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August 2007
Robert Mießner
für satt.org


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Speak Low
Charlie Haden zum siebzigsten Geburtstag

Charlie Haden
Charlie Haden
Foto: Thomas Dorn

Dieser Ton steht fast unmerklich im Raum, drängt sich nicht auf. Dabei ist er unverkennbar. Er lässt einen Film im Kopf abrollen: das Los Angeles Raymond Chandlers, die Stadt bei Nacht. Den tiefen Süden, seine Musik und seine Kämpfe. Den Aufruhr der späten sechziger Jahre, die Hochzeit von Jazz und Politik. Dieser Ton kann auch immer noch bestimmt und konsequent sein, so ruhig und meditativ er jetzt zumeist klingt. Der Mann, der ihn seit über einem halben Jahrhundert spielt, ist als Vierzehnjähriger an Kinderlähmung erkrankt. Vorbei der Traum von der Sängerlaufbahn, die er früh in der Familienband des Vaters in Shenandoah, Iowa begann. Die Krankheit beschädigt Kehlkopf und Stimmbänder, dem Jugendlichen, der der Musik treu bleiben will, wird der Bass zum Instrument, das ihn durch sein weiteres Leben begleiten wird.

Am Ende der fünfziger Jahre ist Charlie Haden dabei, als das Ornette Coleman-Quartett sich anschickt, den Jazz nach Strich und Faden durchzurütteln. Er spielt auf The Shape Of Jazz To Come, This Is Our Music und dem epochalen Free Jazz: A Collective Improvisation mit. Die Arbeit ist so hektisch und spannungsgeladen, wie diese Musik klingt. Und fordert ihren Tribut. Für Haden heißt das Drogenabhängigkeit, mehrere Therapien und ein langjähriger Rückzug aus der Szene. Als er sie 1966, inzwischen clean, wieder betritt, ist die Saat des frühen Jahrzehnts aufgegangen. New York ist im Free Jazz-Fieber. Es kocht und wütet, stellt Musizier- und Hörkonventionen vom Kopf auf die Füße, produziert schillernde und verwegene Alben. In der selben Stadt begeistert sich Lou Reed für die Alben Colemans und wird deren Energie in Rock umsetzen. Was Haden, damals eher ein Rockskeptiker, noch wenig interessiert haben dürfte. Er gründet ein Trio mit Keith Jarrett, nimmt Liberation Music Orchestra auf und unterstützt 1971 Carla Bley auf ihrem Mammutwerk Escalator Over The Hill. Im selben Jahr entsteht Science Fiction, eine der aberwitzigsten und faszinierendsten Platten Ornette Colemans. Am Bass wieder Haden, der in den siebziger Jahren mit Old And New Dreams die Musik seines Bandleaders weiterpflegt. Haden musiziert mit Jan Garbarek und ist mit dabei, als Coleman sich mit Song X in die Achtziger einschreibt.

Charlie Haden:
Helium Tears


Charlie Haden: Helium Tears
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Hadens Stil, ein auftrumpfender Solist in der Alle mal herhören-Tradition war er noch nie, ist über die Jahre reduzierter, sein Klang stiller geworden. Das hat auch gesundheitliche Gründe. Der Bassist leidet an Tinnitus. Die bewusste Beschränkung führt aber auch dazu, dass ihm um so intensiver zugehört werden muss. Ob das traumhafte Beyond The Missouri Sky, gemeinsam mit Pat Metheny, Steal Away, hymnisch und ländlich mit Hank Jones, das somnambule Night And The City mit Kenny Barron oder eine seiner Aufnahmen mit dem Quartet West den Weg in die Anlage findet, das Zuhören eröffnet Räume und Welten. Charlie Haden, Bassist, mehrfacher Familienvater, politischer Aktivist und Streiter für Tierrechte feiert heute seinen siebzigsten Geburtstag.

Speak Low ist ein Stück aus der Feder Kurt Weills. Zwei Interpretationen Hadens finden sich auf Hal Willners Tributalben Lost In The Stars und September Songs.



» www.charliehadenmusic.com