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8. August 2008
Christina Mohr
für satt.org

Arne Zank: Love and Hate from A to Z

Interview mit Arne Zank zu
"Love and Hate from A to Z"

Pünktlich zur Eröffnung der olympischen Spiele in Peking erscheint Arne Zanks Soloalbum „Love and Hate from A to Z“, doch Zanks Musik klingt kein bißchen nach Wettkampf und verbissener Rekordjagd, sondern harmonisch und sanftmütig. Der Albumtitel suggeriert, dass es Zank, hauptberuflich Schlagzeuger von Tocotronic, um die großen, essenziellen Themen geht: Liebe, Haß, Leben, Tod. „Ich weiß, daß ich nichts weiß“ deklamiert er in „Ade“, Zanks Philosophie speist sich aus (Selbst-)Zweifel, dem Loslassen von Ballast und einer sehr offenen, ja, spirituellen Sicht der Dinge. Das klingt ein bißchen weird oder gar esoterisch? Bitte, tun Sie sich keinen Zwang an, Esoterik ist gar nicht so schlimm. Hören Sie sich mal das Album an!

Schon vor vierzehn Jahren veröffentlichte Zank eine Soloplatte mit dem vielsagenden Titel „Die Mehrheit will das nicht hören, Arne“, was so tiefstapelnd wie kokett war. Seitdem bastelte Zank immer wieder alleine vor sich hin, legte dann und wann unter dem Pseudonym DJ Shirley Platten auf und brachte 2004 auf L'Age d'Or die 4-Track-EP „Love From A to Z“ heraus, die quasi die Vorbereitung für das „lange“ Album war, das zumindest im Titel der Liebe den Hass zur Seite stellt. Für Arne Zank sind gitarrenbetonter Folk und elektronische Tanzmusik keine Gegenpole, sondern zwei Seiten der gleichen Medaille. Die neun Tracks auf „Love and Hate from A to Z“ changieren zwischen kammermusikalisch-intimen, minimalistischen Skizzen und volumigem House mit technoiden Beats – das alles kann auch in einem einzigen Stück passieren, denn Zank mag weder stilistische noch zeitliche Limitierungen. Dort, wo am Anfang ein verträumtes E-Piano Lullaby-Atmosphäre verbreitet, kann es wenige Minuten später sehr dancefloorig zur Sache gehen. Eine Latin-Gitarre („El rey gravitas“) paßt zur geraden Bassdrum genauso wie eine Folkmelodie zum Discobeat. Wenn Zank singt (das kommt nicht allzu häufig vor), klingt er sehr zurückhaltend, beinah ein wenig schüchtern und man hört an seiner Intonation, dass er seit vielen Jahren Dirk von Lowtzow den Rücken freitrommelt. satt.org sprach mit einem gut gelaunten Arne Zank über die Entstehung von „Love and Hate from A to Z“ und vieles mehr – lest selbst:

satt.org: Die Veröffentlichung von „Love and Hate from A to Z“ hat sich unter anderem wegen des Zusammenbruchs von L'Age d'Or um ganze zwei Jahre verzögert – wie war das für dich?

Arne Zank: Anfangs habe ich mich sogar richtig gefreut, dass nicht alles so eilig ist. Bei Lado hatte es schon lange gekriselt, die Entwicklung war total offen. Man wußte nicht, was passiert. Als dann klar war, dass meine Platte erstmal nicht gemacht wird, dachte ich, „Was soll's, es wird sich schon was ergeben.“ Ich hatte einen Zweckoptimismus entwickelt, der aber bald in Frustration umschlug: in der ganzen Branche herrschte Verunsicherung, bei den Majors sowieso, aber auch bei den kleinen Labels. Das war so traurig, so enttäuschend. Ich habe mich oft gefragt, wo denn der der Mut geblieben ist. Aber auch ohne das Ende von Lado hat es lange genug gedauert, die Platte zu machen. Das hat aber auch sein Gutes! Meine Art, Stücke zu machen, ist ohnehin sehr langsam. So, wie es jetzt gekommen ist, paßt es gut in meinen Plan und mein Leben!

satt.org: Das letzte Jahr war für Tocotronic sehr aufregend und arbeitsreich – wäre in dieser Phase dein Soloalbum vielleicht sogar untergegangen?

AZ: Ja eben, das Timing war genau richtig. Meine Platte wäre uns, also Tocotronic in die Quere gekommen. Aber auch, wenn jetzt alles gut hinhaut, hätte ich „Love and Hate from A to Z“ doch gern schon vor anderthalb Jahren vom Hals gehabt.

satt.org: Das Album klingt aber gar nicht so wie etwas, das man gern vom Hals hätte – sondern ganz entspannt und „gewachsen“...

AZ: Das ist eine sehr schöne Assoziation - aber genau so war es auch beim Machen, alles passierte ohne Druck. Als alles fertig war ging erst das Elend los, haha.... Die reine Schaffenszeit dauerte zwei Jahre – aber so soll es auch sein bei einem Soloprojekt: kein Druck, das wär' ja sonst auch noch schöner!

satt.org: Das Material von „Love and Hate from A to Z“ ist ja schon etwas älter - würdest du heute etwas anders machen oder findest du die Platte ok, so wie sie ist?

AZ: Ich finde sie genau richtig. Haut immer noch genau hin. Ich bin jetzt natürlich schon wieder ganz woanders, wenn ich jetzt etwas ausprobiere und aufnehme, klingt es anders. Das Album hat aber genau so seine Gültigkeit, vielleicht sogar noch viel mehr. Ich höre es mir heute viel lieber an als damals, als ich es gemacht habe. Weil die Produktionsumstände so unklar waren, haben wir keine CD aufgenommen – „Love and Hate from A to Z“ gibt es nur digital und als Vinyl. Alles andere wäre zu aufwändig gewesen - vielleicht wird es irgendwann doch noch eine CD geben. Aber bis auf weiteres gibt es nur diese zwei unpraktischen Formate!

satt.org: „Love and Hate from A to Z“ ist also ein eher zeitloses Album?

AZ: Das ist der schönste Effekt, den man erreichen kann – und wenn der durch Liegenlassen und Wenigtun entsteht, ist das natürlich prima.

satt.org: Nochmal zurück zu Tocotronic und „Kapitulation“: Wie sind Eure Erfahrungen mit einem Majorlabel? Hier in Frankfurt war die ganze Stadt voll mit „Kapitulation“-Plakaten, sowas hätte ich bei einer Band wie Tocotronic nicht erwartet...

AZ: Wir sind sehr zufrieden, wie es gelaufen ist. Wir hatten vorher mit vielen Firmen verhandelt, bei Vertigo/Universal hatten wir von Anfang an ein gutes Gefühl. Und wenn die ganze Stadt plakatiert war, freut uns das natürlich! Die Zusammenarbeit war prima – und für uns war es ja kein ganz neuer Schritt, wir waren mit den ersten Toco-Platten auch schon bei einem Majorlabel. Wir kannten also den Umgang und waren damit sehr glücklich.

satt.org: Ist dein Soloprojekt der Kontrast zu Tocotronic, den du brauchst? Suchst du nach mehr Intimität oder Nähe zum Fan?

AZ: Na ja, ich wäre nicht unerfreut, wenn auch zu meinen Konzerten tausende Fans kämen! Ich habe aber noch gar keine Solokonzerte geplant. Es ist in der Tat schön, wenn man auch mal mit anderen Leuten und in übersichtlicheren Kreisen zusammenarbeiten kann. Aber der Grund für mein Soloprojekt ist ganz sicher nicht, „näher am Fan“ zu sein, das kann man ja immer machen. Das geht auch bei Tocotronic, trotz der „Distanzgröße“, die sich in den letzten Jahren einfach so ergeben hat. Aber wenn man Bedürfnis hat, mit Leuten zu reden, geht das schon. Für mich war es wichtig, in anderen Zusammenhängen zu arbeiten - außerdem bin ich mal der Chef, was ja auch ganz angenehm ist. Es ist schon ein großer Unterschied, ob Dinge durch Gruppendynamik oder Einzelentscheidungen entstehen.

satt.org: Der Drummer sitzt naturgemäß immer im Hintergrund und gilt als Rückgrat einer Band – hattest du das Gefühl, du mußt mal zeigen, was noch alles in dir steckt?

AZ: Ich weiß nicht, wieviel „Potenzial“ noch in mir schlummert, Ich bin eher überrascht, wie wenig das doch ist... wie selten kreative Ideen sprudeln, das ist kein unversiegender Quell. Man muß sich schon richtig dahinterklemmen! Im Hintergrund zu sein ist halt die klassische Rolle des Schlagzeugers, man sorgt für die musikalische Stütze. Es ist sehr schön, wenn man das mal variieren kann, das muß man lernen. Ich hatte lange keine Lust dazu, habe aber irgendwann gemerkt, dass ich unbedingt was anderes machen muß – das ist auch gut für die Gesundheit.

satt.org: Hamburger Schule: stört es dich, wenn du und Tocotronic unter diesem Begriff geführt werden? Engt eine solche Klassifizierung ein oder ist es wichtig, solche Begriffe zu etablieren?

AZ: An sich geht's einem auf die Nerven, „einengend“ trifft es gut. Als Musiker reagiert man trotzig auf solche Betitelungen – man will keine Schubladen haben, man will keinen Stempel aufgedrückt bekommen, sondern ergebnisoffen arbeiten. Wir sind aber nicht ganz unschuldig wegen des vermaledeiten Songs* , das schlug irgendwann zurück. Aber deswegen können wir nicht wirklich böse sein: das sind eben Medienmechanismen, die sich verselbständigen, Sätze, die man mal gesagt hat, tauchen in -zig Artikeln immer wieder auf. Dagegen wehren kann man sich nicht wirklich – das sind zuviele Windmühlenflügel. Der Begriff der sogenannten Schule ist halt mal gefallen und wird in den nächsten Jahre auch nicht verschwinden. Was ich schade finde, ist, dass der Begriff mittlerweile völlig sinnentleert ist. Die „Schule“-Zeit der Hamburger Szene war eigentlich schon vorbei, als wir mit Tocotronic anfingen, Musik zu machen. Der Begriff sollte im Idealfall für diese bestimmte Zeit stehen, das hätte wirklich einen Sinn - mittlerweile gibt es diese eine Szene nicht mehr, viele andere, kleinere Szenen sind entstanden. Der Begriff Hamburger Schule ist leer.


* „Wir sind neu in der Hamburger Schule“ auf dem Album „Nach der verlorenen Zeit“, 1995

satt.org: Hans Nieswandt schreibt in seinem Promotext zu „Love and Hate from A to Z“, dass du Lo-Fi und Detroit-Techno zusammendenkst. Hättest du das selber auch so gesagt?

AZ: Wir haben vorher viel geredet, mir fiel es wahnsinnig schwer, zu meiner eigenen Musik etwas zu sagen. Es hat mich sehr gefreut, dass Hans es auf diese zwei Pole runterbricht. Auch wenn viel anderes dabei ist, ich habe während der Aufnahmephase viel Oldschool-House und Techno gehört, aber auch Avantgarde- und Laptop-Folk. Von daher ist Nieswandts Beschreibung sehr schön und treffend, vor allem, wenn einem selber der Kopf nur so schwirrt.

satt.org: Folk und Techno liegen ja stilistisch weit auseinander – die Kombination aus beidem ist quasi ideal...

AZ: Ja! Das finde ich auch! Ideale Musik, das war mein Anspruch! Man läßt sich offen, wo die Musik stattfinden soll – ob im Club oder anderswo. Ich wußte nicht, wohin damit und wollte das auch gar nicht festlegen. Sachen entwickeln sich eben. Es klingt vielleicht kitschig, wenn man behauptet, die Musik sei der Zeit voraus, aber: in den letzten Jahren sind unterschiedlichste Räume für Musik entstanden, die sich immer weiter verändern. Neue Nischen mit seltsamen Schnittmengen entstehen: zwischen Indie, Electronic und Dance gibt es immer wieder neue Verquickungen, das kommt mir sehr entgegen. Dancemusic verändert sich zurzeit auch, da passiert sehr viel. Ich habe das wirklich immer zusammengedacht: filigranen, leisen, akustischen Lo-Fi-Folk und elektronische Musik. Ich verfolge alles gleichzeitig, deshalb zeichnet sich das auch in meiner Musik ab. Ich dachte mir, das muß irgendwie gehen!

satt.org: Die Stücke auf „Love and Hate from A to Z“ sprengen den üblichen Pop-Drei-Minuten-Rahmen, die Tracks sind sechs, sieben, acht Minuten lang. Du läßt dir und den Zuhörern viel Zeit, die Musik breitet sich aus - wie entstehen deine Tracks?

AZ: Ich habe ja genau deswegen mit Elektro angefangen, um das Songschema loszuwerden. Das ist an sich zwar hochinteressant, aber mich interessiert auch, wie man Strukturen auflöst, wie sich Musik ausbreiten kann. Ich wollte einen Ambienteffekt erreichen: dass Musik stillstehen kann und sich doch weiterentwickelt. Als ich mit den Texten zugange war, kam das Interesse am Song zurück: mit Texten kann man Songgeschichten schreiben, die Musik strukturieren. Man hört Musik anders, wenn Text dabei ist.

satt.org: Wann weißt du, welcher Track einen Text braucht?

AZ: Bei einigen Sachen bot es sich einfach an. Ich hätte gern noch mehr Lyrics gemacht, aber das muß man von Anfang an mitdenken. Das habe ich nicht immer gemacht, und wenn das Stück fertig ist, kann ich da nicht mehr ran. Manche Tracks habe ich bewußt offen gelassen, weil ich wußte, dass ich dazu texten wollte – das Texteschreiben war ein regelrechtes Ringen, das war überhaupt nicht einfach. Ich habe gedacht, dass es leichter flutscht, aber ich habe dabei auch gelernt: Es gibt für alles Strukturen und Sprache ist zum Strukturieren manchmal wirklich hilfreich.

satt.org: Im Text von „Akteure und Actricen“ heißt es: „Zum Glück werden wir gar nichts behalten“ – drückt das deine Sehnsucht nach materieller Einfachheit aus?

AZ: Der Text war ursprünglich noch viel esoterischer und populär-buddhistischer – das darf man auch sehr gerne raushören!

satt.org: Du hast also keine Scheu vor Esoterik?

AZ: Nein, gar nicht – im Gegenteil finde ich Esoterik oder buddhistische Ideen sehr inspirierend. Ich wollte textlich eigentlich noch viel mehr darauf eingehen, aber es gab keine konkreten Ergebnisse, mit denen ich zufrieden war. Aber ich finde tatsächlich: dass es schön ist, Sachen und Ereignisse zu vergessen, nicht zu „behalten“.

satt.org: Also die Gnade des Vergessens?

AZ: Ja, genau.

satt.org: Ist das ein Spinett am Anfang von „I don't want to go home tonight“? Der Song erinnert mich an ein bisschen an „Golden Brown“ von den Stranglers...

AZ: Nein, das ist ein E-Piano, das taucht auf der Platte öfter auf. E-Piano ist einer meiner Lieblingssounds. Bei den Stranglers war es, glaube ich, wirklich ein Spinett. Ich mag gezupfte Instrumente wie Spinett, Banjo, Zither sehr gerne – das klingt nach Kammermusik.

satt.org: In einem anderen Stück singst du , „What have they done to my song“ – bezieht sich das auf das Lied der Sängerin Melanie? Das ist eins der ersten Lieder, an die ich mich überhaupt erinnern kann – meine Eltern haben das oft gehört. Oder die deutsche Version von Daliah Lavi, „Wer hat mein Lied so zerstört?“

AZ: Genau, ich habe bei diesem Lied auch solche Kindheitsassoziationen. Ich habe das wahnsinnig gern gehört: Melanie war eine tolle Frau mit einer schönen Stimme und hat super Musik gemacht. Die Zeile „what have they done to my song“ ist mir mein ganzes Leben lang immer wieder im Kopf rumgegangen. Ich mußte sie irgendwann singen, weil sie so wunderschön ist.

satt.org: Hans Nieswandt schreibt „ein Punk wie Zank“ – weil es sich so schön reimt, oder gibt es den Punk in dir?

AZ: Ich glaube schon, dass ich aus dieser Zeit viel mitgenommen habe, als ich versucht habe, Punk zu sein. Ich bin durch diese Bewegung, oder besser, Mode sozialisiert worden und habe mich auch zugehörig gefühlt. Wir fanden die Punk-Mode sehr schön und haben uns da richtig hineingesteigert – sowas prägt fürs ganze Leben, aber das läßt sich genauso auch aus HipHop rausziehen. Später mißt man vieles daran, was man als Kind oder Jugendlicher in sich aufgesogen hat. Ich finde gerade, wenn es um Musik geht, dass Leute, die keinen Punk gehört haben, eine ganz andere Herangehensweise haben. Das haut natürlich nicht immer hundertprozentig hin, aber im Großen und Ganzen würde ich das so sehen. Mir hat Punk viel gegeben – in Bezug auf Musik, Mode, Lebenseinstellung – man hat sich eben ausprobiert. Meinen Zugang zu Kunst hat Punk ganz sicher auch beeinflußt: Vieles kann man nicht mehr machen. Man kriegt ein ungutes Gefühl, wenn man sich stundenlang an einem Instrument abarbeitet und versucht, ein Virtuosentum zu erreichen. Und denkt sich dann: das kann doch nicht sein, dass ich mich so lange mit Üben aufhalte.

satt.org: Punk bewahrt dich vor Perfektionismus?

AZ: Ja, Punk hat mein Bewertungssystem verändert. Und wenn sich's dann noch auf meinen Nachnamen reimt, ist es natürlich noch schöner!

satt.org: Was ist mit DJ Shirley? Warum hast du diese Kunstfigur erfunden – aus reiner Lust an Gendertrouble?

AZ: Ich hatte große Lust daran, klar. Der Name klingt schön und seltsam und ich brauchte ein Pseudonym zum Auflegen; ich habe auch eine Maxisingle unter diesem Namen rausgebracht. Der Name ist spitze, das ist aber auch schon das Größte, was ich damit vollbracht habe. Jetzt tritt DJ Shirley nur noch sporadisch in Erscheinung.

satt.org: Wäre es vorstellbar, dass Arne Zank ein Konzert gibt und vorher oder hinterher DJ Shirley auflegt?

AZ: Ja, mal gucken. DJ Shirley hat gerade anderes zu tun, ich weiß gar nicht, was sie macht. Vielleicht hätte sie überhaupt keine Lust, mit Arne Zank aufzutreten.


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