernadette ist ohne Zweifel eine der kreativsten deutschen Popmusikerinnen, die neben der Musik auch in Theater- und Hörspielen zu Hause ist und die auch politisch ganz klar Stellung bezieht. Heute abend sind wir aber zum Popkonzert hier und das verspricht nach meinen Erfahrungen aus der Vergangenheit sehr kurzweilig zu werden. Mit dabei La Band, bestehend aus Schlagzeuger und Bassisten, der ab und an auch den Synthesizer bedient. Im Mittelpunkt steht das Repertoire des letzten Albums „Machinette“, angereichert durch einige ältere Songs und ein Lied der Band Mittekill des Bassisten Freedarich. Das Konzert war prima, keine Frage, aber es gab auch was zu mäkeln.

Fangen wir damit an:
(1) Das Publikum besteht aus „30-Somethings“, meistens wahrscheinlich Ost-Westfalen, deren Körper nicht schon bei den ersten Beats rhythmisch zucken. Die Musik schafft es aber im Laufe des Konzertes, immer mehr Bewegung in die Reihen vor der Bühne zu bringen, so dass es nicht unbedingt notwendig ist, die Konzertbesucher von Beginn an zum Bewegen und zum Singen anzustacheln. Der eher den „Leicht-Wippern“ denn den Tänzern zuzuordnende Konzertgänger, zu denen ich mich auch rechne, fühlt sich da manchmal leicht bedrängt und unwohl. Die Tanzeinlagen mit Publikum (alte Schul- und Trinkfreundinnen der Künstlerin) gegen Ende waren hingegen durchaus originell - es geht doch.
(2) Weiterhin war schade, dass aus dem Füllhorn der tollen Braut-Lieder keines mehr auf der Setlist vertreten ist, schnief, aber das ist wahrscheinlich nur ein Kritikpunkt, der mit der Sentimentalität des Autors zusammenhängt...

Was war denn klasse bei dem Konzert?
(1) Das Songmaterial, insbesondere vom neuen Album, gewinnt im Vergleich zur Platte nochmal gehörig an Qualität, da die Musik sehr druckvoll, aber trotzdem groovy rüberkommt. So was wollen wir hören.
(2) Bernadette La Hengst ist wahrlich eine „Rampensau“ (sorry für den Ausdruck). Immer in Bewegung, voll aufgehend in ihrer Musik und absolut authentisch ist sie am Ende des Gigs komplett durchgeschwitzt und gießt sich erst einmal eine Karaffe mit Wasser über den Kopf. So was wollen wir sehen.
(3) Der gerne biertrinkende Zuschauer sieht sich mit den Musikern in bester Gesellschaft, die ebenfalls „nicht reinspucken“. Bei manchen Konzerten kommt man sich heute ja vor wie beim Tanztee der Blaukreuzler, so abstinent geht es auf der Bühne zu, nicht so bei Bernadette und La Band. Da schmeckt das Pils.

Was fiel sonst noch auf? Das Bild des stoisch in der Ecke stehenden, keine Miene verziehenden Bassisten hat sich dramatisch verändert - Basser haben mittlerweile ein ganz neues Rollenverständnis. Freedarich plappert zwischen den Songs munter drauflos, fällt seiner Chefin ins Wort und widerspricht ihr sogar. Ähnliches konnte man letztens auch beim Bernd Begemann-Bassisten erleben, der sogar nach einem Kamm beim Publikum nachfragte.

Das Fazit des Artikels könnte lauten „Bernadette La Hengst ist eine Bank“. Aus zwei Gründen passt das aber eher schlecht. In heutigen Zeiten ist eine Bank nicht mehr das was sie einmal war, so dass dieser Ausspruch per se nicht mehr passt. Bernadette La Hengst würde es zudem wahrscheinlich eher als eine Beleidigung auffassen, als Bank bezeichnet zu werden, so dass ich dieses Ende wieder streichen möchte. Daher ende ich besser wie folgt: „Bernadette La Hengst ist eine tolle Pop-Künstlerin.“

P.S.: Drei Tage später durfte ich dann einen anderen wahrlich großen Pop-Künstler erleben: Marc Almond. Ganz großes Entertainment, bin noch sprachlos...



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