Anzeige:
Sofie Lichtenstein: Bügeln. Protokolle über geschlechtliche Handlungen




März 2007
Christina Mohr
für satt.org

Short Cuts-Logo
Short Cuts März 07, erste Hälfte


Alles neu macht der März – oder wie heisst das Sprichwort doch gleich? Für satt.org/Musik heisst das jedenfalls, dass die bisherige Form der Short Cuts ausgedient hat. Ab jetzt werden wir alle zwei Wochen ausgewählte Neuveröffentlichungen in einem Artikel wie diesem vorstellen, die kurze und knappe Form der Rezensionen bleibt gleich. Die nun frei gewordene Short-Cut-Leiste heisst jetzt Sound and Vision“ und wird besonders empfehlenswerte Musik-DVDs präsentieren. Ach ja, auch künftig werden von satt.org keinerlei Sternchen, Punkte oder Herzchen zwecks Bewertung verteilt. Muss schon jeder für sich selbst entscheiden, ob eine Platte hörens- und kaufenswert ist!

Die erste neue Short-Cuts-Staffel stellt Platten vor, die alle miteinander das angeblich so enttäuschende Popjahr 2006 vergessen machen: Arcade Fire, Mika und !!! legen so grossartige Alben vor, dass man schon jetzt völlig zufrieden sein kann mit diesem Jahr!

Cover

Fujiya & Miyagi, Transparent Things
(Grönland)

Vielleicht ist Herbert Grönemeyer doch der Messias: die unisono-abfeiernde Rezeption seiner neuen Platte legt dies nahe. Mit seinem Grönland-Label tut der olle Herbie aber wirklich viel Gutes: Der Release von „Transparent Things“ der aus Brighton stammenden Elektroniker Fujiya & Miyagi (Fujiya ist der Name eines Plattenspielers, Miyagi heisst eine Figur aus Karate Kid) verortet Grönland in Dancegefilden. Auf dem nur 35 Minuten langen Album befinden sich die letzten 10-Inch-Singles von F&M, die Krautrockbands wie Neu! und Kraftwerk zu ihren Vorbildern zählen. Das Album heisst zwar wie Buch von Nabokov, ist aber wesentlich zugänglicher: die warme, tanzbare, eklektizistische Mixtur schraubt sich ganz smooth ins Gehirn und geht dort nicht mehr weg. Dem Himmel sei Dank.


» www.fujiya-miyagi.co.uk
» www.myspace.com/fujiyaandmiyagi



Cover

Arcade Fire, Neon Bible
(CitySlang)

Das zweite Album von Arcade Fire aus Montreal kann man mit den Worten beschreiben, die kürzlich ein namhafter Dirigent für „Mozarts Zauberflöte“ fand: „ …Wer wenig Ahnung von Musik hat, kann die perfekte Oberfläche des Werks geniessen. Bringt man mehr Wissen mit, wird man von dieser Musik ständig überrascht und aufs Neue herausgefordert.“

„Neon Bible“ wurde in einer Kirche aufgenommen, der Klang von Orgeln, Waldhörnern, Kontrabass und Akkordeon verleiht den Songs eine dionysisch-paradiesische Aura. Selbst wenn Arcade Fire Rock'n'Roll spielen, klingt er wie aus einer anderen Welt: Songs wie „Keep the Car Running“ steigern sich in euphorisierende Höhen, mit dem ergreifenden „My Body Is A Cage“ endet ein Album, für das der Begriff „Pop“ zu klein und zu profan scheint.


» www.arcadefire.com



Cover

Bryan Ferry, Dylanesque
(Virgin/EMI)

Der Gottvater britischen Dandytums widmet sein neues Album einer weniger eleganten, aber noch grösseren Ikone: Bryan Ferry sings Bob Dylan. Was zunächst irgendwie unnötig und überflüssig klingt, entwickelt nach wenigen Sekunden des Openers „Just Like Tom Thumb's Blues“ unwiderstehlichen Reiz. Die seidenmatte, malerisch brüchige Stimme des 61jährigen Ferry passt – oh Wunder! - ganz hervorragend zu den spartanischen Blues-Kompositionen des 65jährigen Dylan, Ferrys Begleitmusiker rocken zum Teil ziemlich los, schöner ist es, wenn sie sich im Hintergrund halten. Ob Balladen wie „Make You Feel My Love“ oder Klassiker wie „All Along the Watchtower“ und „The Times They Are A-Changin“ - in der Kombination wirkt das Konzept weder altertümlich noch abgestanden, sondern elegant und stilvoll. Kann man prima zu Ostern an die Eltern verschenken oder besser selbst behalten.


Cover

Klaxons, Myths of the Near Future
(Universal)

Klaxons sind drei junge Typen aus England, die für ihren Eighties-Revival-Klamottenstil bekannt sind und als erste Vertreter des „Nu-Rave“ gelten. Wer sich unter „Nu-Rave“ wenig vorstellen kann und von the first wave of rave nur noch knallgelbe Smilies, Trillerpfeifen und Aciiiiieeed!-Rufe in Erinnerung hat, kann sich mit der Klaxons-Platte eine Ahnung davon verschaffen, was derzeit in britannischen Clubs passiert. Klaxons pusten zwar nicht in Trillerpfeifen und überhaupt sind sie eher eine Gitarren- als eine Danceband, aber „Myths of the Near Future“ bläst einem derart das Gehirn durch, dass ausser entfesseltem Tanzen nicht mehr viel möglich ist. Tracks wie „Magick“ (eine Art Hymne auf Aleister Crowley) oder „Gravity's Rainbow“ sind überdrehte, hochfrequente Burner, die den Schrei nach „Aciieed!“ völlig adäquat erscheinen lassen.


» www.klaxons.net
» www.myspace.com/klaxons



Cover

!!!, Myth Takes
(Warp/Rough Trade)

Als Charlotte Roche vor einigen Jahren im TV die letzte Platte von !!! vorstellte, war sie so abgenervt vom unaussprechlichen Namen der Band, dass sie live und in Farbe empfahl, die Band doch “Kack Kack Kack” oder “Fuck Fuck Fuck” zu nennen. !!! selbst stellen den Fans frei, wie sie ausgesprochen werden können (Pow Pow Pow etwa oder Bam Bam Bam, hauptsache dreimal denselben Laut) und lassen ihre Musik sprechen. Und die ist unglaublich: zwingender, treibender Funk, U-Bahntiefe Bässe, Disco, House und über allem schwebt der Geist des Punk. Very New York, was die Band mit “Myth Takes” abliefert, die Single “Must be the Moon” ist schon jetzt einer der Hits des Jahres 07.


Cover

Mika, Life in Cartoon Motion
(Universal)

Der 23jährige Mika ist ein wunderschöner halblibanesischer Prinz, der zumindest für dieses Frühjahr den Pop gerettet hat. Er ist gifted and blessed und verströmt mit „Life in Cartoon Motion“ sein Talent in die Welt. Wie Rufus Wainwright und die Scissor Sisters liebt er Glam, Camp und die grossen Gefühle, seine Stimme ist hoch und exaltiert und wird die Massen polarisieren. Mika verbindet Disco nonchalant mit Songwriting à la Randy Newman und mal ehrlich, das hätte es ja früher nicht gegeben! Tanzmusik mit intelligenten Texten, also wirklich! Einzelne Songs des Albums hervorzuheben wäre unfair, aber Moment, vielleicht „Love Today“, oder „Big Girl (You Are Beautiful)“, oder die Ballade von „Billy Brown“, oder …


» www.mikasounds.com
» www.myspace.com/mikamyspace