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Sofie Lichtenstein: Bügeln. Protokolle über geschlechtliche Handlungen




2. Februar 2009
Christina Mohr
für satt.org

Bücherschau

  Springer, Steinbrink, Werthschulte (Hrsg.): Echt! Pop-Protokolle aus dem Ruhrgebiet
Springer, Steinbrink, Werthschulte (Hrsg.): Echt! Pop-Protokolle aus dem Ruhrgebiet
Salon Alter Hammer
301 Seiten, € 14,90
» salonalterhammer.de
» ruhrgebiet.de


Pop-Protokolle aus dem Ruhrgebiet

Das Ruhrgebiet gilt im Allgemeinen nicht als Hochburg der Popkultur: mit knapp 4.500 Quadratkilometern Fläche und 5,3 Millionen Einwohnern ist das Konglomerat aus Städten rund um den Fluß Ruhr (Herne, Bottropp, Mülheim, Bochum, Essen, etc.) zwar der größte Ballungsraum Deutschlands, von großstädtischem Bohèmeleben á la Berlin aber kann keine Rede sein. Im Gegenteil, in den traditionellen Arbeitergebieten zwischen Flözen und Zechen bestand schon immer ein heftiges Misstrauen gegen allet, wat keine richtige Knochenarbeit war und lediglich Fußball als Männersport par excellence wurde als Freizeitgestaltung akzeptiert. In den frühen achtziger Jahren setzte Herbert Grönemeyer mit seinem Album „Bochum“ dem Ruhrgebiet ein raubeinig-liebevolles Denkmal und führte die Region in den Pop-Mainstream ein. Wo aber war/ist der Untergrund? Gibt es ihn, mal abgesehen von den Kohleschächten? Johannes Springer, Christian Steinbrink und Christian Werthschulte haben sich auf die Suche gemacht und Material gesammelt: ihre Fundstücke aus Jugendzentrumsszenen, Pop, Punk, Rock und Gothic sind in „Echt! Pop-Protokolle aus dem Ruhrgebiet“ nachzulesen. Überraschendes wird dabei zutage gefördert (um im Ruhrgebiet-Duktus zu bleiben): AutorInnen wie Wolfgang Welt, Marc Degens, Klaus Fiehe, Dirk Siepe, Hartmuth Malorny, Katja Peglow, Maren Volkmann skizzieren in autobiographischen, essayistischen und journalistischen Texten ein Bild des Ruhrgebiets, in dem Popmusik sehr wohl ihren Platz hat. Marcus S. Kleiner zum Beispiel schreibt über den berühmten Oberhausener Rock'n'Roll-Club Blue Moon, in dem sich Rockabillys der gesamten Region ein Stelldichein gaben, Wolfgang Welt berichtet von der Wanner Band Vorgruppe, die 1981 sogar den gestrengen Alfred Hilsberg begeisterte und am Ende des Buches wird die spannende Geschichte zweier aus Gladbeck und Gelsenkirchen stammenden Beuys-Schüler erzählt, die mit der Galerie „Art Attack“ und dem Fanzine „Die 80er Jahre“ unversehens den sogenannten Artpunk aus der Taufe hoben....

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  Michael Rauhut, Reinhard Lorenz (Hrsg.): Ich hab den Blues schon etwas länger. Spuren einer Musik in Deutschland
Michael Rauhut, Reinhard Lorenz (Hrsg.): Ich hab den Blues schon etwas länger. Spuren einer Musik in Deutschland
Christoph Links Verlag
424 Seiten, € 29,90
» linksverlag.de


Ich hab den Blues schon etwas länger

Der Blues ist der Anfang von allem, zumindest von Musikstilen wie Rock, Soul, Jazz und ja, HipHop. Entstanden am Ende des 19. Jahrhunderts in den USA, als musikalische Ausdrucksform der afroamerikanischen Bevölkerung, die in Gospel, Spirituals und Worksongs gegen die Versklavung durch den weißen Mann ansangen und -spielten. Ab den zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts begann der Aufstieg der schwarzen, „blauen“ Musik, Inhaber von Plattenfirmen erkannten den enormen identifikatorischen und kommerziellen Wert des Blues. In den fünfziger und sechziger Jahren erlangten schwarze Bluesmusiker wie Muddy Waters, John Lee Hooker und T-Bone Walker enorme Popularität, auch weiße Musiker wie Johnny Winter, Eric Clapton, Eric Burdon, Rory Gallagher und viele andere entdeckten den Blues, verbanden ihn mit Rock und brachten ihn in die Charts. Aber wie war das in Deutschland? Welche Rolle spielt/e der Blues hierzulande, welche MusikerInnen „haben“ den Blues? Michael Rauhut, Professor für Populäre Musik und Reinhard Lorenz, Gründer des Eisenacher Jazzarchivs, sind diesen Fragen nachgegangen. In ihrem über 400 Seiten starken Buch „Ich hab den Blues schon etwas länger“ kommen Musiker, Konzertveranstalter, Promoter, Journalisten und Buchautoren zu Wort, für die der Blues mehr ist als „nur“ Musik. Carl-Ludwig Reichert erzählt unter der Überschrift „Ned ois is Bluus“ die „sehr kurze und unausgewogene Geschichte des Blues in Bayern“, Herausgeber Rauhut beschäftigt sich mit Blues-Diskursen in West- und Ostdeutschland. TV-Star Götz Alsmann hat ein Gedicht beigesteuert („Der Blues“), Harald Justin berichtet von Louisiana Red-Konzerten in Deutschland, Peter Maffay beschreibt seine gemeinsamen Auftritte mit Blueslegende John Mayall. Erfreulicherweise haben auch einige Blues-Damen ihren Platz im Buch bekommen: Inga Rumpf und Joy Fleming erfahren längst fällige Würdigungen. Die relative Kürze der einzelnen Texte und die sinnvolle Kapitelaufteilung erlaubt häppchenweises Lesen und macht „Ich hab den Blues schon etwas länger“ zu einem unverzichtbaren Reader und Nachschlagewerk. Mit Geleitwort von Wim Wenders, dessen Filme ohne Ry Cooders Musik nur halb so gut wären.

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  Ulrich Michels: dtv-Atlas Musik
Ulrich Michels:
dtv-Atlas Musik

Deutscher Taschenbuch Verlag
Geb., 573 S.,€ 24,95


Ulrich Michels: dtv-Atlas Musik

Es gibt Dinge bzw. Bücher, die gehören einfach in jeden Haushalt: zum Beispiel der dtv-Atlas Musik, der kürzlich in neuer und aktualisierter Auflage erschien. Verwendungsmöglichkeiten gibt es unzählige, so fabulierte kürzlich Geigen-Beau David Garrett im Fernsehen über antike Violinen, deren Namen mir so fremd waren wie polynesische Inseln. Ein Blick in den bereitliegenden Atlas offenbarte, dass der U-30-Musikant Garrett durchaus weiß, wovon er spricht – und ich jetzt auch. Der dtv-Atlas verströmt durch den lexikalischen Aufbau zwar den Charme eines Schulbuchs, doch kann niemand, der sich auch nur ein bißchen für Musik interessiert, wirklich auf dieses Werk verzichten. Der systematische Teil beinhaltet eine umfassende Instrumentenkunde, Akustik- und Musiklehre und einen Überblick über musikalische Gattungen und Formen. Im historischen Teil geht es mit Siebenmeilenstiefeln von der Frühgeschichte über das Mittelalter, Renaissance, bis zu Barock und Klassik – man mag es dem über siebzigjährigen Autor und Herausgeber Prof. Dr. Ulrich Michels verzeihen, dass das 20. und 21. Jahrhundert mit seinen neumodischen Ausformungen wie „Jazz“, „Rock“, „Pop“ oder gar „Disco“ ein wenig zu kurz kommen, dafür erfährt man eine Menge über die Italienische Oper und Mensuralnotationen im frühen Mittelalter. Selbstverständlich erfährt man auch endlich, wie man Begriffe wie raffrenando, ponticello, piano oder fortefortissimo richtig einsetzt, was eine Knickhalslaute von einer Fiedel unterscheidet und wie Richard Wagners chromatische Harmonik aufgebaut ist. Und ja, auch für moderne Musik ist der Atlas wichtig, denn auch heute gilt: Musik enthält zwei Elemente, das akustische Material und die geistige Idee (Zitat Michels).

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