Anzeige:
Sofie Lichtenstein: Bügeln. Protokolle über geschlechtliche Handlungen




Juli 2007
Marcel Tilger
für satt.org

Herz der Finsternis?

Über »The Misanthrope:
The Existence of … Solitude and Chaos«,
den Film des Darkthrone-Musikers Nocturno Culto


Nocturno Culto's
The Misanthrope:
The Existence of …
Solitude and Chaos

(2 DVDs + Cd)

The Misanthrope: The Existence of … Solitude and Chaos
   » amazon

Um verstehen zu können, weshalb dieser Film in weiten Teilen der Heavy-Metal-Presse große Aufmerksamkeit erfährt, weshalb die Aufregung groß war, als er ihm Rahmen des norwegischen Inferno-Festivals erstmals Journalisten und Fans vorgeführt wurde, muss man wissen, wer Nocturno Culto ist und womit er sich einen Namen gemacht hat. Als Regisseur und Produzent ist der Norweger vor „The Misanthrope: The Existence of … Solitude and Chaos“ nicht in Erscheinung getreten; als Musiker brachte er es mit Darkthrone zu einigem Renommee. Egal, ob man deren künstlerische Sturheit als Beständigkeit oder kreativen Stillstand auslegt: Darkthrone waren dabei, als in den frühen neunziger Jahren in Norwegen eine Musikszene für Furore sorgte, es auf die Titelseiten der Tageszeitungen schaffte. Dass dieses öffentliche Interesse nicht nur aus der extremen Musik resultierte, die im besten Falle versiert inszeniert, rauschhaft gespielt und von hoher atmosphärischer Dichte war, hat den Mythos um Black-Metal-Musik befeuert, ihn vielleicht erst begründet. In Büchern lässt sich heute nachlesen, wie es zu Kirchenbrandstiftungen und Morden gekommen war (etwa „Lords of Chaos: Satanischer Metal. Der blutige Aufstieg aus dem Untergrund“, das jetzt in der achten Auflage beim Index Verlag erschien). Musikalisch zählten Darkthrone zu den Visionären des Black Metal („A Blaze In The Northern Sky“ gilt manchem als die erste Black-Metal-Platte der sogenannten zweiten Welle); für kriminelle Aktionen hatten sie sich zumindest nicht vor Gericht zu verantworten.

Wenn Tyrant Syndicate, ein Musikverlag, den Nocturno Culto gemeinsam mit seinem Darkthrone-Kompagnon Fenriz unter dem Dach der britischen Plattenfirma Peaceville betreibt, jetzt für „The Misanthrope: The Existence of … Solitude and Chaos“ mit dem Versprechen wirbt, dieser Film führe uns, um mit Joseph Conrad zu sprechen, ins Herz der Finsternis, ins Herz der norwegischen Black-Metal-Bewegung („It [der Film] will however be indispensable for all followers of Darkthrone and the Norwegian Black Metal scene.“), dann soll Kapital aus dem Mythos um eine Bewegungen geschlagen werden, mit der Nocturno Cultos Film sich nur insofern beschäftigt, dass einige ihrer Protagonisten hier auftreten.

Nocturno Culto ist bei seinem Film – selber beschreibt er ihn als eine Mischung aus Dokumentation und Fiktion – klug genug vorgegangen, um sowohl glühenden Black-Metal-Verehrern wie kritischen und sich selbst als progressiv annoncierenden Geistern genügend Anreize für den Kauf seines Produktes zu bieten. Den Einen gibt er Darkthrone-Videos und -Proberaumaufnahmen, düstere, verwackelte und in ihrer Ästhetik an eine eher einfältige „Blair Witch Project“-Kopie gemahnende, mit dräuenden Klangteppichen unterlegte Bilder, in denen sich einige anerkannte Black-Metal-Bands (Enslaved, Aura Noir, Darkthrone, Svartahrid) die Klinke in die Hand geben. Diejenigen dagegen, die dieser Musik entwachsen zu sein glauben, mit einem distanzierten, mitunter despektierlichen Blick die Szene und deren Urväter der eigenen Herkunft wegen aber noch immer streifen und mustern, bekommen Material geboten, dass ihnen das Wort von der Demaskierung und Karikierung des Black Metal förmlich in den Mund legt. Beide Gruppen sitzen damit einem veritablen Irrtum auf.

Was aber ist „The Misanthrope: The Existence of … Solitude and Chaos“ überhaupt? Im Legacy Magazin gab Nocturno Culto erst kürzlich freimütig zu, sein Film enthalte keinerlei Informationen von Wert, und disqualifizierte ihn somit als Reportage oder Dokumentation. Das wäre nicht weiter tragisch, gäbe es eine Erzählstruktur, eine ästhetische Brisanz der Bilder, die diesen Film tragen könnten. Stattdessen sehen wir Handkamera-Aufnahme, die zeigen, wie Musiker, erstens, Halma spielen, wie sie sich, zweitens, Becken für ihr Schlagzeug kaufen, wie sie, drittens, übers Eisangeln faseln und wie sie sich, viertens, über den Rauch freuen, der aufsteigt, wenn man in die noch glühende Asche eines Feuers pinkelt. Dass all das in der von Nocturno Culto gern beschworenen Waldeinsamkeit vonstatten geht, bedient ein hinlänglich bekannte Black-Metal-Ikonographie, ist für den Film aber ansonsten kein nennenswerten ästhetischer Gewinn. Unterbrochen und umrahmt werden diese zu einer Collage montierten Sequenzen von Besuchen bei einem, zugegeben, sympathisch-kauzigen Einsiedler, der Edda-Charaktere malt und allerlei Weises über das Leben fernab der Zivilisation weiß. Zwischendrin dann immer wieder die Protagonisten Darkthrone: Ski fahrend und Sarg ziehend.

Wer all das demaskierend findet, ist der Pubertät vermutlich noch nicht lange entwachsen und glaubt, dass Musiker, die Black Metal spielen, die Extreme, die diese Musik künstlerisch verhandelt, auch gezwungenermaßen leben müssten. Die Konsequenzen, die eine solche Lebensweise zur Folge hätte, lassen sich eindrucksvoll an einigen von Peter Bestes kunstvollen Fotografien ablesen: Dort sehen wir, wenn Musiker sich in Bühnen-Montur in die Fußgängerzone wagen, den grellen Kontrast von Black-Metal-Inszenierung und Leben, das Absurde, Freak- und Posenhaften, das sich für länger als einen Interviewmarathon oder ein Konzert nicht aufrecht erhalten ließe.

Auch zu einer Karikatur des Black Metal reicht es hier nicht. Die ebenfalls norwegische Black-Metal-Band Satyricon hat die Kunst der Überzeichnung in ihrer Tour-Dokumentation „Roadkill Extravaganza“ vor einigen Jahren perfektioniert und bis ins Detail durchexerziert, indem sie sich wechselweise absolut credible, arrogant, proletenhaft und unnahbar gerierte und diese Verhaltensweisen anderseits der Lächerlichkeit preisgab. Und dann sind da noch Ulver, die nach ihrer Sturm-und-Drang-Phase im Black-Metal-Untergrund aufbrachen, um mit TripHop und HipHop, Ambient und Electronica, Stille und Kakophonie zu experimentieren, die mittlerweile Soundtracks komponieren und Gelder vom norwegischen Kultusministerium erhielten, um ihre ambitionierten Pläne auf dem atemberaubenden „Perdition City“-Album realisieren zu können. Haben sie nicht den alberne Züge annehmende Faible so mancher Black-Metal-Band, sich selbst für die Beiträge, die man ohne nennenswerte qualitativen Abstriche genauso gut selber hätte einspielen können, prominente Gastmusiker einzuladen, auf ihrem William Blake-Album – einer Komplett-Vertonung der „Marriage of Heaven and Hell“ – wunderbar parodiert? Es ist bezeichnenderweise der zwischen verschrobener Rockmusik und TripHop oszillierende ,Song of Liberty’, in dem sie ein illusteres Trio von Black-Metal-Musiker Blakes Verse rezitieren lassen und sich, der Titel verheißt es ja, für alle Zeit von diesem Genre befreien.

Nocturno Culto würde das, seine Wut, selbst in einem Film wie diesem noch um Black Metal zu kreisen bezeugt es, niemals glücken – egal, wie oft er noch beteuern mag, nichts mehr mit diesem – Zitat – „Theater“ zu tun haben zu wollen. Und vielleicht ist das ja eine Erkenntnis, um derentwillen es sich lohnt, diesen Film gesehen zu haben.



» www.darkthrone.no