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31. August 2008
Christina Mohr
für satt.org

Pamela des Barres: Im Bett mit den Rockgöttern. Die intimsten Bekenntnisse der Supergroupies

Im Bett mit den Rockgöttern

„Is she an artist?“ fragte mich der Buchhändler am Flughafen New York/Newark, als ich Pamela des Barres' Biografie „I`m With the Band“ erstand. „Well, yes, in a way...“ antwortete ich zögerlich. Die Frage des Verkäufers sollte mich noch länger beschäftigen, denn Pamela des Barres, berühmtestes Groupie aller Zeiten, Geliebte von Mick Jagger und Jimmy Page, war zwar Mitglied der von Frank Zappa protegierten Girlband The GTO's, doch als Künstlerin würde man sie nicht bezeichnen. Als Groupie-Künstlerin geht einzig Cynthia Plaster Caster durch, die Gipsabdrücke erigierter Rockstar-Schwänze in einer ebenso mühseligen wie ausgeklügelten Prozedur herstellte. Aber was ist Pamela des Barres? Fan, Kurtisane, Hetäre? Pamela und viele andere Groupies bevorzugen den Begriff „Muse“, definieren sich über ihre inspirierende Wirkung auf die – männlichen – Musiker. Tatsächlich komponierten viele Stars Songs für und über ihre Geliebten, Eric Clapton schrieb „Layla“ für seine große Liebe Patti Boyd, die zur betreffenden Zeit gerade mit George Harrison zusammen war...

Das Groupietum ist kein neues popkulturelles Phänomen. In den vierziger Jahren fielen Mädchen in Ohnmacht, wenn sich Frank Sinatra in der Öffentlichkeit zeigte, viele von ihnen landeten in seinem Hotelzimmer. Der jung verstorbene Filmstar Rudolfo Valentino sorgte schon Anfang des 20. Jahrhunderts für Massenhysterien, und Pamela des Barres selbst geht zu Definitionszwecken noch weiter zurück: ihr Buch „Rock Bottom“ (1997) widmete sie ihrer „Schwester im Geiste, Maria Magdalena, dem ersten Groupie.“

Angesichts der Debatte um neuen und alten Feminismus liesse sich die Frage des Buchhändlers erweitern: sind Groupies Feministinnen, bzw., können sie es überhaupt sein?. Schnell ist man mit dem Urteil bei der Hand, Groupies unterstützten mit ihrem Tun ein veraltetes Rollenklischee, in dem Männer noch Männer sein dürfen und für Frauen nur die Position als gefügige Dienerin vorsieht.

Pamela des Barres (Mitte) und die legendären GTO's (Girls Together Outrageously),
Copyright Pamela des Barres

Pamela des Barres (Mitte) und die legendären GTO's (Girls Together Outrageously)
Foto © Pamela des Barres

Pamela des Barres' Interviewband „Let' s Spend the Night Together: Backstage Secrets of Rock Muses and Supergroupies“, der bei Heyne Hardcore (sic!) unter dem wenig subtilen deutschen Titel „Im Bett mit den Rockgöttern. Die intimsten Bekenntnisse der Supergroupies“ erscheint, beantwortet Fragen wie diese nicht, sondern wirft jede Menge neue auf. Doch des Barres' Gespräche mit 23 weiblichen und einem männlichen Groupie eröffnen neue Sichtweisen, die (vor)schnelle Urteile revidieren.

Wodurch sich Groupies von willigen Betthäschen unterscheiden, ist rasch geklärt: des Barres’ InterviewpartnerInnen betonen, dass man ohne die Liebe zur Musik kein Groupie sei. Lexa Vonn erklärt den Unterschied zwischen „Starfickern“ und Groupies so: „Starficker wollen für sich selbst absahnen. Ein Groupie will sagen, 'Danke, ich habe deine Botschaft verstanden. Ich liebe sie und bin dir zu Ehren hier.'“ Miss B., die ihren echten Namen verschweigt, konstatiert schlicht, ein Groupie sei jemand, der/die so viel wie möglich mit Musik zu tun haben will. Und die 23-jährige Amanda Milius sagt, „Ich glaube, junge Mädchen empfinden Musik auf eine Weise, wie das sonst niemand tut.“ Die hartgesottene Patti Johnson behauptet selbstbewusst, „Wir sind der Grund, dass die Jungs überhaupt die Gitarren in die Hand nehmen“ und eine junge Dame mit dem sprechenden Namen Pleasant Gehman sagt tapfer, „ein Groupie ist ein Star!“ Das Wort Groupie gefällt im Übrigen kaum einer der Interviewten: nicht nur Bebe Buell (Geliebte von Todd Rundgren und Steve Tyler, Liv Tylers Mutter) wünscht sich, dass der Begriff von seinem schlechten Ruf befreit und wieder positiv besetzt wird.

„Im Bett mit den Rockgöttern“lässt sich auf verschiedene Weisen lesen: man kann sich neugierig dem drastischen Gossip der Ladies widmen und sich darüber amüsieren, wie Elvis Presley von Russ Meyer-Schauspielerin Tura Satana den später für ihn so legendären Hüftschwung lernte oder welche Gegenstände sich Billy Idol am liebsten in den Hintern stecken lässt.

Allerdings offenbaren viele Interviews die tragischen Trugschlüsse und Missverständnisse , denen die Frauen häufig aufsitzen. Viele verplempern ihr Leben und Talent, begnügen sich damit, „sein Mädchen in L.A.“ zu sein und warten, bis ihr Matrose resp. Rockstar mal wieder in die Stadt kommt.

Wieder andere, vor allem die Groupies der ersten Stunde, sind durchaus „Freiheitskämpferinnen der sexuellen Revolution“, wie Frank Zappa sie bezeichnete. Rebellische, freigeistige Frauen wie Pamela des Barres, Catherine James oder Cassandra Peterson verweigerten sich einem vorgezeichneten Leben als brave Hausfrau. Groupies liebten Rockmusik und das Versprechen, das diese Musik gab: nicht das Leben der Eltern führen zu müssen. Rock'n'Roll zeigte den Weg aus der Vororthölle. Dazu kommt, dass der Rock'n'Roll in den Sixties noch jung war und wenig bis keine Modelle für Mädchen bereithielt - ausser dem männlichen Star zu huldigen, bevorzugt mit körperlichem Einsatz.

Zappas Witwe Gail erinnert sich, „Rock'n'Roll war der Altar. Die Männer waren die Götter und die Frauen die Hohepriesterinnen.“ Das mag zu Hochzeiten der Love & Peace-Ära so gewesen sein, als Groupies den Rock'n'Roll-Zirkus backstage am Laufen hielten - doch gilt das heute noch? Sieht jemand wie Kid Rock, der sich von namenlosen Pamela Anderson-Lookalikes den Schwanz lutschen lässt, „Hohepriesterinnen“ in diesen Mädchen? Und ist er es überhaupt wert, ein „Gott“ genannt zu werden? Tina King gibt Pamela des Barres zu Protokoll, dass Kid Rock sie fragte, „Darf ich dir ins Gesicht spritzen?“ Tina antwortete: „Natürlich, du darfst machen, was du willst.“ Spritzt ein Gott einer Hohepriesterin ins Gesicht? Wohl kaum.

Warum ist es für junge Frauen – damals wie heute - so verlockend, im Bett des angebeteten Stars zu landen, der offensichtlich schwerste psychische Defizite aufweist? Warum ziehen Mädchen Selbstbestätigung daraus, vom sogenannten Helden erwählt zu werden? Ist sexuelle Freizügigkeit Zeichen feministischer Selbstbestimmung oder handelt es sich schlicht um „asymmetrische Beziehungen“, in denen nur einer (der Mann/der Star) die Regeln festlegt?

Sind Groupies wie Tina King doch nur kleine Mädchen auf der Suche nach der grossen Liebe? „Rockstars heiraten ihre Groupies“ behauptet eine der Interviewten fast trotzig – und offenbart, was für viele (trotz aller Rebellion gegen eingefahrene Moral) doch das höchste aller Ziele ist: Geheiratet werden, am besten von einem berühmten Mann. Was ist mit den Mädchen, die nicht schön und sexy genug sind? Denen nur das Schmachten und Kreischen bleibt, weil sie nicht hinter die Bühne kommen dürfen?

Und was sagt das alles über die Männer, die Rockstars aus, die wie Robert Plant einst verkündeten, „die ganze erste Reihe flachlegen“ zu wollen? Was ist von Iggy Pop zu halten, dem in des Barres’ Buch eine unheilvolle Neigung zu extrem jungen Mädchen bescheinigt wird?

Und sind Groupies nun Künstlerinnen? Oder Feministinnen?

All diese Fragen bleiben offen und werden höchstwahrscheinlich nie geklärt. Lesenswert ist „Im Bett mit den Rockgöttern“ trotzdem.


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Zehn Fragen an Pamela des Barres

Viele deiner Interviewpartnerinnen bezeichnen dich als ihr Vorbild – was sagst du dazu? Hattest du jemals das Gefühl, dein Leben könnte ein Ideal für andere Frauen sein?

Pamela des Barres: Ich habe einfach mein Leben gelebt – auf möglichst freie, fantasievolle Weise. Ich habe beharrlich meine Ziele verfolgt und bin an den Dingen drangeblieben, die ich wirklich wollte, was mich manchmal in die seltsamsten Situationen brachte. Ich war sehr entschlossen: ich wollte die Menschen kennenlernten, die mich inspirierten. Und ich bin froh darüber, wenn ich auch heute Leute dazu bringen kann, ihre vermeintlich unerfüllbaren Träume wahr werden zu lassen.

Welches Interview war das aufregendste, was du für „Im Bett mit den Rockgöttern“ geführt hast?

PdB: Es war ungeheuer aufregend, mit Tura Satana zu sprechen, weil sie ja tatsächlich mit einem meiner wichtigsten Helden zusammen war: Elvis! Ich liebe die prickelnde Geschichte, wie sie den King verführt und ihm ein oder zwei Dinge zeigt... Wunderbar war auch das Gespräch mit Sweet Connie, einer sehr missverstandenen Rock-Muse. Eine wahre Musikliebhaberin – mit allem, was das bedeutet.

Glaubst du, dass du und deine Freundinnen etwas Revolutionäres taten?

PdB: Klar. Jeder, der etwas als erster tut, besonders wenn es sich um Dinge handelt, die als gefährlich, ungebührlich und böse gelten oder einfach vorher noch nie gemacht wurden, öffnet Türen für andere. Buchstäblich! Ich war ja auch in einer der ersten Girlbands (The GTO's, Anm. cm), die es überhaupt gab und darauf bin ich wirklich stolz.

Macht es dich traurig oder wütend, wenn Leute oder die Medien über Groupies herziehen? Was ist für dich der Unterschied zwischen einer Muse und einer Konkubine?

PdB: Oh ja, natürlich, viele Leute verstehen die Groupie-Mentalität nicht. Man bezeichnet uns als leichte Mädchen, Huren, usw. Dabei geht es für ein echtes Groupie in erster Linie um Musik und Inspiration. Eine Muse inspiriert den Künstler, eine Konkubine ist bezahlte Gesellschaft.

Bezeichnest du dich selbst als Feministin? Bist du von anderen Frauen beschimpft worden, die deinen Lebensstil zweifelhaft finden?

PdB: Ja, ich sehe mich als wahre Feministin, weil ich immer getan habe, was ich wollte – egal, wie schwierig die Umstände waren, egal, was andere über mich dachten. Ich wurde oft von Hardcore-Feministinnen angegriffen, aber das hat mich nie gekümmert. Und heute passiert das kaum noch.

Fast alle Frauen im Buch sagen, dass die Liebe zur Musik ein Groupie erst ausmacht – ohne Fan zu sein, ist man auch kein Groupie...

PdB: Dem stimme ich total zu. Musik „rockt“ unser Leben, gibt ihnen Spass, Glück und Seelenfrieden in einer mehr als komplizierten Welt.

Wenn du dich mit Bebe Buell oder Cynthia Plaster Caster über die siebziger Jahre unterhältst, meint man, es habe damals mehr love & peace und wahre Freundschaften gegeben. Gab es Neid, Wettbewerb oder Hass? Heute scheint das anders zu sein, das könnte man jedenfalls bei der Lektüre der Interviews mit jüngeren Groupies denken...

PdB: Es scheint wirklich so, als hätten sich die Mädchen früher mehr umeinander gekümmert und füreinander interessiert. Ausserdem haben wir damals versucht, uns nicht ausgerechnet den Musiker auszusuchen, den sich unsere Freundin schon ausgespäht hatte. Das passierte manchmal natürlich trotzdem, aber das ist im normalen Leben ja auch nicht anders. In den sechziger und siebziger Jahren herrschte allgemein mehr Hoffnung und Optimismus: wir glaubten, wir wären der Mittelpunkt der Welt, an vorderster Front einer Revolution! Und weisst du was: wir waren genau dort!

Als du deine Groupie-Karriere begonnen hast, bestimmten klassische „Rockgötter“ wie Led Zeppelin und die Rolling Stones die Szene. Sind Rockmusiker heute anders?

PdB: Es gibt heute noch eine Handvoll wirklich grosser Künstler, früher gab es Massen davon! Dylan ist immer noch bedeutend und wichtig, auch The Who, die Kinks, The Doors, Mothers of Invention, die Byrds, die Stones, Led Zep und so weiter – du merkst schon, was ich sagen will: es ist für junge Musiker heutzutage extrem hart, mit etwas wirklich Neuem zu überzeugen! Es gibt ein paar, die ich mag, Jack White und Ryan Adams zum Beispiel finde ich grossartig. Aber vor kurzem war ich bei einem Konzert von Robert Plant, genauer gesagt, gleich bei drei Auftritten und ich wurde behandelt wie eine Rock Royalty. Es war fantastisch! Wie in den „guten alten Zeiten“ sozusagen...

Wenn du nicht als junges Mädchen dem Rock'n'Roll verfallen wärst, was hättest du gemacht?

PdB: Ich war mir immer sicher, irgendwann Schriftstellerin zu werden. Es gefällt mir sehr, dass ich in der Lage bin, mein unglaubliches Leben anderen mitzuteilen, die Leser in eine vergangene Zeit zu führen, die nicht mehr zurückkommen wird: in die pulsierenden Sechziger und Siebziger, als Musik, Liebe und Frieden so viel bedeuteten...

Hast du jemals etwas bereut?

PdB: Ich halte nichts von Reue und Bedauern. Das ist reine Zeitverschwendung.



Pamela des Barres:
Im Bett mit den Rockgöttern.
Die intimsten Bekenntnisse
der Supergroupies

Übersetzt von Conny Lösch
Heyne Hardcore 2008
372 Seiten, Euro 9,95
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