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Mai 2006
Christina Mohr
für satt.org


Placebo: Meds
Virgin, EMI 2006

Cover
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Placebo: Meds

Ostern 2006, auf dem Weg zum Flughafen. Magengrummeln, schleichende Panik, dazu Brian Molkos eindringliche sägende Stimme im Kopfhörer: „Did you forget to take your meds?“ - hey, welches Stück paßt besser zum prä-flugbedingten Unbehagen als der Titelsong der neuen Platte von Placebo, Meds. „Meds“ in mannigfaltigen Darreichungsformen spielen eine nicht unwesentliche Rolle auf dem Album, was ja durchaus schlüssig ist bei diesem Bandnamen. Kann aber ein „Placebo“ eine Marke für sich sein, etwas Eigenes darstellen, nicht-austauschbar sein? Ja, das geht, Millionen Fans all over the world können sich nicht irren – obwohl ich offen gesagt vom neuen Album von Stefan Olsdal, Steve Hewitt und Diva Brian Molko nicht viel, beziehungsweise nichts erwartet hatte. Die bewährte Mixtur aus angedüstertem Gitarrenpop, Glamrockanleihen und der unverwechselbaren Stimme von Mr Molko schien „durch“, daran konnte auch das für Placebo-Verhältnisse experimentelle letzte Album Sleeping With Ghosts nichts ändern. Was zu stark nach sich selbst klingt, nutzt sich bald ab, das Placebo wirkt nicht mehr, um mal wieder auf dem nach Verballhornungen schreienden Namen herumzureiten. Und tatsächlich braucht Meds zwei, drei Anläufe, um richtig anzukommen. Der erste flüchtige Eindruck erzeugt höchstens ein „na ja“ oder auch „ja, ganz okay“. Mehr nicht.

Aber läßt man Meds im Player und beginnt einfach nochmal von vorn, entfaltet das Placebo seine volle Wirkung. Zunächst sei erwähnt, daß sich die Band dieses Mal gesangliche Unterstützung besorgt hat: VV aka Alison Mosshart von den Kills ist auf dem Titelsong zu hören, Michael Stipe (ja, der!) bei Broken Promise. Beide Stimmen passen hervorragend zum Placebo-Sound, der im Wesentlichen aus der klassischen Rockinstrumentierung Gitarre-Baß-Schlagzeug-undsonstnichtviel besteht und seine Lektionen bei The Cure, Sonic Youth, den Pixies und anderen Alternative-Göttern gelernt hat. Durch Mosshart und Stipe öffnet sich der möglicherweise zu eng gewordene Placebo-Rahmen, man kreist weniger um sich selbst, die eigene Umlaufbahn wird verlassen. Auf Meds wechseln sich getragene Stücke wie Follow the Cops Back Home mit knackigen Rockern wie Drag ab, die erste Single Song to Say Goodbye ist ein „klassischer“ Placebo-Song, der live zu Massenextasen hinreißen wird wie die alten Kracher Taste in Men oder Every You, Every Me.

Textlich geht es wie bereits erwähnt in erster Linie um Drogen, ferner um Sex, Depressionen, Alkohol, Sex, Depressionen … wirklich groß in dieser Hinsicht ist Post Blue: „It's in the water, Baby / it's in the pills that bring you down / it's in the water, Baby / it's in your bag of golden brown / it's in the water, Baby / it's in your frequency“ - hier paßt alles zusammen, die Stimme, der hypnotische Indie-Gitarrensound wie aus dem Lehrbuch, die no-escape-Thematik, perfekt. Doch wenn man genau hinhört, birgt jeder einzelne Song eine Überraschung, ein Extra, ob die Violinen bei Pierrot the Clown, Michael Stipes unerwartetes Erscheinen, das ungezügelte Losrocken bei Because I Want It – Placebo haben nichts von ihren Qualitäten verloren. Im Gegenteil. Für diese nur scheinbar wirkungslose Pille gibt es garantiert keine Generika.