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August 2006
Christina Mohr
und Petra Zimlich

für satt.org

Drei Frauen:
Amy Millan,
Joan as Policewoman,
Sol Seppy

Damit wir uns nicht falsch verstehen: satt.org findet natürlich nicht, dass für musizierende Frauen besondere „Räume geschaffen“ werden müssen, oder dass wir es mit einer besonders förderungsbedürftigen, weil überhaupt irgendwie bedürftigen Minderheit (= Randgruppe Frauen) zu hätten. Im Gegenteil liegt es auf der Hand, dass dieser Sommer eine Menge wunderbarer Platten femininer UrheberInnenschaft hervorgebracht hat, angefangen mit Niobes „White Hats“ (Tomlab) über Justine Electras überzeugendes Debütalbum „Soft Rock“ (City Slang) bis zu Peaches' deftig-knalliger Aufforderung „Impeach My Bush“ (Beggars).

Drei Alben ganz unterschiedlicher Künstlerinnen (die zum Teil doch einiges gemeinsam haben) sollen hier vorgestellt werden - und die Jungs dürfen mal ruhig sein und zuhören.

Amy Millan:
Honey From the Tombs
(Arts & Crafts/Rough Trade)
www.arts-crafts.ca/amymillan/

Cover

Musik aus Kanada? Richtig: Da muss natürlich unausweichlich Broken Social Scene involviert sein. Aktuell hat gerade Amy Millan, Mitglied des Kollektivs und außerdem Sängerin bei den Stars, ihr Solodebüt veröffentlicht: Honey From The Tombs. Man ist überrascht. Zeigt sich Millan auf diesem Album doch sehr traditionell und liefert amerikanischen Folk durchzogen mit Einflüssen aus Americana, Country und Bluegrass. Immer wieder klingen auch die folkigen 60er Jahre durch. Die Songs erzählen Geschichten von verlorener Liebe und Schmerz. Das Songwriting überzeugt, die Atmosphäre ist eine durch und durch entspannte. Man spürt, wie Amy Millans übervolles Herz in jedem einzelnen Song steckt. Dass Amy eine außergewöhnlich gute Stimme hat, konnte sie bereits bei den Stars und Broken Social Scene unter Beweis stellen, trotzdem muss erwähnt werden, dass ihre Stimme auch im neuen Genre die Songs voll und ganz trägt. Das ist nicht selbstverständlich. In den guten Momenten überzeugt das Album durch seine Einfachheit. Millans Credo „Vollständige Ehrlichkeit ohne Ego“ wird wunderbar umgesetzt. Die Betonung liegt dabei auf den Melodien. Wer nun aber etwas Neues erwartet, wird enttäuscht. Akustikgitarre, Banjo, Mandoline, die ausgezeichnete, angenehm milchige Stimme Millans: Das Ganze ist handwerklich wirklich hervorragend, aber alles andere als innovativ. Und leider ist die Platte nicht durchgängig gleich gut. Die rockiger angelegten Stücke passen einfach nicht zu den überzeugenden ruhigeren. Man fragt sich, welche Idee wohl hinter dieser Mischung stehen könnte. Keine durchdachte jedenfalls, eine stringentere Linie hätte dem Album gut getan. So fehlt die Geschlossenheit - nichtsdestotrotz ist mit diesem Debüt Millans Songwritertalent sicht- und hörbar geworden und daher warten wir gespannt auf die Fortsetzung.

Joan As Policewoman:
Real Life
(PIAS/Rough Trade)
www.joanaspolicewoman.com

Beauty is the new Punkrock

Cover

Die Dambuilders aus Boston gehörten in den frühen neunziger Jahren zu den Bands, die eine bessere Indie-Postpunkwelt versprachen. Ihre Platten waren melodiös und energiegeladen, die Auftritte gerieten zu ausgelassenen Sessions; besonders angenehm fiel die von einer gewissen Joan Wasser gespielte Violine auf, die jeden Song auf unverwechselbare Weise bereicherte – sehr präsent, punkig, ohne brutal zu sein. Bevor Joan auf die Dambuilders traf, war sie Mitglied des Boston University Symphony Orchestra, genoß also eine klassische Ausbildung, seit damals verehrt sie Schostakowitsch, Mahler, Wagner. Doch Joans Einflüsse sind nicht ausschließlich klassischer Natur, sie liebt The Smiths, X, The Minutemen, Siouxsie and the Banshees. Ein Club namens „The Anthrax“ verändert ihr Leben: dort erlebt sie Sonic Youth, Black Flag und die Bad Brains.

Nachdem sich die Dambuilders 1997 auflösten, streckte Joan ihre Fühler nach vielen Seiten aus, spielte in verschiedenen Bands, kooperierte mit Musikern wie Tanya Donnelly und Lou Reed und knüpfte so die ersten Maschen ihres Community-Netzes. 1997 starb aber auch ihr Boyfriend Jeff Buckley, er ertrank in einem See in Memphis, Tennessee. Konfrontiert mit Tod und Verzweiflung gab Joan die Musik nicht auf, im Gegenteil, sie bekämpfte ihre Dämonen. Und spielte weiter. 2002 gründete sie mit der Bassistin Rainy Orteca und Schlagzeuger Ben Perowsky das Projekt Joan as Policewoman – dieser Name blieb an Joan hängen, als ein Freund sie bat, sie möge für ihn Angie Dickinsons Rolle aus „Police Woman“ nachspielen, einer erfolgreichen US-Fernsehserie aus den siebziger Jahren. Joan as Policewomans Debütalbum von 2002 sorgte für Überraschung und Begeisterung, kam jedoch über einen Achtungserfolg (wie man so schön sagt), nicht hinaus. Joans Faible für Kooperationen und Kollaborationen bringt sie in den folgenden Jahren mit den Scissor Sisters zusammen, mit Nick Cave, Sparklehorse und Depeche Modes Dave Gahan. Und zuletzt – was Joan einem breiten Publikum weltweit bekannt machte – spielte sie in Antony's Jonsohns und Rufus Wainwrights Band.


Joan as Policewoman live in Deutschland:
19.11.06, Hamburg – Knust
20.11.06, Berlin - Lido
21.11.06, Köln - Prime Club
23.11.06, Frankfurt - Nachtleben
25.11.06, München - Atomic Cafe

Doch es war Zeit für ein neues, eigenes Album von Joan as Policewoman, „Real Life“ heißt es und ist so „real“ wie eine Platte nur sein kann. „Beauty is the new Punkrock“, sagt Joan Wasser/Policewoman und legt man das Album auf, entfaltet sich eine Schönheit, die herb und bezaubernd zugleich ist. Joan as Policewoman heischt nicht um Aufmerksamkeit, sie kokettiert nicht mit Sexyness und Zerbrechlichkeit. Ihr eigenes Leben mit all seinen Brüchen und Katastrophen, aber auch den schönen Momenten fließt in ihre Songs, die traurig sind und tough. Schmerz und Schönheit, Soul und Punk, zwischen diesen Polen bewegt sich Joans Musik. Joans Stimme mit Nina Simone zu vergleichen, ist mehr als angemessen, beide Sängerinnen klingen heiser, brüchig und voller Seele a.k.a. Soul. Stilistisch vereint Joan as Policewoman Blues mit Indiepop, Barmusik mit jazzigen Balladen und hält alles zusammen durch ihre Stimme und die einzigartige Violine. Auch wenn Joan die wilden Punkjahre hinter sich gelassen hat, klingt ihre Musik nie gefällig und glatt. Sie verbreitet eine rauhe Art von Zuversicht, die nur dann entsteht, wenn viele Stürme bereits überstanden wurden. Der Song „Feed the Light“ ist eine solche hoffnungverbreitende Fackel: „just feel your right to get it wrong / it's not the end / it never ends / you won't be lost / you won't be found / unless you want / to be found.“ Und das elegische „Eternal Flame“ ist Gospel ohne Gottesdienst:

„ …it's too simple, i saw the truth
and truth is the terror of the one
who feels their lace can be stained
but i cannot stain your white lace, baby
even you cannot stain your white lace baby“

Der Antony ist ihr Duettpartner bei „I Defy“, „We don't Own it“ ist Elliot Smith gewidmet, Joseph Arthur spielt bei einigen Songs mit, so sorgt Joan dafür, dass ihr Kosmos intakt bleibt. Freunde sind das Wichtigste – tote und lebendige.

Sie sagt: „Because I don't have to deal with basic everyday survival, like killing for food and not freezing to death my music is about love and loss“, aber wenn Liebe und Verlust keine essentiellen Elemente des Lebens sind, was dann?

Sol Seppy:
The Bells of 1 2
(Groenland)
www.solseppy.com

Cover

Zwischen Sol Seppy und Joan as Policewoman bestehen einige Gemeinsamkeiten, angefangen beim Künstlernamen (Sol Seppy heißt eigentlich Sophie Michalitsianos) und der klassischen Musikausbildung (Sol/Sophie studierte Cello und Klavier). Außerdem gibt es den Link zu Sparklehorse: auch Sol Seppy sang und spielte in Mark Linkous' Band, ging mit ihm auf Tour und wirkte bei zwei Sparklehorse-Alben mit. Doch im Gegensatz zu Joan as Policewomans Gemeinschaftswerk „Real Life“ entstand Sol Seppys Platte „The Bells of 1 2“ im Alleingang, Frau Seppy spielte alle Instrumente selbst ein, fungierte als ihre eigene Toningenieurin und Produzentin, lediglich das Abmischen übernahm Paul Antonell.

Die Geschichte dieses Albums klingt regelrecht expressionistisch: eines Nachts explodierte Sol Seppys Studio, das komplette Equipment und jegliches Songmaterial wurde zerstört. Sophie/Sol schuf aus den Trümmern ein neues Studio und ein neues künstlerisches Ich. Sie selbst kann sich ihre Platte ohne die Anfangskatastrophe nicht vorstellen, das Feuer wirkte als Katalysator ihrer Ideen. Doch wer glaubt, „The Bells of 1 2“ klingt wie Explosionen und Feuerwerk, hat sich getäuscht. Sol Seppy führt die Hörer in eine fremde, zuweilen unheimliche, doch irgendwie vertraut scheinende Welt, man bewegt sich wie in einem Traum, von dem man nicht wissen kann, wie er ausgeht. Mehr als Klavier, Cello, Akustikgitarre und dann und wann einen Verzerrer braucht Sol Seppy nicht, um ihre Klangwelt aufzubauen. Ihre warme, fragile, aber nicht zu mädchenhafte Stimme sorgt für die atmosphärische Einbettung irgendwo zwischen Mazzy Star und Sigur Rós, meistens peaceful, manchmal beunruhigend. Ihren Songs wohnt eine Ebene inne, die wie das David-Lynch-Universum gleichzeitig verstörend wirken und Geborgenheit ausstrahlen. Besonders „Human“, „Gold“, „Injoy“, „Farewell Your Heart“ und „Answer to the Name of“ klingen wie von der Radiator Lady aus „Eraserhead“ gehaucht. Sol Seppy spielt aber nicht nur Verstecken auf einem spooky Dachboden, sie experimentiert auch gern mit Verzerrern und Synthesizern und läßt auf „Move“ einem gespenstischen HipHop-Beat, der so gar nichts mit dicker Hose zu tun hat, freien Lauf. „Come Running“ und „Wonderland“ becircen mit leichten, aber eindringlichen Melodien, „Enter One“wirkt gar beschwingt wie ein Kinderlied. Hit der Platte aber ist „Slo Fuzz“: verschleppter HipHop mit einem erhebenden Refrain, der dich davonträgt, man fühlt sich, als säße man mit einem leichten Schwips auf der Rückbank eines Autos, das eigene Leben liegt in den Händen des Fahrers – es geht also um Leben und Tod, durchaus, aber beschwingt und leichten Herzens.