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April 2007
Robert Mießner
für satt.org

Die Liebe zu
Schwarz und Orange


Ashley Kahn: Impulse!
Das Label, das Coltrane erschuf

“Das waren Zeiten, als noch Riesen auf der Erde herumliefen,
und ich war froh, mitten unter ihnen zu sein,
ohne dass sie mir auf die Füße traten oder andere Gliedmaßen.”

Benny Carter

Wer hört eigentlich noch Jazz? Das coole Image, das ihm einmal zu eigen war (und das dem Jazz nicht immer nur geholfen hat), es haftet heute Hip Hop an. Oder der weichgespülten Variante von 1979, die mit Post Punk außer dem Namen nichts mehr gemeinsam hat. Jazz, das sagen sich die Trendgläubigen, hören die Snobs und Sonderlinge. Tun sie auch, Freiheit ist schließlich in erster Linie die Freiheit des anders Konsumierenden. Dabei gab es ein Jahrzehnt, da war Jazz, die Musik aus Rhythmus und Geräusch, buchstäblich am Puls der Zeit. Klang aufrührerisch und nachdenklich, war ein Aufschrei, ein Versprechen. Und bewohnte ein stolzes Haus.


Ashley Kahn: Impulse!
Das Label, das Coltrane erschuf

Rogner & Bernhard 2007

Ashley Kahn: Impulse! Das Label, das Coltrane erschuf

Übersetzt von Michael Hein
398 S., geb., € 24,90
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Impulse sein Name, seine Farben so unverwechselbar wie unübersehbar: Strikt in Schwarz und Orange gehalten, so kamen die Klangmanifeste des Labels in den Sechzigern in die Plattenläden. Etwas teurer als der Rest, dabei exklusiv gestaltet und fotografiert. Bald in aufwändigen Klappcovern und mit dem Slogan, der da verkündete: “The New Wave Of Jazz Is On Impulse!” Jazzfans, wie alle Sammler zutiefst triebgesteuerte Wesen, brechen normalerweise bereits die Vernunftschranken, sobald sie nur Namen wie Blue Note, ESP, Bethlehem, Prestige oder Riverside hören. Ist von Impulse Records die Rede, dann ist alles vorbei. Augen leuchten und Konten werden geplündert. Für John Coltrane, den Magier und spirituellen Sucher, und seine Frau Alice, die bis zu ihrem Tod Anfang dieses Jahres die Arbeit fortführen sollte. Für Albert Ayler, der bei einer Aufnahmesession schon mal das Saxofon mit dem Dudelsack vertauschte. Das Band ließ der Produzent dann rückwärts laufen, absichtlich. Für Charlie Hadens Liberation Music Orchestra, dem Keine Macht für Niemand des Jazz.

Bevor jetzt schon beim Lesen die Ohren schmerzen: Impulse betrieb keineswegs nur akustische Kraftmeierei. Charles Mingus, ein Vulkan von Mensch, der eine Gehaltsforderung mit einem Messer an der Stuhllehne seines Produzenten befestigte, nahm für das Label Mingus Plays Piano auf, ein Album der Einkehr und Besinnung. John Coltrane, der komplizierte Gigant, traf bei Impulse auf Johnny Hartman. Der Begegnung entsprang eine der zugänglichsten Aufnahmen des Jazz. Dass Avantgarde, und um solche handelte es sich zu großen Teilen bei den Produktionen, leicht ins Unverbindliche, Elitäre abdriftet, war den Beteiligten durchaus bewusst. Und so fanden sich unter dem Impulse-Dach ebenso Duke Ellington und Count Basie wieder, die auf eigens anberaumten Sessions Tradition und Moderne nicht etwa miteinander versöhnten, sondern schöpferisch aufeinanderprallen ließen.

Zeiten für Riesen, in der Tat. Von ihnen berichtet Ashley Kahn, Autor von Kind of Blue. Die Entstehung eines Meisterwerks und A Love Supreme. John Coltranes legendäres Album, jetzt in Impulse! Das Label, das Coltrane erschuf. Dank Rogner & Bernhard, übersetzt von Michael Hein. Ein Buch, reich an Anekdoten, Verweisen und in Archiven gefundenen Fotos, Anzeigen und Zeitungsausschnitten. Denen, die die darin vorgestellten Platten kennen, verrät es Unbekanntes über ihre Schätze. Wer Anregungen zum Sammeln sucht, wird mit einer umfangreichen Diskografie und detaillierten Einzelkritiken versorgt. Völlig zu Recht nimmt die symbiotische Beziehung zwischen John Coltrane und “seinem” Label breiten Raum ein. Dennoch werden ökonomische Aspekte, der Dauerclinch zwischen Kunst und Kommerz, nicht ausgespart. Den roten Faden bilden dabei die Geschichten der Produzenten, denen Impulse seinen legendären Ruf verdankt: Creed Taylor, Namensgeber und Urheber der Corporate Identity, um einen Begriff aus der Welt der Lofts zu verwenden. Bob Thiele, der das Produzentenhandwerk im Schaffen von Atmosphäre und Gewähren von Freiheit verstand. Ed Michel, mit dem Impulse psychedelisch wurde. Steve Backer und Esmond Edwards, die das Haus in Zeiten zunehmend knapper Kassen führten. Allesamt Mentoren ihrer Künstler. Kahn, der das Musikbusiness von innen kennt, erweckt sie zum Leben, die Helden und die Strauchelnden, die Mutigen und die Spinner. Deren Platten immer noch so radikal wie subtil klingen. Wer guckt eigentlich noch MTV?